Europa

alt10.04.2010:  Die am Mittwoch dieser Woche im russischen Katyn (nahe Smolensk)abgehaltene russisch-polnische Gedenkveranstaltung für die im April 1940 dort und an verschiedenen anderen Stätten in Weißrussland und der Ukraine vom sowjetischen NKWD ermordeten Polen (Schätzungen liegen zwischen 22.000 und 30.000 Menschen) war zweifellos eine der wichtigsten Gesten und politischen Maßnahmen zur Befriedung und Entspannung der polnisch-russischen Beziehungen. Seit der Zerschlagung der Reste des sozialistischen Systems hatte die neue polnische Bourgeoisie die mit dem Namen Katyn verbundenen Massaker als zentrales Element für antikommunistische Hetze und nationale Frontstellung gegen Russland benutzt.

Letztere Instrumentalisierung ist in den letzten Jahren vor allem mit dem Namen und der Person des heute auf der Reise nach Katyn tödlich verunglückten polnischen Staatspräsidenten Kaczynski verbunden. Und so war es nur sinnvoll und gut nachvollziehbar, dass zu der Gedenkfeier am 7.4. vom russischen Ministerpräsidenten Putin nur der polnische Ministerpräsident Tusk eingeladen wurde - da die Gedenkstätte auf russischem Gebiet liegt konnte sich Lech Kaczynski nicht selbst dazu einladen. Um trotzdem seinem Bedürfnis nach reaktionärer Hetze nachkommen zu können, hatte er jedoch eine eigene Erinnerungsstunde am heutigen 10. April geplant. Auf seine Bekanntmachung dazu vom 16. März reagierte der russische Ministerpräsident mit der Erklärung: "Die erwähnte Information wurde zur Kenntnis genommen. Die Veranstaltung wird die notwendige Unterstützung seitens Russlands erhalten." Also offenbar der Wille, kein Öl ins Feuer zu gießen. Der überwiegende Teil der polnischen politischen Öffentlichkeit erkennt das und überhaupt die Initiative Putins zu dem gemeinsamen Gedenken in Katyn als außerordentlichen, positiven Schritt an.

Denn 50 Jahre lang hatte die Führung der Sowjetunion jede Verantwortung und Beteiligung an der Ermordung der Polen im April 1940 geleugnet und vertuscht. Und obwohl gegen Ende der 1980er Jahre die Wahrheit sichtbar wurde und die Tatsachen eindeutig sind, hielt sich danach Russland zu diesem für die polnische Nation so zentralen  Geschehnis abweisend und weitgehend stumm. Ein sinnloses Unterfangen, dem Putin jetzt ein Ende gemacht hat. Bedauerlich nur, wenn auch von ihm kaum anders zu erwarten, dass er in seiner Rede bei der Gedenkfeier in Katyn die Geschehnisse dort als Konsequenz eines Totalitarismus geißelte. Auch spricht wenig für seine Erklärung, die er in einem Interview vor der Gedenkfeier machte, bei dem Befehl zu dem Massaker habe es sich um einen Racheakt Stalins für die Ermordung von Rotarmisten 1920 im Krieg von Polen gegen die junge Sowjetmacht gehandelt.

Bei der Besetzung des damaligen Ostpolens (etwa 1/3 des Landes) durch die Rote Armee zwischen dem 17. September 1939 und Ende September in der Umsetzung des Deutsch-Russischen Nichtangriffspaktes vom 23.8.1939 (dessen integrales Zusatzprotokoll diese Aufteilung zwischen Deutschland und der SU bereits vorsah), hatten sich die dort noch nicht besiegten polnischen Truppen ohne wesentlichen Widerstand und auf Anweisung ihrer Regierung ergeben. Die polnischen Soldaten wurden zunächst interniert, die besetzten Gebiete der Sowjetunion eingegliedert. Noch vor Ende der letzten Kämpfe um Warschau (Kapitulation am 3.10.1939) vereinbarte die Sowjetunion in dem Friedens- und Freundschaftsvertrag vom 28.9.1939 mit Deutschland und erneut in einem geheimen Zusatzprotokoll, dass in den jeweiligen Machtbereichen jede pro-polnische Agitation zu unterbinden sei. Damit stellte sich naturgemäß auch die Frage, was man mit den gefangen genommenen Soldaten, vor allem den Führungskräften und den Machtrepräsentanten des annektierten polnischen Staatsgebietes machen sollte.

Stalin war in dieser Sache zunächst offen. Der zuständige Armee-Kommandeur war für die Freilassung aller Polen, Mechlis (Kommissar für staatliche Planung und Vertrauter Stalins) war für eine Behandlung als 'Volksfeinde'. Letztlich entschied das Politbüro der KPdSU am 5. März 1940, den größeren Teil der Gefangenen frei zu lassen, jedoch etwa 14.700 Offiziere, Grundbesitzer und Polizisten sowie 11.000 „Konterrevolutionäre“ (ohne Anklagen und Verfahren) zu erschießen. Stalin, Molotow, Mikojan und Woroschilow unterzeichneten den von Berija erstellten Befehl (siehe Faksimile) eigenhändig, die Zustimmung von Kalinin und Kaganowitsch wurde gesondert auf der ersten Seite des Befehls vermerkt. Im April und Mai 1940 erfolgte der Vollzug in verschiedenen Orten in Weißrussland und der Ukraine durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD in schalldichten Hütten. Etwa 5.000 Ermordete wurden in Katyn in Massengräbern vergraben.

