15.06.2016: Mit Wasserwerfern hat die Polizei die gestrige Demonstration der französischen Gewerkschaften angegriffen. Weit über eine Million demonstrierten landesweit gegen das Arbeitsgesetz; die größte Demonstration seit Beginn der Proteste. Die Aktionen gehen weiter. Französische Gewerkschaften verteidigen die Demokratie in Europa, sagt Walter Baier.
Nach Angaben der französische Tageszeitung 'Le Monde' haben gestern (14.6.) eine Millionen in Paris und weitere 400.000 Teilnehmer in anderen Städten Frankreichs an den Aktionen gegen das Arbeitsgesetz teilgenommen. Damit haben, sagt die Gewerkschaft CGT, so viele teilgenommen wie noch nie seit Beginn der Proteste.
Demgegenüber spielt die Polizei die Teilnehmerzahlen herunter: Nur 75.000 bis 80.000 Menschen hätten sich an den Protesten beteiligt. Dafür steht bei ihr wie bei den bürgerlichen Medien die 'Gewalt' im Mittelpunkt. Tatsächlich kam es zu heftigen Straßenkämpfen als die Polizei die Demonstration mit Wasserwerfern, Tränengas und Schockgranaten angriff und Demonstranten die Granaten in die Reihen der Polizei zurückwarfen. Zahlreiche Demonstranten wurden verletzt, einer lebensgefährlich durch eine Gasgranate ins Rückenmark. Gewerkschafter gehen davon aus, dass Regierung und Polizei auch 'Agents Provocateurs' im Einsatz haben, um die Proteste kriminalisieren und das Arbeitsgesetz durchknüppeln zu können.
Die französische Regierung hält trotz der Proteste an ihrem Arbeitsgesetz fest. Sie rechnete allerdings auch nicht mit der starken Beteiligung am gestrigen Aktionstag, sondern ging von einem Abflauen des Widerstandes aus. Noch am Montag verteidigte Arbeitsministerin Myriam El Khomri zum Auftakt der Beratungen des Gesetzentwurfs im Senat die Regierungspläne. Im Parlament hat die Regierung das Gesetz über eine Notverordnung durchgepeitscht, weil sie keine Mehrheit gefunden hätte.
Französische Gewerkschaften verteidigen die Demokratie in Europa
Walter Baier, Koordinator von transform! Europe, meint zu dem Kurs der französischen Sozialdemokraten: "Die französische SP nimmt Kurs auf ihre Selbstzerstörung. Mit der 'Reform' des Arbeitsrechts verliert sie den letzten Rest Ansehen in der arbeitenden Bevölkerung. Die Durchsetzung des Gesetzes ohne Parlamentsentscheid auf dem Weg der Notverordnung setzt fundamentale demokratische Normen außer Kraft. Behält die Regierung die Oberhand gegenüber der Gewerkschaft, ist dem Front National Tür und Tor geöffnet. Siegt aber der Front National in Frankreich, hat die extreme Rechte den europäischen Durchbruch erzielt. Die französischen Gewerkschaften verteidigen daher heute nicht nur ihre in Jahrzehnten errungenen sozialen und politischen Rechte, sondern die Demokratie in Europa. Es wird höchste Zeit, dass die europäischen Gewerkschaften Solidarität entwickeln."
Die französischen Gewerkschaften bleiben kämpferisch
"Unsere Entschlossenheit bleibt", sagte der Generalsekretär der CGT, Philippe Martinez, nach der Demonstration. Die Regierung müsse die Forderung der Demonstranten akzeptieren. Auch die Gewerkschaft FO hält an weiteren Protesten fest. "Solange die Regierung sich nicht bewegt, werden wir den Druck aufrechterhalten", sagte deren Generalsekretär Jean-Claude Mailly hinzu.
Die Gewerkschaften haben für den 23. und 28. Juni bereits neue Aktionstage angekündigt (siehe ' Gemeinsames Kommuniqué der Gewerkschaften').
Gemeinsames Kommuniqué der Gewerkschaften CGT, FO, FSU, Solidaires, UNEF, UNL und FIDL
Alles bröckelt, aber nichts bewegt sich!
Paris, der 8. Juni 2016 - Die gewerkschaftlichen Organisationen, die sich im Kampf gegen das Arbeitsgesetz befinden, bekräftigen nachdrücklich ihre Entschlossenheit, sich für die Interessen aller jetzigen und zukünftigen Lohnabhängigen einzusetzen. Sie verfolgen mit großer Aufmerksamkeit die Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationen, die sich an den Aktionen nicht beteiligen, die aber ihre Missbilligung über das Gesetzesvorhaben zum Ausdruck bringen.
