10.02.2017: Israelisches Parlament beschloss Gesetz, das die Annexion palästinensischer Gebiete weiter vorantreibt * PLO: rassistische Regierungskoalition zerstört die Möglichkeit der Zwei-Staaten-Lösung * internationalen Druck für friedliche Lösung verstärken – Palästina anerkennen
"Heute wurde klar, dass Netanjahu gewillt ist, die Zukunft sowohl der Israelis wie der Palästinenser aufs Spiel zu setzen, um eine kleine Gruppe von extremen Siedlern zufriedenzustellen, um seines eigenen politischen Überlebens willen." So beurteilte die israelische Friedensorganisation "Peace Now" ("Frieden jetzt") die endgültigen Verabschiedung des sogenannten "Regularisierungs-Gesetzes" am 6. Februar in der Knesset, dem israelischen Parlament. "Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes macht Netanjahu Diebstahl zu einer offiziellen israelischen Politik und beschmutzt er Israels Gesetzbücher. Indem er den Siedlern grünes Licht gibt, illegal auf privatem palästinensischen Land zu bauen, ist das Legalisierungsgesetz ein weiterer Schritt zur Annexion und weg von einer Zwei-Staaten-Lösung", heißt es weiter in dieser Stellungnahme.
Die im israelischen Parlament mit 13 Abgeordneten vertretene "Vereinte Liste", mit 10,6 Prozent die drittstärkste israelische Parteienformation, zu der auch die Abgeordneten der israelischen Kommunistischen Partei gehören, erklärte in einer Stellungnahme, das umstrittene Gesetz "legitimiert die Besatzungsverbrechen und den Diebstahl von palästinensischem Land, tötet eine diplomatische Lösung und blockiert jeder Friedenschance". Trotz der Tatsache, dass dieses Gesetz völkerrechtswidrig ist, beharre die israelische Rechtsregierung darauf, "langsam ihren Plan umzusetzen, die besetzten Palästinenser-Gebiete zu annektieren". Das werde die ganze Region "über eine Klippe in den Abgrund stürzen und den Konflikt, Hass und Blutvergießen in der Region verewigen".
Knesset beschließt umstrittenes Landraub-Gesetz
In der Tat ist das am Abend des 6. Februar mit einer Mehrheit von 60 zu 52 Stimmen in der Knesset verabschiedete "Regularisierungs-Gesetz" ein schwerwiegender Schritt über die Grenzen hinaus, die bisher von der israelischen Staatspolitik und speziell bei der Siedlungspolitik eingehalten worden sind.. Denn mit diesem Gesetz erhebt der israelische Staat zum ersten Mal den Anspruch, Gesetze erlassen zu können, die außerhalb seiner Staatsgrenzen für nicht zu Israel gehörende Gebiete und ihre Bewohner gelten sollen.
Das Gesetz sieht vor, dass die etwa 55 "wilden" Siedlungen mit annähernd 4.000 Häusern und 800 Hektar Land, die extremistische Siedler in den letzten Jahren ohne vorherige Zustimmung der israelischen Regierung auf palästinensischen Territorium im besetzten Westjordanland errichtet haben, noch dazu auf Grundstücken, die sie einfach besetzt haben, obwohl sie im Besitz palästinensischer Privatpersonen waren, nachträglich als israelischer Besitz anerkannt werden. Siedler, die in solchen illegal errichteten "Außenposten" auf palästinensischem Land ihre Wohnhäuser gebaut haben, können ihren Besitz vom israelischen Staat nachträglich für rechtmäßig erklären lassen, wenn sie geltend machen, dass sie "in gutem Glauben" gehandelt haben und nicht wussten, dass sie privates palästinensisches Land in Besitz nehmen. Dann können die betreffenden Grundstücke und Siedlungen im besetzten Westjordanland jetzt vom israelischen Staat als "von Amts wegen enteignet" erklärt werden. Die bisherigen palästinensischen Eigentümer sollen eine "Abfindung" erhalten, aber nur, wenn sie darauf verzichten, die Justiz gegen die unrechtmäßige Beschlagnahme anzurufen.
Das verstößt natürlich nicht nur gegen die seit Jahrzehnten immer wieder bekräftigten UNO-Resolutionen, in denen die Aufrechterhaltung der israelischen Besetzung in der "Westbank" für völkerrechtswidrig erklärt worden sind,. Es verstößt darüber hinaus gegen die elementare Norm des Völkerrechts, dass Staaten Gesetze nur für ihr eigenes Staatsgebiet erlassen können. Zudem wird damit ein Grundpfeiler des bürgerlichen Rechtssystems verletzt, nämlich der Schutz privaten Eigentums.
Das Gesetz war auch in der israelischen Öffentlichkeit und innerhalb des israelischen Establishments stark umstritten. Dafür stimmten in der Knesset Netanjahus "rechtskonservative" Regierungspartei "Likud" und ihre Verbündeten in der Regierungskoalition, die rechtsextreme Siedlerpartei "Jüdisches Heim" mit Bildungsminister Naftali Bennett an der Spitze und die ultraorthodoxen "religiösen" Parteien "Schas" und "Vereinigtes Thora-Judentum".
Zu den Gegnern gehörten neben der linken "Vereinten Liste" auch die stärkste Oppositionspartei im Parlament, das Bündnis "Zionistische Union", bestehend aus der sozialdemokratischen "Arbeitspartei" unter Jitzchak Herzog und den Liberalen von "Ha Tnua" unter Ex-Außenministerin Tzipi Livni, ebenso die "linksozialdemokratische" Partei "Meretz".