Natürlich ließ sich dieser jeder Humanität und Menschlichkeit widersprechende Massenmord nicht so wie gewollt vor der Öffentlichkeit verbergen. 26.000 Ermordete Polen hatten naturgemäß viele Angehörige, Freunde und Bekannte (bei 100 pro Person wären es 2,6 Mio.), die nach ihrem Schicksal fragten. Den prominentesten Beginn machte im Herbst 1941 der Ministerpräsident der polnischen Exilregierung Sikorski, als er in Moskau Stalin und Molotow traf und mit Namenslisten Aufklärung über das Schicksal der polnischen Offiziere verlangte. Stalin log ihm ins Gesicht, dass man das nicht genau wisse, angeblich seien sie in die Mongolei geflohen. Schlimmer wurde der Umgang mit der Wahrheit nach dem Angriff des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juli 1941. Denn nach den Anfangserfolgen der Aggressoren wurden in den besetzten Gebieten die Massengräber der ermordeten Polen im Februar 1943 entdeckt und ausgiebigst für eine umfangreiche antikommunistische Propaganda genutzt. Jetzt wurden von sowjetischer Seite aufwändige Theorien und Gegengutachten zum Verbergen der Wahrheit aufgestellt und verbreitet. Das galt selbst für das neue Polen nach 1945, wo bestenfalls die sowjetische Argumentation übernommen wurde, das Thema Katyn und der Verbleib der Offiziere jedoch fast 50 Jahre lang nur ein Untergrundthema war. Konnte es eine schwerere ideologische Last für jede erfolgreiche kommunistische Aktivität in Polen geben ... ?

Dabei hat die Entscheidung des Politbüros der KPdSU vom 5.3.1940 wenig mit kommunistischer Politik und Prinzipien zu tun. Diese Entscheidung widerspricht nicht nur abstrakt den humanitären Prinzipien der kommunistischen Bewegung, sie ist auch durch praktische Beispiele anderer siegreicher kommunistischer Parteien als falsch und verbrecherisch entlarvt.

So beschreibt etwa Fidel Castro in seinen Gesprächen mit Ignacio Ramonet (Mein Leben, Kapitel 12) im Zusammenhang mit der Invasion in der Schweinebucht den Umgang mit Gefangenen: "Wir töten keine Gefangenen. Es gab nicht einmal einen (Kolben)Schlag. Das war immer unser Grundsatz. ... Niemals haben unsere Soldaten (bei vielen Einsätzen in der ganzen Welt) Gefangene exekutiert oder misshandelt. Und immer haben wir medizinische Hilfe geleistet. ... Wir hätten den Kampf gegen Batista niemals gewonnen, wenn wir während unseres 25-monatigen Kampfes die Gefangenen ermordet hätten."

Und mit der gleichen hohen Moral kämpfte die Rote Armee der chinesischen Kommunisten zwischen 1927 und 1945 erfolgreich gegen die Truppen der Feudalherrschaft und gegen die japanischen Faschisten. Edgar Snow gibt in 'Roter Stern über China' ein ihm berichtetes Beispiel wieder "Wir umzingelten die Stadt Yu Wang und belagerten sie 10 Tage lang. Drinnen befanden sich eine Kavalleriebrigade und etwa 1.000 min-t'uan (Anm.: lokale Söldnertruppe der Feudalherren). Erst am zehnten Tag griffen wir an. ... Vor Morgengrauen hatten wir alle min-t'uan entwaffnet und die Kavalleriebrigade eingeschlossen. ... Wir gaben jedem der min-t'uan einen Dollar und schickten sie auf ihre Höfe zurück." Die Kavalleriebrigade wurde entwaffnet, jeder dieser Soldaten erhielt zwei Dollar. Das war das Grundprinzip der Roten Armee und der KP Chinas gegenüber den einheimischen Gefangenen: ihnen aus der erzwungenen Armee den Weg nach Hause zu ermöglichen, sie für die Teilnahme am revolutionären Kampf zu gewinnen oder sie zumindest durch Aufklärung über die wahren Ziele der Kommunisten und ihren Kampf für die Sache der Volksmassen dem ideologischen Einfluss der Reaktion zu entziehen. Diese Politik wurde aber auch gegenüber gefangenen japanischen Soldaten praktiziert, mit erheblichen negativen Folgen - für die japanischen Faschisten.

Und die Rote Armee der Sowjetunion hat in ihrem späteren gerechten Kampf gegen den deutschen Faschismus ebenfalls selbst in den härtesten Kämpfen eine achtende Haltung gegenüber ihren Gefangenen praktiziert.

Wir können also mit Fug und Recht darauf bestehen, dass das Massaker von Katyn entgegen den Verleumdungen der polnischen Reaktionäre und ihrer Freunde in aller Welt kein kommunistisches Handeln repräsentiert. Die Empörung der polnischen Reaktionäre über dieses Verbrechen entlarvt sich zudem als selektive Instrumentalisierung, wenn man weiss, dass sie z.B. über die Toten der Kommunistischen Partei Polens und deren physische wie organisatorische Liquidierung unter Stalins Verantwortung (vor 1940) kein Wort verlieren.

Text: hth  /  Foto: Stuck in Custums

 

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