Meinungen

14.09.2012:  Nach dem Massaker der Polizei Südafrikas an den streikenden Bergarbeitern der Platinmine Lonmin in Marikana breiten sich die Proteste und Streiks weiter aus. Gestreikt wird inzwischen auch in den Bergwerken von Anglo American Platinum (bei Rustenberg), Impala Platinum und einer Mine von Gold Fields bei Johannesburg. In dieser Goldmine streiken bereits 15.000 Arbeiter. Staatspräsident Zuma, seine Regierung und die eigentliche Regierungspartei, der ANC, finden weder zu einer wirksam helfenden Haltung gegenüber den kämpfenden Arbeitern, noch schaffen sie es, verspieltes gesellschaftliches Vertrauen zurück zu gewinnen. Das jedenfalls meint eine südafrikanische kritische Stimme:

Es ist nicht so, dass der ANC sich nicht bewusst wäre, dass seine hauptsächliche Schwäche und wichtigsten Mängel ihn in seiner vorrangigen Aufgabe scheitern lassen könnten - der politischen Führung Südafrikas. Die Befreiungsorganisation des Anti-Apartheid-Kampfes sprach auf ihrer politischen Konferenz im Juni offen darüber. Die politische Erklärung dieser Konferenz führte aus, dass die Herausforderungen des Regierens und die politische Verwaltung der Staatsmacht den Charakter und die Werte des ANC als eines "Dieners des Volkes" beschädigt hätten. Sieben "Gefahren" müssten beseitigt und als Regierungspartei bewältigt werden:

  • Soziale Entfernung und Isolation der Partei von den Volksmassen
  • Staatlicher Bürokratismus
  • Korruption und Neo-Patrimonismus (Paternalistische Strukturen)
  • Institutionalisierte Fraktionsbildung, Disziplinlosigkeit und Uneinigkeit als Brandmittel bei den Kämpfen um die Kontrolle der Staatsmacht und der Ressourcen des Landes
  • Ausnutzung der staatlichen Institutionen zur Ausfechtung von parteiinternen Differenzen
  • Vernachlässigung der Kaderpolitik
  • Fehlen von Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Durchsetzung einer Politik zur schnellen Verbesserung des Lebensstandards der Volksmassen.


Zudem haben nach Einschätzung des ANC in diesem Dokument "Fraktionsbildung und andauernde innere Streitereien" die Orientierung der Mitglieder von "gesellschaftlicher Besorgtheit und den Erwartungen der Menschen" abgelenkt. "Drastische Maßnahmen und konsequente, stimmige Aktionen gegen diese negativen Tendenzen sind zur Ausrottung von Anarchie und Verfall notwendig."  Das Juni-Dokument des ANC stellt besorgt fest, dass die Grundeinheiten der Organisation die "Isolation von den Massen" eher verstärken, als dass sie die Volksmassen "in das Zentrum unserer Anstrengungen zur grundlegenden Veränderung unserer Gesellschaft" stellten.

Wenn nun also der ANC als Organisation all dieses weiß und seine Schwäche bekennt, warum ist er dann so im Sterben liegend und unfähig, auf die verzweifelten Rufe seiner Unterstützerbasis einzugehen? Warum ist er unfähig, auf die Alarmglocken überall in der Gesellschaft einzugehen, die vor dem sozialen und wirtschaftlichen Zusammenbruch warnen? Und warum lässt er sich von seinem früheren Jugendführer und Rattenfänger [Julius Malema] vorführen, der aufzeigt, dass er im Alleingang die unzufriedenen gesellschaftlichen Gruppen erreichen kann, während die ANC-Organisation mit Millionen Mitgliedern das nicht schafft?

Ein eigentlich nachrangiges Ereignis dieser Woche erklärt vielleicht die Wirkung von Julius Malema in der jetzigen Krisensituation Südafrikas. Am Mittwochmorgen riefen einige mediale Schlagzeile "oberste Alarmstufe" aus, nachdem die Regierung zum ersten Mal seit der demokratischen Zeitphase in Südafrika für alle Militärstützpunkte des Landes die höchste Sicherheitsstufe angeordnet hatte. Anlass war ein Treffen des im Frühjahr aus dem ANC ausgeschlossenen früheren Präsidenten der Jugendliga, Malema, mit Soldaten in der Nähe eines Militärstützpunktes bei Johannesburg. Die gerade in New York weilende Verteidigungsministerin Nosiviwe Mapisa-Nqakula erklärte in Zeitungsinterviews, dass es so aussehe, als ob Malema darauf aus sei, Mitglieder der Nationalen Verteidigungsstreitkräfte Südafrikas (SANDF) gegen den Staat  auszurichten.

