Bei der Vorwahl der Sozialisten siegte mit Benoît Hamon ein Repräsentant des linken Parteiflügels - Aber eine mehrheitsfähige linke Alternative bleibt nach wie vor fraglich
31.01.2017: Noch vor vier Wochen hat kaum jemand in der französischen Politik ernsthaft mit ihm gerechnet. Nun wurde er bei der Vorwahl der französischen Sozialisten am vergangenen Sonntag (29. Januar) zum Spitzenkandidaten der "Parti Socialiste" (PS) für die Präsidentenwahl im April/Mai gekürt: Benoît Hamon, ein Vertreter des linken Parteiflügels und der "Frondeure" in der PS, die innerhalb der Regierungsfraktion gegen den politischen Kurs unter Staatschef Hollande und Premierminister Valls opponiert hatten.
Dass ein Repräsentant des linken Parteiflügels bei der PS-Vorwahl gesiegt hat, ist ein weiteres Zeichen dafür, wie tief und breit die Ablehnung ist, die der Kurs des bisherigen Staatschefs François Hollande in der zurückliegenden fünfjährigen Amtszeit und seine Ergebnisse selbst im eigenen Lager, unter den Anhängern der französischen Sozialdemokratie hervorgerufen hat.
Mit einem Abstand von mehr als 17 Prozent ließ der Benoît Hamon bei dieser Vorwahl Hollandes Ex-Regierungschef Manuel Valls hinter sich. Hamon konnte 58,7 % der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen, während Valls nur auf 41,3 % kam – eine schallende Ohrfeige für den Ex-Premier. Immerhin hatten sich über 2 Millionen Menschen an dieser Abstimmung beteiligt, rund 21 Prozent oder über 200 000 Abstimmende mehr als bei der ersten Runde der Vorwahl eine Woche zuvor.
Damit steht fest, dass Hamon der Kandidat der "Parti Socialiste" (PS) und ihrer traditionellen Verbündeten für die Neuwahl des französischen Staatspräsidenten ist. Nach wie vor völlig ungeklärt bleibt aber, ob sich doch noch und wie sich zu dieser Wahl eine mehrheitsfähige Alternative aus dem Spektrum der französischen Linken gegen den drohenden weiteren Rechtsruck in Frankreich herausbilden könnte.
Die jüngsten Umfragen zur Präsidentenwahl: Le Pen liegt vorne
Die fünf letzten Umfragen unterschiedlicher französischer Meinungsforschungsinstitute, alle im Januar 2017 nach den Regeln für einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung erhoben, ergaben übereinstimmend, dass nach wie vor die Anführerin des rechtsextremistischen "Front National", Marine Le Pen, im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl am 23. April mit 25 - 28 Prozent an der Spitze liegt. Ihr folgt der erzreaktionäre, tiefschwarz katholische Kandidat der bürgerlichen Rechten ("Les Républicains" und Verbündete), François Fillon, ein militanter Vorkämpfer für extremen Neoliberalismus, mit 22 – 25 Prozent.
Knapp hinter Fillon an 3. Stelle liegt Hollandes Ex Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der sich als "moderner Sozialliberaler" außerhalb der Reihen der PS präsentiert und etwa 16 – 20 % erreichen soll. Da seine Umfragewerte derzeit im Steigen sind, wird damit gerechnet, dass er Fillon vielleicht sogar noch überholen könnte und damit in den 2. Wahlgang käme.
Auf dem 4. Platz liegt, noch vor dem Kandidaten der Sozialisten, der Linkssozialist Jean-Luc Mélenchon mit der von ihm für den Wahlkampf geschaffenen Bewegung "La France insoumise" ("Das widerständige Frankreich"), zu dessen Wahl seit Ende November trotz diverser Differenzen auch die französischen Kommunisten (PCF) aufrufen. Er kommt laut Umfragen auf 13 – 15 %.
