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Uruguay Frente-Amplio 2012 FedeRacchi22.11.2013:  Wer heute in Uruguay eine Zeitung aufschlägt, kann kaum glauben, dass die nächsten Präsidentschaftswahlen erst im Oktober 2014 stattfinden. Seit Wochen verfolgen die Medien tagtäglich die politischen Konstellationen, mit denen die Kandidaten aller Parteien sich in Stellung bringen. Da die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten ausgeschlossen ist, sind auch innerhalb der Frente Amplio (FA) Bündnisgespräche im Gange. Wahrscheinlich werden alle Parteien für den ersten Wahlgang mehrere Bewerber_innen ins Rennen schicken, bevor die Wähler in einer Stichwahl ("balotaje") die Entscheidung treffen.

Bei den beiden konservativen Parteien bleiben die Kandidaturen wohl "Familiensache": Aussichtsreichster Bewerber bei den Blancos (Partido Nacional) ist Luis Alberto Lacal le Pou, Sohn eines Ex-Präsidenten. Bei der Colorado-Partei werden voraussichtlich José Amorín Battle aus alter Politiker-Dynastie sowie Pedro Bordaberry antreten, Sohn des jüngst gestorbenen Diktators.

Die kleine Unabhängige Partei (PI) will ihren Vorsitzende Pablo Mieres aufstellen. Für die Frente Amplio kandidieren der vormalige Präsident Tabaré Vásquez, ihm zur Seite die Parteilinke Constanza Moreira.

Mit dem Kandidatenkarussell ist auch die interne Debatte um die Zukunftsaufgaben wieder in Bewegung geraten. Was wurde in zwei Legislaturperioden der Frente Amplio erreicht? Wie soll es weitergehen? Wo liegen die Prioritäten? Was ist machbar? Fragen finden Eingang in den Alltag vieler Menschen und ihre Diskussionen im Kreis von Freunden,Frente Ampliomilie und Kollegen, an der Theke und in den elektronischen Netzwerken (wer den letzten deutschen Bundestagswahlkampf und sein mediengesteuertes Event-Management vor Augen hat, kann sich eine solche programmatische Debatte nur schwer vorstellen). Das wird im nächsten Jahr anhalten, höchstens unterbrochen durch die Tage der Fußball-WM im hiesigen Winter.

Was ist "gesellschaftlicher Wandel" hier und jetzt?

Als die Frente Amplio in den 90er Jahren die hundertjährige Zwei-Parteien-Herrschaft erfolgreich aufbrach, standen der Wunsch und das Versprechen für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel im Vordergrund; Prosperität, sozialer Ausgleich, Umverteilen, Beseitigung der Einkommensarmut, Ausbau des Bildungssystems, innerer und äußerer Frieden, individuelle Freiheiten, Rechtssicherheit und Korruptionsbekämpfung, Gesundheitsreform – das waren die wichtigsten Eckpunkte.

Löhne verdoppelt, aber Inflation steigt mit.

Das Erreichte kann sich durchaus sehen lassen. Die Programme gegen Armut und Arbeitslosigkeit zeigen Wirkung. Der wirtschaftliche Aufschwung hat sich für die Uruguayer_innen mit steigender Kaufkraft bezahlt gemacht. So haben sich die Einkommen aus abhängiger Arbeit in den letzten zehn Jahren glatt verdoppelt. Doch diese Wirtschaftsordnung hieße nicht Kapitalismus, wenn die Unternehmen sich die steigenden Arbeitskosten nicht über die Verbraucherpreise wieder hereinholen würden; und auch der Staat kassiert über steigende Abgaben und Gebühren mit.

So wird wohl die Inflationsrate am Ende des Jahres die 'Schallmauer' von 10 Prozent erreichen. Das Land erlebte gerade, wie immer vor den Wahlen, eine Serie von Tarifverhandlungen und Warnstreiks. Weil es im Wahljahr keine Lohnverhandlungen im öffentlichen Dienst und den staatsnahen Betrieben gibt, haben die Belegschaften sich vorher noch "einen Schluck aus der Pulle" gesichert als Kompensation für gestiegene Mieten und Lebenshaltungskosten.

Vor diesem Hintergrund ist die Debatte neu entbrannt, was denn nun der gesellschaftliche Umbau ("cambio") im Programm der Frente Amplio im Einzelnen bedeutet. Das lässt sich am besten an einem Beispiel zeigen.

