03.02.2013: Heute ging die in München abgehaltene 49. Sicherheitskonferenz zu Ende und erneut war ihre Durchführung für Tausende Kriegsgegner und Anti-Imperialisten Anlass, ihre Gegnerschaft zu dieser Propagandatribüne und der Politik der USA, der NATO und der EU und deren Hilfstruppen lautstark kund zu tun. Dass dieser jedes Jahr wiederum gut organisierte Protest den Nerv trifft, zeigte unter anderem die hysterische Reaktion des Konferenz-Organisators Wolfgang Ischinger im Vorfeld der Sicherheitskonferenz gegen die Formulierung des Sprechers der Konferenzgegner, er sei "ein Wolf im Schafspelz".
Wie um letztere Charakterisierung zu beweisen, demonstrierte er dann eine der Arten, sich als Schaf zu verkleiden: etwas anprangern und behaupten, was gar nicht gesagt wurde oder stattgefunden hat. Dreist behauptete er kurz vor der Sicherheitskonferenz, das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus würde die Konferenz als "eine Art Jahreshauptversammlung der Rüstungsindustrie" bezeichnen. In einer Presseerklärung merkte der Sprecher des Bündnisses, Klaus Schreer, dazu an:
So etwas Dummes haben wir natürlich nie gesagt. Wir sagen: Im Bayerischen Hof versammeln sich die Verantwortlichen und Drahtzieher der NATO-Aggressionskriege, bei denen in den vergangenen Jahren Zigtausende Menschen getötet wurden. Zweitens: Die SIKO ist eine Versammlung der wirtschaftlichen und politischen Machteliten vor allem aus den USA und den EU-Staaten. Sie sind verantwortlich für die weltweite Ungerechtigkeit und sie sind die Hauptverursacher von Hunger, Armut und Umweltzerstörung. Und drittens ist die SIKO ein Kriegs-Propaganda Forum, ein Forum zur Rechtfertigung der militärischen Aufrüstung und der weltweiten Kriegseinsätze der NATO- und der EU-Staaten.
Eine andere Art, sich als 'Wolf im Schafspelz' zu verkleiden, demonstrierte auf der Konferenz US-Vizepräsident Joe Biden, kaum überzeugender als durch den genannten Vergleich zu beschreiben. Er sagte in seiner Rede im Hinblick auf das Verhältnis der USA zu Russland, dass man natürlich nicht in allen Bereichen miteinander überein stimme: "Zum Beispiel werden wir Abchasien und Süd-Ossetien nicht als unabhängige Staaten anerkennen. Wir werden nicht zulassen, dass irgendeine Nation eine Einflusssphäre hat. Es wird Amerikas Ansicht bleiben, dass souveräne Staaten das Recht haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Verbündeten auszuwählen. All dies bleibt der Standpunkt der USA; das wird sich nicht ändern."
Man glaubt zu träumen. Wo hat etwa der souveräne Staat Kuba das Recht, seine eigenen Entscheidungen - ohne Beutelung durch US-Sanktionen - zu treffen? Wo hatte der souveräne Irak das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu treffen - ohne Invasionskrieg des USA? Wo hat das souveräne Syrien das Recht auf eigene Entscheidungen - ohne bewaffnete Interventionskräfte, die von Katar und Saudi-Arabien finanziert und ausgerüstet werden, von den USA und der EU - vor allem von Frankreich - logistisch, diplomatisch, organisatorisch gestärkt und angefeuert werden? Die Liste der Staaten, die keineswegs das Recht haben, bestimmte Entscheidungen zu treffen, die die globalen Herrschaftsansprüche der USA gefährden, ließe sich leicht umfänglich fortsetzen.