Erst an 5. Stelle folgt Benoît Hamon mit 6 – 13 % als Kandidat der PS. Die "Grünen" (EELV) mit ihrem Kandidaten Yannick Jadot, einst die "rechte Hand" des verbal-radikalistisch auftretenden "Studentenführers" und späteren deutsch-französischen Grünen-Politikers Daniel Cohn-Bendit, landen mit 2 – 2,5 % auf dem 6. Platz.
Damit droht bei der Präsidentenwahl nach wie vor ein zweiter Wahlgang am 7. Mai, bei dem laut Wahlrecht nur noch die zwei Bestplazierten aus der ersten Runde antreten können, faktisch also nur noch die Wahl zwischen der Rechtsextremistin Le Pen und dem Reaktionär Fillon bestehen könnte - eine "Wahl zwischen Pest und Cholera", wie viele französische Linke sagen.
Das Problem: Drei Links-Kandidaturen
Es liegt auf der Hand, dass die Spaltung der alternativen Linkskräfte, die sich in drei getrennten Kandidaturen ausdrückt, das entscheidende Problem für die französischen Linken zur Präsidentenwahl hat, als Bestplazierter hinter Fillon oder Le Pen den zweiten Wahlgang zu erreichen.
Die französischen Kommunisten haben sich deshalb schon während des gesamten Jahres 2016 für die Bildung eines breiten Bündnisses aller alternativen Linkskräfte auf der Grundlage eines gemeinsamen politischen Programms eingesetzt. Doch als das Jahr zu Ende ging, konnte nur festgestellt werden, dass dies trotz aller Bemühungen nicht zustande gekommen ist.
Pierre Laurent, der Nationalsekretär der PCF, machte dafür u. a. das französische Präsidentenwahlsystem verantwortlich, das mit einer starken Personalisierung des Wahlkampfs verbunden ist, zum Schaden der politischen Inhalte, die eigentlich im Zentrum stehen sollten. Jede politische Formation steht durch das vorrangige Gewicht der Präsidentenwahl in der Öffentlichkeit vor der Frage, wie sie sich eigenständig als politische Kraft profilieren kann, weil letztlich bestenfalls nur der jeweilige Spitzenkandidat in den vorherrschenden Medien öffentlich in Erscheinung tritt. Das Abschneiden bei der Präsidentenwahl hat aber erfahrungsgemäß auch erheblichen Einfluss auf den Ausgang der jeweils nur vier Wochen später stattfindenden Parlamentswahl. Hinzu kommen aber auch erhebliche politische Differenzen in einigen Fragenzwischen den verschiedenen Linksformationen (u. a. bei der Haltung zur Atomenergie und Kernkraftwerken), die das Zustandekommen eines breiten linken Wahlbündnisses zur Präsidentenwahl erschwerten.
So sah sich die PCF am Jahresende gezwungen, ungeachtet der Fortsetzung ihrer Bemühungen um eine breite linke Bündniskandidatur eine Entscheidung zu ihrer Haltung zur Präsidentenwahl zu treffen. Eine nationale Parteikonferenz der PCF Anfang November votierte unter diesen Umständen mit knapper Mehrheit für die Nominierung eines eigenen PCF-Kandidaten.
Doch eine Urabstimmung der PCF-Mitglieder Ende November entschied sich dann gegen die Eigenkandidatur, vor allem mit der Begründung, dass die Zahl der separaten Linkskandidaturen für die Präsidentenwahl von ihr noch weiter vergrößert werden sollte. Statt dessen stimmten die PCF-Mitglieder dem Vorschlag der Mehrheit der Parteiführung zu, dass die PCF trotz mancher Differenzen bei der Präsidentenwahl zur Wahl des Linkssozialisten Jean-Luc Mélenchon aufruft, jedoch einen eigenen Wahlkampf mit ihren eigenen politischen Inhalten und Forderungen führen und auch mit vielen eigenen, von ihr nominierten Kandidatinnen und Kandidaten zur Parlamentswahl im Juni antreten wird.