Zum Beispiel die 'Familienpolitik'. Ende September löste ein eher unscheinbares Illustrierten-Interview ein starkes Echo aus. Der amtierende Verteidigungsminister Eleuterio Huidobro wollte seine Prioritäten setzen und polterte, Teile der uruguayischen Linken hätten sich vom Klassenkampf abgewandt: "Dieser Radikalismus der Frauen, der Homosexuellen", meinte er, das seien doch alles "Erfindungen der USA und der europäischen Sozialdemokratie, um von den wirklichen Problemen abzulenken". Ausdrücklich bezog er sich auf Reformvorhaben der Frente Amplio wie die Straffreiheit bei Abtreibungen, die Öffnung der Ehe für alle Partnerschaftskonstellationen, die Reform der Drogenpolitik mit Legalisierung des Haschischkonsums u.a. Über Themen wie diese, die laut Huidobro niemanden wirklich behelligten, hätten diese Linken "den Klassenkampf vergessen", und der werden nun mal zwischen Arm und Reich geführt.

Der bis heute anhaltende Streit um dieses Interview führte sofort an den Kern, die gesellschaftspolitischen Perspektiven derFrente Amplio, und belegt die Existenz gegensätzlicher Auffassungen im Bündnis. Die Frente Amplio-Präsidentin Mónica Xavier distanzierte sich unverzüglich von Huidobros Vorstoß mit dem Hinweis, der Klassenkampf werde heute auch auf anderen Feldern ausgetragen. Die Senatorin Lucía Topolanski, die Lebensgefährtin Mujicas, unterstützt hingegen seine Auffassung. Es sind vor allem die Jungen unter den Frente Amplio-Anhängern, die sich kritisch zu Wort melden und auf weiter reichende Reformen drängen.

Den Klassenkampf vergessen?

Eleuterio Huidobro ist seit den 60er Jahren auf der politischen Bühne aktiv. Als junger Mann Mitbegründer und –organisator der Tupamaros, dann als bewunderter wie gefürchteter Haudegen der Stadtguerilla gefangen genommen und aus dem Gefängnis ausgebrochen, später gefoltert, misshandelt und als Staatsgeisel gegen das eigene Volk missbraucht. 1985 unter dem Druck von Massenprotesten freigelassen, wirkte er für die Umwandlung der MLN-Tupamaros in eine legale parlamentarische Kraft unter dem Dach der Frente Amplio, als politischer Publizist und Berater, dann Senator und heute Verteidigungsminister mit einer Passion für alles Militärische. Mit seinen Äußerungen spricht er für eine Gruppe von Altvorderen im Frente Amplio, die den gesellschaftlichen Wandel am liebsten auf soziale Umverteilungsprozesse begrenzt sehen wollen.

"Wenn du kämpfst, ist alles möglich!"

Vier Tage nach dem besagten Interview versammelten sich unter Regenbogenfahnen fast 30.000 überwiegend junge Menschen zur jährlichen 'Marcha por la Diversidad'. Das ist eine Parade durch die Innenstadt, die vor Jahren als Kundgebung von Schwulen und Lesben begann und sich enorm erweitert hat. Der Zug bestand mindestens zur Hälfte aus Frauen, denn es hatten nicht nur Feministinnen-Gruppen, sondern auch Landfrauenverbände zur Teilnahme aufgerufen. Viele heterosexuelle Paare kommen, um etwas gegen den Macho-Mief in Familie und Gesellschaft zu tun. In diesem Jahr feierte man die Reihe von Reformen, die mit der Frente Amplio erreicht worden sind:

  1. Antidiskriminierungsgesetz in Beruf und Gesellschaft von 2004
  2. Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft (ratifiziert 2007)
  3. Adoptionsrecht auch für gleichgeschlechtliche Paare (2009)
  4. zivilrechtliche Anerkennung und psychosoziale Hilfen für transsexuelle Uruguayer_innen (2012)
  5. gesetzliche Öffnung der Ehe für alle Paarkonstellationen (2013) und an wichtigster Stelle das
  6. Gesetz zur Legalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung (2013).

Auf diese Errungenschaften, mit denen Uruguay eine Vorreiterrolle in Lateinamerika einnimmt, sind nicht nur Anhänger der Frente Amplio durchaus stolz. Demokratische Reformen und der Schutz von Minderheiten wurden im Frente Amplio-Programm ausdrücklich als notwendige Beiträge zu einer friedlichen Gesellschaft angepeilt. Und jedes dieser Gesetze musste nach kontroversen internen Diskussionen der parlamentarischen Hinhaltetaktik der bürgerlichen Opposition abgerungen werden.