Die Gewerkschafts- und Jugendorganisationen sind sich ihrer Verantwortung bewusst und appellieren nochmals an die Regierung und die Abgeordneten, dass sie ihre Pflichten erfüllen, was den Schutz der Arbeitnehmer betrifft. Sie weisen darauf hin, dass dieser Gesetzestext nicht akzeptabel ist vor allem hinsichtlich
- der Umkehrung der Hierarchie der Normen,
- der Vereinbarungen über berufliche Weiterentwicklung und den Erhalt der Arbeitsplätze,
- der Lockerung der betriebsbedingten Kündigungen,
- der neuen Regelungen für die Mitarbeiterabstimmungen und die Arbeitsmedizin,
alles Faktoren, die die Arbeitnehmerrechte zerstören und das Prekariat fördern.
Daher sind sie der Auffassung, dass es für eine Regierung, die den sozialen Dialog befürwortet, unverständlich und inakzeptabel ist, dass der Präsident der Republik immer noch nicht auf das Schreiben der sieben Organisationen reagiert hat, die darum bitten, von ihm empfangen zu werden, um ihre Vorschläge zu unterbreiten.
Durch Drohungen und durch die Diskreditierung der sozialen Bewegung und durch den vergeblichen Versuch, die Gewerkschafts- und Jugendorganisationen gegen einander auszuspielen, wird der Konflikt über den Entwurf eines neuen Arbeitsgesetzes nicht geregelt werden. Sie bleiben verbündet und entschlossen zu gewinnen.
Die Mobilisierung bleibt wichtig und die selbstorganisierte Abstimmung ist sehr erfolgreich. Die Organisationen unterstützen den Kampf der Arbeitnehmer/-innen und aller, die sich ihnen anschließen, und sie rufen dazu auf, Streiks und Aktionen zu verstärken.
Wenn die Regierung uneinsichtig bleibt, werden die Gewerkschafts- und Jugendorganisationen die Gesamtheit der Arbeitnehmer/-innen, der Erwerbslosen und der Rentner, der Studenten und der Schüler aufrufen, die Aktionen gegen das Gesetz fortsetzen, so wie sie auf lokaler Ebene festgelegt wurden, nämlich:
- am 23. Juni 2016: Tag der Abstimmung im Senat (Streiks, Konfrontation der Abgeordneten mit unseren Forderungen, Versammlungen, Demonstrationen, Pressekonferenzen ...)
- am 28. Juni 2016: Übergabe der Ergebnisse der selbstorganisierten Abstimmung an die regionalen Regierungsvertreter (Präfekten) und der Ergebnisse der Pariser Region an das Büro des Präsidenten der Republik, begleitet mit Streiks und Demonstrationen.
Schon jetzt kündigt sich der 14. Juni als ein Tag einer starken Mobilisierung an, an dem wir mit der Teilnahme und der Unterstützung von Abordnungen europäischer und internationaler Gewerkschaften rechnen können, die jeden Tag ihre Solidarität ausdrücken.
Lassen wir uns nicht einschüchtern und leisten wir Widerstand.
Wir, die gewerkschaftlichen Organisationen, rufen dazu auf, für eine Rücknahme des Arbeitsgesetzentwurfs und die Erweiterung der Arbeitnehmerrechte abzustimmen.
Wir rufen dazu auf, zahlreich an dem Streik und der Demonstration am 14. Juni in Paris teilzunehmen.
https://www.solidaires.org/Communique-de-l-intersyndicale-CGT-FO-FSU-Solidaires-UNEF-UNL-FIDL-4877
Übersetzung aus dem Französischen von Claude und Uta Berny, Mainz – 11.06.2016 / SiG-Redaktion
CGT Confédération générale du travail - FO Force Ouvrière - FSU Fédération Syndicale Unitaire - Solidaires Union syndicale
Solidaires - UNEF Union Nationales des Etudiants de France - UNL Union Nationale Lycéenne - FIDL Fédération Indépendante et
Démocratique Lycéenne
siehe auch
- Trotz Fußball-EM: Aktionen gegen das „Arbeitsgesetz“ gehen weiter
- Frankreich: Hollande/Valls praktizierten antidemokratischen Gewaltakt
- Frankreich: Regierung macht Zugeständnisse
- 1,2 Millionen demonstrierten in Frankreich gegen die Regierungspläne zur Verschlechterung des Arbeitsrechts