"So etwas darf in den SANDF nicht geschehen," sagte sie. "Es darf nicht von uns zugelassen werden, dass ein gewöhnlicher Bürger sich in der Absicht erhebt, Mitglieder der SANDF gegen diese aufzubringen. Denn das geschah auch in Marikane und es geschah in der Bergwerkindustrie unter den Arbeitern. ... Das ist nicht hinnehmbar, es ist falsch, es ist unkorrekt und es wird niemals richtig sein. Meine Sicht ist, dass sie alle Verräter sind ... Dies sind alles Anzeichen dafür, dass es sich um eine Konterrevolution handelt, leider.

Die Verteidigungsministerin hatte bereits im Vorfeld die an dem Treffen im Lenasia Recreation Centre anwesenden Soldaten vor den Konsequenzen gewarnt, wenn sie sich am Mittwoch nicht zum Dienst meldeten. Und die New York Times berichtete, dass am Dienstag unter Beteiligung mehrerer Minister hinsichtlich des von Malema organisierten Treffens geheimdienstliche Sicherheitsunterweisungen höchster Stellen abgehalten wurden.

Doch eigentlich erwies sich alles als ein Sturm im Wasserglas. Eine kleine Gruppe entlassener Soldaten traf in einem Saal in einiger Entfernung von dem Militärstützpunkt mit Malema zusammen. Sie erzählten ihm von ihrer Niedergeschlagenheit, nachdem sie 2009 wegen eines Streiks für mehr Gehalt entlassen wurden. Ihre Entlassung wurde dann später von einem Gericht als rechtswidrig aufgehoben. Sie wurden wieder eingestellt und - in 'Sonderurlaube' geschickt.

Für diese Soldaten muss es ganz offensichtlich gewesen sein, dass Malema als Zivilist ohne politische Macht und ohne Einfluss im Staat ihnen nicht wirklich helfen konnte. Es schien, als wollten sie nur jemanden treffen, der ihnen zuhört und Sympathie für ihre Probleme zeigt. Und genau so agierte er auf dem Treffen mit den Soldaten, und ebenso tat er es in Marikana nach dem Polizeimassaker. Und er nutzte diese Ereignisse und die überbordende Medienpräsenz, um gegen Staatspräsident Zuma und den Staat selbst Front zu machen.

"Wir sind hier, weil wir von euren Problemen hörten. Wir brauchen von niemandem eine Erlaubnis, um zu kommen und euch zuzuhören," sagte Malema zu den Soldaten. Er beabsichtige keine Meuterei: "Ja, wir mögen diese Regierung nicht, aber wir wollen sie auf demokratischem Wege zu Fall bringen." Die panische Reaktion der Regierung auf dieses Treffen sei das gleiche Verhalten, welches zu den Polizeischüssen auf die Bergwerksarbeiter in Marikana geführt habe. Er nahm auch das Fehlen jeden Eingehens der Regierung auf die diversen Krisen des Landes auf Korn. "Was läuft in diesem Land denn richtig? Alles bricht zusammen. Die Menschen verlieren das Vertrauen," sagte er.

Er weiß natürlich genau, dass seine früheren Kameraden unfähig sind, ihn bei diesen Anklagen entgegen zu treten. Denn sie sind einfach wahr. Die Menschen sind extrem enttäuscht und verlieren das Vertrauen in die gewählte Führung in allen Bereichen der Regierung. Nur - es scheint in der Regierungspartei eine wachsende Lähmung um sich zu greifen, überhaupt noch auf die vielfältigen Bekundungen dieser Enttäuschungen eingehen zu können.

Aubrey Matshiqi, ein politischer Beobachter und Forschungsmitglied in der Helen Suzman Foundation vertritt die Meinung, dass der ANC unfähig ist, als das strategische Machtzentrum zu wirken, das er zu sein behauptet. Obwohl der ANC zugibt, dass er einen großen sozialen Abstand zu seiner Unterstützungsbasis hat, gelingt es ihm überhaupt nicht, etwas dagegen zu tun. "Das Misslingen der Reduktion des sozialen Abstandes in Marikane oder anderswo, ist ein Anzeichen, dass der ANC sich in einem Status des Niedergangs befindet. Um dies zu ändern, müsste er weniger instabil und mehr gefestigt sein," so Matshiqi. Seiner Ansicht nach unterlaufen die parteiinternen Schlachten in der Führung die Fähigkeit des ANC, die ihm eigentlich zukommende Rolle in der Gesellschaft auszuüben. Das oben erwähnte Dokument des ANC vom Juni 2012 beschreibt diese Rolle als "dem Volke dienen und seine Interessen allem anderen voran zu stellen".

