12.06.2015: Schleswig - Holsteins Landeshauptstadt rüstet sich zur „Kieler Woche“. In einer Woche startet das Volksfest und Segel-Event, zu dem über 5.000 Segler aus aller Welt und über 3 Millionen Besucher erwartet werden. Doch neben den vielen heiteren Momenten entwickelt sich die Festwoche leider immer mehr zu einem Stelldichein von NATO-Marine und Rüstungsindustrie. So ankern in diesem Jahr 30 Kriegsschiffe mit 3.000 Soldaten aus NATO-Staaten im Hafen. Die größten NATO-Manöver in der Ostsee seit Ende des Kalten Krieges finden unmittelbar vor der Kieler Woche statt.Und es gibt in diesem Jahr eine Premiere auf der „Kieler Woche“: So wie München alljährlich zu Jahresanfang seine „Sicherheitskonferenz“ hat, so soll mit der „Kiel Conference“ jährlich während der „Kieler Woche“ eine maritime Kriegskonferenz etabliert werden.
Am 23. Juni treffen sich geladene Gäste aus Politik, Militär, Wissenschaft und Industrie um über geostrategische Bestrebungen der NATO-Politik - insbesondere im Ostseeraum - zu beratschlagen. Konkret geht es laut offizieller Ankündigung um so wichtige Dinge wie die „Effektivität der Seestreitkräfte“ oder um den „Fluch oder Segen von Seeminen.“ Neben hochkarätigen Militärs und ihren wissenschaftlichen Vordenkern sind zur Kiel Conference maritime Rüstungskonzerne wie ThyssenKrupp und Airbus geladen, die durch Rüstungsproduktion einen Großteil ihrer Profite einfahren und ihr Feld im Ostseeraum weiter bestellen wollen.
Ausrichter der Kiel Conference sind das Institut für Sicherheitspolitik (ISPK) an der Uni Kiel und das NATO-Exzellenzzentrum COE CSW. Beide sind eingebunden in ein Netzwerk von Wissenschaft, Rüstungsindustrie und militärischen Einrichtungen. „Die Konferenz soll die Bedeutung der Kieler Woche mit Blick auf die Sicherheitspolitik stärken“, so Joachim Krause, Direktor des ISPK, der federführend die Konferenz vorbereitet. Der Kommandeur der Einsatzflottille 1 (der gleichzeitig Direktor des COE CSW ist) Kapitän zur See Jan Kaack, freut sich auf die Kiel Conference als neues Format für die Kieler Woche und gibt auch gleich die Blickrichtung vor. Es gelte nämlich „den Entwicklungen im Ostseeraum ihre Aufmerksamkeit zu widmen. In der Ostsee kann niemand mehr allein die Herausforderungen der Zukunft schultern.“ (KN 28.4.15). Auf der Gästeliste der Konferenz steht u. a. auch US-Admiral Brad Williamson. Der Flottillenadmiral führt derzeit mit dem Kreuzer „Vicksburg“ den Nato-Einsatzverband 2. Der Verband hat seit Januar an Manövern im Schwarzen Meer, dem Mittelmeer und im Atlantik teilgenommen. Mitte Mai hatten in der Ostsee mehrere Manöver begonnen, die am 19. Juni in Kiel enden.
Die NATO-Krieger und mit ihnen die Wissenschaftler des ISPK nutzen zur Bemäntelung ihrer Kriegs-Szenarien gerne den Begriff „Frieden“. So sehen sie sich mit dieser Konferenz nach eigenem Anspruch in der Friedenstradition der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), deren Leitspruch „Pax Optima Rerum“, („Der Frieden ist das höchste Gut“) lautet. „Aber“, so das Institut auf seiner Homepage, „die außenpolitischen Ereignisse des vergangen Jahres haben leider deutlich gemacht, dass der Frieden so bedroht ist wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Der Ostseeraum ist davon leider nicht ausgenommen. Der Bundesrepublik Deutschland kommt hier eine besondere Verantwortung bei der Konfliktverhütung zu. Das ISPK will mit der Kiel Conference hieran anknüpfen.“
Gegen diese Kriegskonferenz regt sich breiter Widerstand. Ein Bündnis vom AStA der CAU über den DGB, die Grüne Jugend, Die Linke, DKP und antimilitaristische Gruppen bis hin zum Kieler Friedensforum will am 23. Juni unter dem Motto »War starts here – Keine Kriegskonferenz in Kiel!« auf die Straße gehen. Bereits für den 15. Juni ist eine Veranstaltung geplant, bei der Tobias Pflüger (IMI), Ruben Reid, der AStA-Beauftragte zur Einführung einer Zivilklausel an der CAU und andere Engagierte gegen Kriegslogik und Rüstungsindustrie Stellung beziehen werden.
In dem Aufruf zu den Aktionen gegen die Kriegskonferenz heißt es u.a.:
• „Kiel ist Rüstungsstandort, der Krieg beginnt hier. Hier werden Waffen für die Konflikte der Welt produziert. Wir wollen, dass Kiel zu einer Stadt des Friedens wird, in der für zivile Zwecke produziert wird.
