08.06.2013: Der Münchner Streik- und Aktionstag von verdi am 7. Juni 2013 begann mit einem kleinen Rekord: Über 500 Kolleginnen und Kollegen hatten sich am Vormittag in die Streiklisten im Gewerkschaftshaus eingetragen, so viele wie seit fast 25 Jahren nicht mehr. Bei der anschließenden Demonstration und Kundgebung auf dem Münchner Karlsplatz/Stachus waren es rund siebenhundert Kolleginnen und Kollegen. Viele hatten ihre Mittagpause genutzt, um die Streikaktion zu unterstützen.
Verdi reagierte mit diesem Aktionstag, der auch in NRW, Baden Württemberg, Rheinland Pfalz und Hamburg stattfand, auf die Unternehmerprovokation, den Manteltarifvertrag zu kündigen und gravierende Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen einzuführen und unterstrich damit die Forderung nach 6,5% mehr Lohn. Geplant sei, so Hubert Thiermeyer, Fachbereichsleiter Einzelhandel bei Verdi in Bayern, eine totale Flexibilisierung, die Streichung von Zuschlägen und Bezahlung von 20 Stunden bei 70 Stunden Verfügbarkeit für die Firma.
Ein unübersehbares Meer aus Kolleginnen und Kollegen mit neongelben verdi-Westen skandierte immer wieder: „Gute Arbeit –gutes Geld“ und „fair heißt mehr“. Auf den Transparenten sichtbar die Kolleginnen und Kollegen von Karstadt, Tengelmann, H&M, Zara, XXXLutz, real, esprit, netto, Kaufland oder Hugendubel.
Heiner Birner, Verdi-Geschäftsführer in München, betonte die Vermögensungleichheit in Deutschland: In Deutschland gibt es 9 Bill. Euro privates Vermögen. Eine kleine Schicht von 10% besitzt davon zwei Drittel. Gleichzeitig gelten 12 Millionen Menschen in Deutschland als arm. 3 Millionen davon sind Kinder.
Stefanie Nutzenberger, Verdi-Bundesvorstand, Fachbereich Handel, wies den Vorwurf zurück, Verdi treibe Machtspiele und sagte: Ja, es geht um Macht, aber nicht um Spiele. Die Macht der Unternehmer führe dazu, dass in Deutschland Dumpinglöhne mit jährlich 1,5 Mrd. Euro durch unsere Steuergelder aufgestockt werden müssen. Bei Karstadt haben die Kolleginnen und Kollegen auf insgesamt 650Mill. Euro Lohn verzichtet. Jetzt sagen wir zum angeblichen Investor Berggruen: Her mit dem Geld für die notwendigen Investitionen. Seit Januar dieses Jahres sind 20.000 Kolleginnen und Kollegen allein beim Verdi-Fachbereich Handel Mitglied geworden und ohne Tarifvertrag werden wir Unruhe und Konflikte in die Betriebe tragen.
Gewerkschaftssekretär Hubert Thiermeyer gratulierte den Kolleginnen und Kollegen, von denen die meisten zum ersten mal an einem Streik teilgenommen haben: „Ihr seid das Gesicht des Handels, ohne euch läuft nichts in dieser teuersten Einkaufsmeile Europas und heute habt ihr Mut zum Streik gezeigt, ihr habt den Arsch in der Hose, wie man hier sagt“. Der Handel, so Thiermeyer, bringe Armut und Reichtum hervor. Von den 10 reichsten Menschen Deutschlands haben fünf ihr Vermögen im Bereich des Handels zusammengerafft. Gleichzeitig wissen viele Kolleginnen und Kollegen im Handel nicht, wie man mit 1000.- oder 1500.- € brutto in München leben soll. Und das bei einem Job, den die Manager dieser Branche keine Woche überstehen würden. Mehr Lohn sei auch eine Frage der Würde, des Respekts und der Anerkennung der Leistungen der Beschäftigten im Handel.
Orhan Akmann, Verdi-Sekretär und Stadtrat der Partei Die Linke erinnerte an die Geschichte dieser Fußgängerzone:
Schon 1953 lieferten sich hier Kolleginnen und Kollegen des Einzelhandels eine große Straßenschlacht mit der Polizei. Damals ging es um das Ladenschlussgesetz. Wer heute erneut den Ladenschluss verlängern und die Schutzrecht der Kollegen abschaffen will, wird sich bei den anstehenden Wahlen eine blutige Nase holen.
Am Schluss der Kundgebung gab es dann noch eine Premiere. In der umsatzstärksten Fußgängerzone Europas zwischen Stachus und Marienplatz wurde eine Menschenkette gebildet, mit der Passanten auf die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen aufmerksam gemacht wurden. Die Grundstimmung der teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen: Wir haben Kraft gezeigt und wir kommen wieder um unsere Forderungen durchzusetzen.
Text: Walter Listl Fotos: sosch
siehe auch: Tarifrunde Einzelhandel: Generalangriff auf 3 Millionen Beschäftigte