Eine weitere Verkleidung der imperialistischen 'Wölfe' besteht darin, eine Sprache zu verwenden, die verschleiert, abstrahierend umschreibt und nur den geübten und sehr aufmerksamen Zuhörer oder Leser die wahren Ziele und Strategien erkennen lässt. Solche Mechanismen der Meinungssteuerung sind selten direkt erkennbar, und gerade Obama und seine Führungsmannschaft sind außerordentlich geübt und Meister darin, den Menschen Sand in die Augen zu streuen, ohne dass dies direkt als solches erkennbar wird. Sein Vorgänger George W. Bush und dessen Regierungshelfer Cheney, Wolfowitz und Powell waren in dieser Hinsicht weniger sensibel und 'ungeschickt'. Wohl deswegen verdanken wir ihnen ein einmaliges und gut belegtes Beispiel für die Wolfsmethode der sprachlichen Verschleierung imperialistischer Politik.
Regelmäßig alle zwei Jahre erstellt die Regierung der USA ihre strategischen sicherheitspolitischen Richtlinien, in der Regel im Hinblick auf die militärischen Budgetplanungen. 1992 wurde in diesem Kontext ein Dokument 'Defense Planning Guidance' im Pentagon erstellt, in dem sehr offen eine imperialistische Strategie für die globale Politik der USA formuliert wurde. Hier wesentliche Auszüge:
"Es gibt ... Nationen oder Koalitionen, die das Potenzial haben, in der weiteren Zukunft strategische Zielsetzungen und Verteidigungsstellungen zur regionalen oder globalen Vorherrschaft zu entwickeln. Unsere Strategie muss nun als erstes darauf zielen, das Aufkommen irgend eines zukünftigen potenziellen, globalen Konkurrenten zu verhindern, der für uns eine Bedrohung von der Art der früheren Sowjetunion darstellt, weder auf dem Territorium der früheren Sowjetunion noch sonstwo.
...
Mit dem Verschwinden einer globalen militärischen Bedrohung von US-Interessen, werden in erster Linie regionale militärische Konflikte - einschließlich möglicher Konflikte, die auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion neu aufflammen - die USA in der Zukunft betreffen. Diese Bedrohungen werden wahrscheinlich in für die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten kritischen Regionen entstehen, einschließlich Europas, Ostasiens, des Nahen Ostens, Südwestasiens und des Territoriums der früheren Sowjetunion. Es stehen für uns ebenso wichtige Interessen auf dem Spiel in Lateinamerika, Ozeanien und in Afrika südlich der Sahara. In beiden Fällen werden die USA damit zu tun haben, die Vorherrschaft von Schlüsselregionen durch feindlich gesonnene Mächte zu verhindern.
...
Die NATO liefert uns weiterhin eine nicht verzichtbaren Grundlage für ein stabiles Sicherheitsumfeld in Europa. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, die NATO als das erstrangige Instrument sowohl der westlichen Verteidigung und Sicherheit, als auch als einen Kanal für den Einfluss und die Beteiligung der USA in europäischen Sicherheitsangelegenheiten zu erhalten. Während die USA das Ziel der europäischen Integration unterstützen, müssen wir doch danach trachten, das Aufkommen von nur auf Europa begrenzten Sicherheitsvereinbarungen zu verhindern, die die NATO unterhöhlen würden, besonders gilt letzteres für die integrierte Kommandostruktur der Allianz.
...
Im Nahen Osten und in Südwestasien ist insgesamt unsere Zielsetzung, die vorherrschende nicht regionale Macht zu bleiben und den Zugang der USA und des Westens zum Öl sicher zu stellen ... Wie sich durch die Invasion des Iraks in Kuwait gezeigt hat, bleibt es von grundlegender Bedeutung, einen Hegemonie erstrebenden Staat oder einer Vereinigung von Mächten von der Beherrschung der Region abzuhalten. Dies gilt vor allem für die arabische Halbinsel. Deshalb müssen wir weiter eine starke Rolle dort wahrnehmen, durch ausgeweitete Abschreckung und verbesserte kooperative Sicherheit."