Sogar der israelische Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, früher General der israelischen Streitkräfte, hatte öffentlich vor der Verabschiedung des Gesetzes gewarnt und erklärt, dass er es bei einer Klage vor dem Obersten Gerichtshof nicht verteidigen werde. Er hält es für einen Verstoß gegen das internationale Recht und befürchtet wie andere Experten, dass die Palästinenser damit eine erfolgversprechende Option in die Hand bekommen, vor dem Internationale Strafgerichtshof gegen israelische Staatsorgane Klage einzureichen.
Selbst Regierungschef Netanjahu erweckte zeitweise den Eindruck, dass er diesem von der Siedler-Partei vorangetriebenen Gesetzesvorhaben skeptisch gegenüberstehe. Er wollte wohl vor allem aus taktischen Gründen eine Vertagung der Entscheidung in der Knesset bis nach seinem Treffen mit dem neugewählten US?Staatspräsidenten Trump am 15. Februar in Washington erreichen.
Schließlich fand die mehrmals verschobene dritte Lesung nun aber doch vor diesem Termin statt. In israelischen Medien wird der Eindruck vermittelt, dass der Druck der rechtsextremen Siedler in letzter Zeit so zugenommen hat, dass auch der Regierungschef ihm nicht länger widerstehen wollte, weil er den Bruch seiner Regierungskoalition befürchtete. In manchen israelischen Medien knüpfte sich daran die Frage, ob der Regierungschef "die Kontrolle verloren" und zum "Gefangenen" seiner Koalitionspartner geworden sei, zu einer "Marionette", bei der die Rechtsextremisten die Fäden ziehen.
PLO: rassistische Regierungskoalition legitimiert Diebstahl und zerstört Grundlage für Zwei-Staatenlösung
Unmittelbar nach der Abstimmung erklärte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), dass mit diesem Gesetz der "Diebstahl legitimiert" wird und die israelische Regierung demonstriere, dass sie jede Chance für eine politische Lösung zerstören wolle. "Alle israelischen Siedlungen auf besetztem Gebiet sind illegal und ein Kriegsverbrechen ... Der israelische Siedlungsbau zerstört die Möglichkeit der Zwei-Staaten-Lösung", heißt es in der Erklärung der PLO. Für Hanan Ashrawi, Mitglied des PLO-Exekutivkomitees, wird mit diesem Gesetz "das Signal für die endgültige Annektion der Westbank gegeben". Premierminister Netanyahu und seine extremistische, rassistische Regierungskoalition zerstören die Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung und die Chancen für Frieden und Stabilität, sagte sie.
Israels Rechtsextremisten erhalten Auftrieb durch Trump
Die Wahl von Trump in den USA und dessen Andeutungen, dass er sich im israelisch-palästinensischen Konflikt deutlich von Obamas Haltung distanzieren werde, hat unter den israelischen Rechtsextremisten und Siedleraktivisten offenbar eine wahre "Euphorie" hervorgerufen, dass nun die "Gunst der Stunde" ergriffen werden müsse, um die Zwei-Staaten-Lösung endgültig zu begraben und das historische "Groß-Israel" wiederherzustellen.
Seit Trumps Amtsübernahme hat Israel den Bau von mehr als 6.000 neuen Wohnungen in Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem angekündigt, berichtete die "Times of Israel" am 3. Februar. Schon seit 2013 verkündete der Siedler-Chef Naftali Bennett, Netanjahus Koalitionspartner und Bildungsminister offen, dass er gegen alle weiteren Verhandlungen und gegen eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern ist. Er befürwortet stattdessen die direkte Einverleibung von mehr als 60 Prozent des Westjordanlands, nämlich der gesamten "Zone C" des von der israelischen Armee besetzten Palästinenserlandes, in das israelische Staatsgebiet. Nur einige "arabische Städte" wie Ramallah, Nablus und Jenin sollen eine "Selbstverwaltung" bekommen, aber untereinander isoliert, ohne zusammenhängendes Staatsgebiet und nur unter israelischer Oberhoheit. Doch auch andere israelische Regierungssprecher schließen sich dem offenbar an, indem sie dazu übergingen, generell nicht mehr von besetzten palästinensischen Gebieten, sondern nur noch von den "Provinzen Judäa und Samaria" zu reden, die "zu Israel gehören", wenn sie die palästinensischen Gebiete westlich des Jordan meinen.
Jetzt Palästina anerkennen
Damit droht in der nächsten Zeit eine weitere gefährliche Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konflikts, die die ganze Nahost-Region in Mitleidenschaft ziehen könnte. Das könnte aber auch im globalen Maßstab zu einer weiteren Zuspitzung der Spannungen führen. Deshalb ist es im Licht der jüngsten Ereignisse zugleich aber auch unerlässlich, den internationalen Druck für eine friedliche Regelung des Konflikts mit friedlicher Koexistenz eines souveränen Staates Palästina neben dem Staat Israel zu verstärken. Ein wirksames Mittel dafür wäre, dass alle Staaten, die Israel anerkennen, jetzt auch die offizielle Anerkennung des Staates Palästina bekannt geben, wie es Palästina-Präsident Abbas und die PLO-Führung vorgeschlagen haben. Entsprechende Forderungen sollten alle, die sich eine friedliche Beilegung des Konflikts im Nahen Osten wollen, sowohl an die EU wie an den demnächst zur Wahl anstehenden deutschen Bundesspräsidenten Frank-Walter Steinmeier, an Kanzlerin Merkel und den deutschen Außenminister Gabriel richten.
txt: Georg Polikeit