Ein neuer Anstoß für die Gemeinsamkeit
Mit der Wahl von Benoît Hamon zum Präsidentschaftskandidaten der PS erhielt die Debatte, wie eine erfolgversprechende Linkskandidatur zur Präsidentenwahl doch noch zustande kommen könne, jedoch einen neuen Anstoß. Denn nach wie vor gilt, dass weder Hamon noch Mélenchon noch Jadot Aussicht haben, bei der Präsidentenwahl in den zweiten Wahlgang zu kommen.
Benoît Hamon (im Bild links neben Bernie Sanders) hat deshalb seinen linken Mitkonkurrenten Jadot und Mélenchon unmittelbar nach seinem Erfolg bei der Vorwahl einen Dialog vorgeschlagen, um "zusammen eine kohärente und dauerhafte Regierungsmehrheit für den sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritt aufzubauen".
Sowohl Jadot wie Mélenchon hatten jedoch schon vorher angekündigt, dass sie nicht die Absicht hätten, nach den Erfahrungen mit Hollande im Jahr 2012 ihre Kandidatur zugunsten eines Kandidaten der "Sozialisten" zurückzuziehen. Bei ihren ersten Reaktionen nach der Wahl Hamons betonten sie allerdings, dass es hinsichtlich der erklärten politischen Ziele und Vorhaben mit Hamon viele Gemeinsamkeiten gibt und sie zu Gesprächen bereit sind.
In der Tat ließe sich eine bedeutende Schnittmenge gemeinsamer Positionen finden. Hamon ist wie Mélenchon für die Wiederaufhebung des umstrittenen "Arbeitsgesetzes" (Loi travail), das im letzten Jahr enorme Proteste der Gewerkschaften ausgelöst hatte, sowie für die unverzügliche Anhebung des Mindestlohnes, der in Frankreich derzeit bei 9,61 € liegt. Er will die CETA-Verhandlungen "aussetzen" und fordert ein "Moratorium" für die Anwendung der "Stabilitätskriterien" des EU-Stabilitätspaktes, der die Grundlage der von Merkel und Co. durchgesetzten rigorosen EU-Austeritäts- und Sparzwangpolitik ist. Er tritt für eine Wende in der Energie- und Umweltpolitik ein und will den Anteil der erneuerbaren Energiequellen am Energieaufkommen in Frankreich bis 2050 auf 50 Prozent erhöhen.
Allerdings ist dabei nicht zu übersehen, dass dies zwar ein Sockel von gemeinsamen Vorstellungen deutlich werden lässt, zum Teil aber zwischen ihm und Mélenchon oder auch Jadot auch deutliche Unterschiede bestehen, was die Radikalität und den Zeitplan für die Umsetzung einer Reihe dieser Vorstellungen angeht. Es bleibt bei seinen potenziellen linken "Partnern" ein erhebliches Maß an Skepsis, ob der Kandidat Hamon, wenn er gewählt würde, an seinen heutigen Ankündigungen festhalten würde oder wie Hollande unter dem Druck von Unternehmern und EU-Spitzen sich letztlich nicht doch wieder in einen "normalen Sozialdemokraten" verwandeln würde, der seine Wahlkampfversprechen nicht einlöst.
Deshalb bleibt es weiterhin äußerst fraglich, ob trotz dieser Skepsis noch eine erfolgversprechende gemeinsame Kandidatur der alternativen Linkskräfte zustande kommen kann, die eine reale Aussicht hat, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Weder Mélenchon noch Jadot erscheinen derzeit bereit, ihre Kandidatur zugunsten einer aussichtsreicheren gemeinsamen Kandidatur mit dem PS-Kandidaten Hamon an der Spitze zurückzuziehen. Aber auch ein Rückzug Hamons etwa zugunsten von Mélenchon ist nach seinem Erfolg bei der PS-Vorwahl kaum denkbar und somit unwahrscheinlich.