Der Text des hier zitierten internen Strategiepapiers des Pentagons wurde bereits im Entwurf der New York Times zugespielt, die darüber ausführlich am 8. März 1992 berichtete und damit in der Folge einen Sturm des Protestes auslöste - selbst bei den sogenannten Verbündeten und Partnern der USA. Das Pentagon sah sich daraufhin veranlasst, den Text zu 'entschärfen'. Da vor allem aber Dick Cheney von den strategischen Darlegungen begeistert war, wurde diese bereinigte Version dann im April 1992 auszugsweise veröffentlicht.
Die Washington Post hat 2004 die Hintergründe und Rolle der Beteiligten beschrieben. Zu diesem Zeitpunkt waren die Akteure und Autoren von 1992 in den höchsten Positionen der US-Regierung unter Bush jun. angekommen - Cheney als Vizepräsident, Wolfowitz als 'Verteidigungsminister' und Powell als Außenminister. Die WP hat in ihrem Artikel auf einige der Textentschärfungen konkret hingewiesen.
So wurde jetzt nicht mehr von der "Verhinderung des Aufkommens von neuen Rivalen" der USA gesprochen, sondern es heißt lapidar: "Unsere grundlegendstes Ziel ist es, abzuschrecken und zu besiegen, gleich aus welcher Quelle [Bedrohungen auf uns zukommen...]." Der Text beschwört dazu den Erhalt von "Amerikas strategischem Rückraum" womit Erhalt und Stärkung der globalen Führungsrolle der USA, ihr riesiges Geflecht von Militärbasen im Ausland, Waffenarsenal und Militärtechnologie auf höchster Ebene gemeint waren. Bekräftigt wird die Zielsetzung einer vollständigen militärischen Überlegenheit, insbesondere durch neue Waffen und Technologien. Und statt der Drohung, dass man einem "Aufkommen eines neuen Rivalen" nicht tatenlos zusehen würde, und dass man so handeln würde, dass die Dinge sich in Richtung der US-Interessen wendeten, sprach der Text jetzt von der "Formung des zukünftigen Sicherheitsumfeldes".
In Wikipedia sind unter dem Titel 'Wolfowitz-Doctrin' noch sehr viel genauer eine Vielzahl von derart 'umweltfreundlich' geschönten Textstellen einander unmittelbar gegenübergestellt.
Nachdem, wie schon erwähnt, die Federführer und politischen Anwälte dieser imperialistischen Strategien von 1992 mit der Präsidentschaft von G. W. Bush 2001 in entsprechende Spitzenpositionen der USA gespült wurden, verfolgten sie konsequent deren Umsetzung - die Kriege gegen den Irak und in Afghanistan sind der am deutlichsten sichtbar gewordene und wahrgenommenen Ausdruck.
Mit dem Regierungsantritt von Barack Obama im Jahre 2009 wurde - allen Erwartungen zum Trotz - die Grundlinie der US-Außen- und Militärpolitik nicht verändert oder gar aufgegeben. Die zweijährig erfolgende Fortschreibung der strategischen 'Verteidigungs'-Richtlinien der USA von 2012 macht das deutlich, und zwar schon mit dem Titel 'Aufrechterhaltung der globalen US-Führerschaft'. In dem Vorwort von Barack Obama zu dieser Strategiedarlegung heißt es dann u.a.:
"Als Oberbefehlshaber bin ich entschlossen, uns den Herausforderungen des Augenblicks verantwortungsvoll zu stellen, so dass wir aus ihnen in der Weise gestärkt hervorgehen, dass die amerikanische [Anm.: er meint die USA] globale Führerschaft gewahrt bleibt, unsere militärische Überlegenheit aufrecht erhalten bleibt, und das wir unser Wort gegenüber der Truppe, den Familien der Militärangehörigen und den Veteranen einhalten. ... Diese Standortbestimmung ist entsprechend den weiter bestehenden nationalen Sicherheitsinteressen [US-]Amerikas gestaltet. Wir streben nach der Sicherheit unserer Nation, unserer Verbündeten und Partner. ... Wir werden uns [in der Zukunft] auf ein breiteres Feld von Herausforderungen und Möglichkeiten ausrichten, einschließlich der Sicherheit und des Wohlstandes im asiatisch-pazifischen Raums. Da eine neue Generation überall im Nahen Osten und in Nordafrika ihre universellen Rechte einfordert, unterstützen wir politische und ökonomische Reformen und vertiefte Partnerschaften, um [unsere ...] regionale Sicherheit zu gewährleisten. ... Sich diesen Herausforderungen zu stellen, kann nicht allein das Werk des Militärs sein. Deswegen haben wir alle Werkzeuge amerikanischer Macht gestärkt, einschließlich der Diplomatie, der Geheimdienste und des Heimatschutzes. ... Wir werden sicher stellen, dass unser Militär lebendig, flexibel und auf die ganze Bandbreite von möglichen Anforderungen vorbereitet ist. ... wir werden unsere Streitkräfte auf dem Stand der am besten ausgebildeten, am besten geführten und am besten ausgestatteten Kampfeinheiten in der Geschichte halten."