• Die massive Präsenz der NATO, die Manöver in der Ostsee und die Ausladung Russlands positionieren die Kieler Woche einseitig in den gegenwärtigen Konflikten. Statt auf Ausgleich wird auf weitere Zuspitzung und Konfrontation gesetzt. Dabei spielt Deutschland eine treibende Rolle bei der Erschließung neuer Absatzmärkte im Osten.
• Wir wollen, dass die Kieler Woche nicht dem Krieg dient, sondern sich an dem orientiert, was der Kieler Oberbürgermeister Andreas Gayk 1948 so formulierte: „Über alle Grenzen der Nationen und Parteien hinweg soll die ‚Kieler Woche’ uns ein Gemeinsames geben: Das Bekenntnis zur Humanität, das Bekenntnis zur Menschlichkeit und das Bekenntnis zum Frieden.“
Text: gst
Hintergrundinformation
ISPK
Laut Eigendarstellung widmet sich das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) "der Analyse sicherheitspolitischer Herausforderungen. Das ISPK hat es sich dabei zur Aufgabe gemacht, mit policy-orientierter Forschung einen Beitrag zum sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland zu leisten. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit des ISPK, ein interdisziplinäres und praxisorientiertes Forschungsangebot bereitzustellen. Neben der universitären Forschung und Lehre widmen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts der Beratung von Politik, staatlichen Institutionen, Medien und Wirtschaft.
Die Schwerpunkte der Forschung liegen dabei auf der Konflikt- und Strategieforschung, der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, der internationalen Sicherheitsarchitektur, der Stabilisierung fragiler Staaten, der maritimen Sicherheit sowie asymmetrischen Herausforderungen wie transnationaler Terrorismus.“ In dem Forschungakatalog taucht zwar auch der Bereich "nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung" auf – dazu sind allerdings in jüngerer Zeit keine Äußerungen oder Studien bekannt.
Ins Leben gerufen wurde das Institut 1981 von dem konservativen CDU- Politik-Professor Walter Kaltefleiter, der mit dem Institut ein Gegengewicht zu wissenschaftlicher Friedens-Konflikt- und Konversionsforschung im Zusammenhang mit der erstarkenden Friedensbewegung in der Bundesrepublik schaffen wollte. Als Direktor des ISPK war Kaltefleiter zudem von 1981–1998 Veranstalter des jährlichen „Postgraduate Summer Course on National Security“ in Kiel, an dem vorrangig NATO-Politiker und -Militärs teilnahmen, so u.a. auch Angehörige der chilenischen Militärjunta, des südafrikanischen Rassistenregimes und afghanische „Freiheitskämpfer“.
Seit 2002 ist Joachim Krause Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik. Krauses Kernthese zu den gegenwärtigen internationalen Konflikten hat er Anfang Februar - im Vorfeld der diesjährigen Münchner „Sicherheitskonferenz“ - kurz und prägnant in einem Interview im Handelsblatt formuliert. Das größte Manko, so Krause, ist, dass die USA und ihr Präsident Barack Obama als verlässlicher Krisenlöser ausfallen. „Der Unwille Obamas, die internationale ordnungspolitische Rolle der USA wahrzunehmen, wird weltweit zu Verunsicherung und Anarchie beitragen.“ (Handelsblatt 6.2.15).
NATO - COE CSW
Das Center of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters (Kompetenzzentrum für Operationen in engen und flachen Gewässern) ist eine internationale militärische Organisation, die die Deutsche Marine im Rahmen eines Programms der NATO betreibt. Es hat seinen Sitz beim Stab der Einsatzflottille 1 in Kiel. Center of Excellence (COE) der NATO sind Dienststellen mit dem Rechtsstatus einer Internationalen Militärischen Organisation (Grundlage: Pariser Protokoll von 1952).
Als CSW wird ein militärisches Operationsgebiet bezeichnet, das sehr verkehrsreich ist und – da es zumeist verschiedene Hoheitsgewässer sowie Teile mehrerer Wirtschaftszonen umfasst – häufig auch ein umstrittenes Operationsgebiet darstellt, das infolge eingeschränkter Bewegungsmöglichkeiten und seiner außergewöhnlichen Komplexität besondere Herausforderungen an die Marine stellt. Besondere Herausforderungen stellen dabei die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den vorherrschenden operativen Bedingungen und den dort durchzuführenden militärischen Aufträgen dar, die unter anderem zu einem großen Überraschungspotenzial führen. Aufgrund dieser Besonderheiten stellen CSW ein hoch anspruchsvolles militärisches Einsatzgebiet dar.
Das COE CSW arbeitet mit einer Reihe akademischer Institutionen zusammen, so mit der Universität der Bundeswehr in München, der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und dem ISPK. Im Bereich der Wirtschaft bestehen enge Kontakte zu einer großen Anzahl an Partnern in den Bereichen der Rüstungsindustrie.
Deutschland stellt die Infrastruktur, die grundsätzliche Ausstattung, einen erheblichen Teil der finanziellen Zuwendungen, die administrative Unterstützung sowie eine große Anzahl an Fachexperten zur Verfügung. In der COE CSW sind Griechenland, die Niederlande,die Türkei, Polen und Italien als sog. Sponsoring Nations vertreten. Sponsoring Nations sind NATO Mitglieder, welche sich finanziell sowie mit Fachexperten am COE CSW beteiligen. Schließlich sind die USA im Rahmen des Personnel Exchange Program im COE CSW vertreten.