Zugleich hat Hamon damit zu kämpfen, dass ein Teil der bisherigen PS Abgeordneten und des rechten Flügels der Sozialdemokratie sich lieber dem "Sozialliberalen" Macron anschließen wird, als den linken Hamon oder gar Mélenchon zu unterstützen. Es dürfte ihm nur schwer gelingen, wenigstens die Mehrheit der bisherigen PS-Wähler bei der Präsidentenwahl wieder hinter sich zu bringen. Eine ganze Reihe von Beobachtern und Kommentatoren rechnen eher damit, dass die PS vor einer neuen Zerreißprobe steht und der rechte Flügel sich abspalten könnte. Der geschlagene Ex-Premier Valls hat zwar erklärt, dass er Hamon nun als den legitimen Kandidaten der PS zur Präsidentenwahl ansieht. Gleichzeitig kündigte er allerdings an, dass er sich zunächst "zurückziehen" und sich nicht als aktiver Unterstützer von Hamon im Wahlkampf engagieren wird. Seine "Getreuen" haben inzwischen angekündigt, dass sich beabsichtigen, innerhalb der PS eine eigene Art von Zusammenschluss namens "maison des réformistes" ("Haus der Reformer" oder "Reformisten") zu bilden.
PCF setzt auf Parlamentswahlkampf: Erneuerung der französischen Demokratie
Die französischen Kommunisten haben die Wahl von Hamon zum PS-Kandidaten als Zeichen der Abkehr vom Hollande-Kurs begrüßt, zugleich aber ihre Unterstützung für Jean-Luc Mélenchon bekräftigt. Parallel dazu unterstrichen sie erneut, dass die im Juni anstehende Neuwahl des französischen Parlaments politisch nicht weniger bedeutend ist als die Präsidentenwahl.
Auf einer Pressekonferenz der PCF am 28. Januar betonte Nationalsekretär Pierre Laurent im Beisein der ersten 124 von der PCF nominierten Kandidatinnen und Kandidaten für die Parlamentswahl, dass es nicht ausreiche, nur den "Bewohner im Präsidentenpalast" zu wechseln. Gegen den Trend zur '"Präsidialmonarchie" sei eine grundlegende Erneuerung der französischen Demokratie erforderlich. Laurent befürwortete die Schaffung einer "Republik, in der die Bürgerinnen und Bürger sich wieder voll respektiert fühlen, einer VI. Republik, die die Institutionen grundlegend erneuert und dem politischen Leben neuen Atem verleiht".
Mit Mélenchon in der Idee eines "verfassungsgebenden Prozesses" übereinstimmend, sprach er sich für die Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfs aus, der einer Volksabstimmung vorgelegt werden soll. Hierfür schlug er einen "Republikanischen Pakt für ein Frankreich in Gemeinsamkeit" vor, den die PCF in den Wahlkampf sowohl zur Präsidenten- wie zur Parlamentswahl einbringen will. Seine Hauptzüge: aus der "Präsidentialisierung" des französischen politischen Lebens aussteigen, dem Volk seine vollen Rechte zurückgeben, Einführung eines uneingeschränkten Verhältniswahlrechtes statt des heute geltenden Mehrheitswahlrechts auf allen Ebenen, Stimmrecht für alle in Frankreich lebenden Menschen einschließlich ausländischer Staatsbürger, Einführung eines Verhaltenskodex für Abgeordnete und Verstärkung der Kontrolle bei Interessenkonflikten, Vergrößerung der Eingriffsrechte der Beschäftigten in den Unternehmen, Einführung einer Verfassungsvorschrift, die zum Kampf gegen alle Formen von Diskriminierung verpflichtet, Sicherung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch u.a.m.
Bei einem Zusammentreffen von Laurent mit Melenchon am 23. Januar wurde die Bildung einer Arbeitsgruppe vereinbart, die sich mit dem inzwischen entstandenen Problem befassen soll, dass sich in einer Reihe von Wahlkreisen bei der Parlamentswahl Kandidaten der PCF und der Mélenchon-Formation als Konkurrenten gegenüberstehen, die sich gegenseitig die Linksstimmen abzuwerben drohen. Angestrebt werden dürfte eine Vereinbarung, die solche Konkurrenz-Kandidaturen in einzelnen Wahlkreisen so weit wie möglich ausschließt.
txt: Georg Polikeit
fotos: Stichwahl: PS; Benoît Hamon: by Marion Germa - Permission OTRS à suivre, CC BY-SA 3.0