Man erkennt im Vergleich, dass die Säulen der US-Außen- und Militärpolitik 2012/13 und 1992 sich überhaupt nicht geändert haben. Unter Barack Obama wurde nur Wert auf den Einsatz "aller Werkzeuge amerikanischer Macht" gelegt, wurden die Verbündeten und Partner vor allem bei regionalen Konflikten mehr (auch finanziell) in Anspruch genommen, und es wurde vor allem und wo immer möglich die 'Schafssprache' ausgebaut.
Hinzu kommt eine vierte Variante der 'Wölfe im Schafspelz', die auf der diesjährigen 'Sicherheitskonferenz' in München ebenfalls angewendet wurde: Man spricht über die eigentlichen Ziele und Strategien und deren Berechtigung, aber auch etwa über den völlig außer-legalen Drohnenkrieg der USA einfach nicht. Dafür werden konkrete regionale Konflikte (Iran, Syrien, Mali) und das Wirken terroristischer Organisationen (Al-Qaida) in den Vordergrund gerückt und losgelöst von den grundlegenden Prämissen der dahinter stehenden Politik behandelt. Die Rede von US-Vizepräsident Joe Biden am Samstagvormittag und die dazu behandelten Fragestellungen sind fern jeder Behandlung der eigentlichen grundlegenden Zielsetzungen der USA: Welt-Führerschaft, sprich Welthegemonie. So, wie eben auch der Wolf im Märchen über alles redete, nur nicht darüber, dass er Rotkäppchen fressen wollte.
Was den Organisator der Münchener Sicherheitskonferenz, 'Botschafter Wolfgang Ischinger', betrifft, stellte die eingangs erwähnte Presseerklärung des Gegenbündnisses fest:
Ischinger, der seit Jahren versucht, der SIKO einen friedenspolitischen Anstrich zu geben, ist in Wirklichkeit das Sprachrohr der offiziellen Militärpolitik der NATO und insbesondere Deutschlands. Er trommelt für noch mehr Aufrüstung und für eine noch stärkere Kriegsbeteiligung Deutschlands und der EU. Das ist der Grund, weshalb wir – völlig zu Recht – Ischinger als "Wolf im Schafspelz" bezeichnen – Ischinger, der sich als Konfliktlöser darstellt, aber auf militärische Gewalt setzt.
Es gilt festzuhalten, dass Wolfgang Ischinger nicht der einzige 'Wolf im Schafspelz' auf der Sicherheitskonferenz ist und war. Für alle Hauptakteure - der US-Vertreter ist laut Süddeutscher Zeitung der wichtigste – ist so zu agieren eine der vornehmsten Übungen. Andere Teilnehmer, etwa aus Russland, dem Iran oder China sind dabei vor allem die Sparringspartner.
Text: hth / Foto: securityconference.de