Abkommen mit Kuba geschlossen

Huidobros Geringschätzung der Ergebnisse wurde auf der Kundgebung mit Pfiffen und Buhrufen quittiert. Zuspruch gab es für die Reden von Intendentin Ana Olivera, dem Stadtoberhaupt von Montevideo, und besonders für Mariela Castro aus Kuba. Die Tochter des Staatspräsidenten ist Leiterin des zentralen staatlichen Instituts für Sexualerziehung in Havanna und kam zur Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens zum Austausch in allen Genderfragen.

Die Freude über die Erfolge schlug sich im Kundgebungsmotto nieder: "Wenn du kämpfst, ist nichts unmöglich". Unter dieser Losung zielten die Kundgebungsredner_innen auf die nächsten Kampagnenschritte, die die Einheit von sozialen und gesellschaftlichen Reformen betonen:

  1. Auswege aus der unwirksamen Drogenpolitik mit Freigabe des Haschischkonsums
  2. Selbstbestimmungsrecht der Frauen beim Kinder kriegen
  3. soziale Gleichstellung der Afro-Uruguayer_innen
  4. gesetzliche und tarifliche Absicherung der Hausangestellten
  5. Für die Gleichheit der Geschlechter und Schluss mit Gewalt gegen Frauen
  6. Berufliche Förderung für Transsexuelle
  7. Verbesserungen bei der Integration von Behinderten.

Reformwille ist gefragt: Constanza Moreira

Es scheint, dass Huidobro mit seiner Schelte, freiwillig oder unfreiwillig, der Auseinandersetzung um die Ziele linker Politik einen neuen Schub verpasst hat. Als Ende September die Sozialwissenschaftlerin Constanza Moreira ihre Kandidatur zur Präsidentschaft bekanntgab, bezog sie sich genau auf diese Position innerhalb des Bündnisses und setzte sich vom Verteidigungsminister deutlich ab. Unter ihren Anhänger_innen viele junge Leute: ungeduldig, gebildet, mit emanzipatorischem Anspruch und dem Willen, auch die eigene Partei zu erneuern.

Constanza Moreira (Jg. 1960) studierte Philosophie und Soziologie und promovierte als Politologin. Sie lehrt an der staatlichen Universität und sitzt seit 2009 als Senatorin im Parlament. Dort gehört sie zu den Kräften, die die Partizipation der Bürger und ihre Handlungskompetenz erweitern möchten und Zukunftskonzepte entwerfen.

Hoffnungsträger Tabaré Vásquez

Als der vormalige Präsident Tabaré Vásquez nach langem Drängen seiner Parteifreunde im August seine Kandidatur bekanntgab, ging ein Seufzer der Erleichterung durch die Partei. Er gilt vielen als Hoffnungsträger und aussichtsreichster Bewerber, nicht zuletzt wegen seiner enormen Popularität, die weit ins bürgerliche Lager hineinreicht. Es heißt, wenn jemand die Frente Amplio wieder an die Regierung führen kann, dann Tabaré. Selbst in konservativen Kreisen gilt, hinter vorgehaltener Hand, seine Wiederwahl fast schon als ausgemacht.

Der Krebsspezialist (Jg. 1940), dessen Familie eine Privatklinik besitzt, gilt als Vertreter der Sozialdemokratie, die am wirtschaftspolitischen Konzept festhalten werde. Er trifft den Ton seiner Landsleute, die mit ihrer sprichwörtlichen Gemächlichkeit am Bestehenden ohne Not nicht rütteln. Allerdings hat er am vergangenen Wochenende an die Adresse der eigenen Parteifreunde erklärt, eine nächste Regierung der Frente Amplio werde "dem Sozialismus in Uruguay den Weg bahnen". Ob er das in einem Jahr, kurz vor dem Wahlgang, auch so formulieren wird, bleibt abzuwarten.

Zweckehe bei den Konservativen

Die konservative Opposition hat einen Teil ihrer Kräfte vom Präsidentschaftswahlgang abgezogen und bereitet sich schon für 2015 vor, wenn die Neuwahlen in der Stadt und im Departamento Montevideo anstehen. Blancos und Colorados sind übereingekommen, eigens zu diesem Zweck eine Partei zu schaffen, die paritätisch geführt wird. Zweck dieses Manövers ist es, die seit 1990 bestehenden Stadtregierungen des Frente Amplio durch eine Neugründung abzulösen, die frei von den Schatten der Vergangenheit agiert. Am 28. Oktober wurde nach chilenischem Vorbild die Organisation als 'Partei der Absprache' (Partido de la Concertación) aus der Taufe gehoben.

Quelle und Text: casa Brecht  /  Foto: FedeRacchi (Vota, jugate por el FA)

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

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Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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