Es ist manchmal schwer zu glauben, dass diese Organisation dieselbe ist, die über Jahrzehnte und unter extremer staatlicher Unterdrückung stets auf Engste mit den Volksmassen verbunden war. Selbst als er verboten war, war er doch die Stimme der übergroßen Mehrheit der Südafrikaner und teilte ihr Leiden und ihre Kämpfe. Jetzt wo er die gewählt Staatsmacht darstellt mit all den dort verfügbaren Ressourcen, verschließt der ANC vor denjenigen die Augen, die seine Unterstützung am dringendsten nötig hätten.

Matshiqi meint, dass Julius Malema von dem politischen Führungsvacuum im ANC profitiert, obwohl dessen Zugewinne kaum sehr lange anhalten würden. ANC und die Regierung hätten in geradezu lächerlicher Weise und Panik wie ein Überwachungsstaat auf das eher belanglose Treffen Malemas mit den Soldaten reagiert. Der ANC habe zudem viele Entscheidungen der letzten Monate und Jahre, einschließlich des Ausschlusses von Malema, mehr an den Erwartungen von 'internationalen Investoren' ausgerichtet, als an dem Geist und den Inhalten der eigenen Verfassung. Vor allem aber die Ereignisse in Marikana hätten wirklich deutlich gemacht, in welchem Maße der  ANC den Kontakt zur Wirklichkeit verloren habe.

Während der ganzen Tragödie war der ANC abwesend, bot der betroffenen, traumatisierten Gemeinschaft nicht einmal grundlegende humanitäre Hilfestellung. Jetzt, wo die Streiks sich in allen Bereichen und großen Anlagen des Bergbaus ausbreiten, ist der ANC nicht mehr in der Lage, die Unzufriedenheit der empörten Arbeiter zu bändigen.

"Es gibt mehrere Erklärungen für das Geschehene. Was die Führungsebene des ANC abgeht, so hat sie den Kontakt zu den Menschen verloren. Qualitiv gesehen, ist die derzeitige Führung des ANC den sich stellenden Herausforderungen nicht gewachsen. Ist ist zu sehr gespalten, um eine effektive Führung auszuüben. All diese verschiedenen Elemente spielen dann zusammen," meint Matshiqi.

Ein Beispiel dafür ist die Weigerung der Präsidentschaft Jakob Zumas, sich mit der populistischen Bezeichnung Südafrikas von Julius Malema als eine "Bananenrepublik" und ein "barbarisches Regime unter Präsident Zuma" überhaupt auseinanderzusetzen. Der Sprecher des Präsidenten Mac Maharaj wischte die kritische Qualifizierung mit den Worten vom Tisch: "Wir wollen keinen Erzählungen zur Anerkennung verhelfen ... indem ich oder der Präsident das kommentieren. Sie erwarten doch wohl nicht, dass er (Zuma) etwas dazu sagt?"

Das drückt sich gleichfalls in einer Parlamentsdebatte vom gestrigen Donnerstag aus, als der Abgeordnete Leonard Ramatlakane die generelle Militarisierung der Polizei als einen "langsamen Schritt zurück nach Vlakplaas" (dort operierten in der Apartheidzeit Todesschwadronen der Polizei) bezeichnete, der jetzt folgerichtig zu dem Massaker in Marikana und den Schlägertruppen von Cato Manor geführt habe. Da fiel Zuma nur ein, dass dies eine "Übertreibung der Tatsachen" sei, schließlich habe es auch früher schon Tote bei Polizeieinsätzen gegeben. [Anm: Nun hat jedoch der südafrikanische Gewerkschaftsverband COSATU selbst eben diese Militarisierung der Polizei kritisiert. Und eine Reihe von akribischen Nachforschungen und Überprüfungen des Geschehens in Marikana beweisen sehr klar, dass die Polizei einen großen Teil der getöteten Arbeiter vorsätzlich und geplant erschossen hat.]

Das Problem dieser Haltung Zumas, die vollständig dem allgemeinen Umgang der Regierung mit Kritik entspricht, ist, dass sie all denen, die sich enttäuscht und von ihrer Führung verlassen fühlen, weder ein Gehör noch irgendeine Anerkennung und Aufmerksamkeit schenkt. Viele der so allein Gelassenen wenden sich dann Leuten wie Malema zu. Er scheint der einzige zu sein, der in Südafrikas Gesellschaft den Geknechten zuruft: "Ich höre euch!" Aber Julius Malema hätte keinen Zulauf, wenn der ANC und seine Vertreter in der Regierung dies überzeugend selbst täten und dabei wenigstens einen Ansatz von Führungsstärke im Handeln zu Gunsten der Volksmassen bewiesen.

Text und Übersetzungen: hth 
Quelle: Daily Maverick (Ranjeni Munusamy)  /  Foto: Sipho Hlongwane

 

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

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Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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