Europa

alt06.10.2010:  "Lachen befreit", so heißt es oft. Nur - wovon oder wofür, das ist stets die wichtigste Frage, wenn von Befreiung die Rede ist. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi machte in diesen Tagen mit zwei Witzen der Verharmlosung des Verbrechers Adolf Hitler und der Verunglimpfung und Beleidigung von angeblich geldgierigen Juden die reaktionäre Wendung des Lachens sichtbar. Bedrückend nur, dass selbst das pro-faschistische Element und die antisemitische Stoßrichtung seiner Äußerungen zu kaum nennenswerten Protesten auf Ebene der politischen, staatlichen Führungen der EU-Kommission und der EU-Staaten führte.

Denn das bedeutet auch, dass es bereits für diese Art von Hetze einen von den Herrschenden geduldeten geistigen Rahmen des öffentlichen Auftretens gibt. Wo noch vor kurzem die EU-Kommission eine direkte Konfrontation mit Frankreich und seinem Staatspräsidenten Sarkozi wegen der rassistischen Behandlung der in Frankreich eingereisten Roma einging, herrscht zu den geistigen Orientierungen eines Berlusconi Schweigen. Welche Reaktionen aller Regierungen und Staatsvertretungen der EU-Staaten hätten solche Witze aus dem Munde von - z.B. - Irans Staatspräsident Achmadinejad ausgelöst? Während am 10.11.1988 die Rede von Bundestagspräsident Jenninger zum 50. Jahrestag der faschistischen Reichspogromnacht - die kaum Kritikwürdiges enthielt - zu einem Aufschrei der bürgerlichen Kräfte und zu Jenningers Rücktritt führte, wo sind hier (in Italien, in der EU) die lauten Proteste und wirksame Forderungen nach Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten?

Denn gut und notwendig wäre es, bei uns und in der ganzen EU deutliche Zeichen zu setzen gegen jede pro-faschistische Propaganda, gegen Verächtlichmachung von Volksgruppen und Minderheiten, gegen verdeckten und offenen Rassismus - auch wenn sie von dumpfen 'Witzbolden' wie Silvio Berlusconi verbreitet und hoffähig gemacht werden. Was auf solchem Boden wachsen kann und harte politische Reaktion bringt, zeigt ein Vorgang im Kontext der ungarischen Kommunalwahlen am letzten Wochenende.

Zu den Wahlen am 3.10. hatte die ungarische pro-faschistische Jobbik-Partei Werbesendungen produziert, die nicht nur gegen "verbrecherische Sozialisten" und "räuberische, multinationale Konzerne" hetzten, sondern auch in einem gesonderten Kurzfilm gegen "Zigeunerkriminalität", gegen das "Parasitentum" der Roma und für dessen Ausmerzung mobil machten. Die öffentlich-rechtlichen Sender Magyar Télevízió und Magyar Rádió der Anstalt MTV hatten die Ausstrahlung der betroffenen Wahlwerbungen aus ethischen und strafrechtlichen Bedenken verweigert. Die Herabwürdigung von Roma als "Parasiten der Gesellschaft" sei eine Verletzung der "privaten Rechte" und eine "Beleidigung" von Bürgern.

Die zurück gewiesenen Wahlwerbungen entsprechen dabei ganz der grundsätzlichen Haltung der Jobbik-Partei. Im Wahlkampf hatten mehrere ihrer Abgeordneten und der Vorsitzende G. Vona die Ansicht vertreten, dass Ungarn "Nutzen daraus ziehen könnte, wenn Parasiten der Gesellschaft ausgemerzt" würden. Ein Bürgermeisterkandidat der Partei hatte kz-ähnliche Lager für Mehrfachstraftäter und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft gefordert, G. Vona trat für die Zwangseinweisung von Romakindern in Internate ein.

Wenige Tage vor der Wahl gab das Nationale Wahlkomitee, bei dem die Jobbik-Partei Protest gegen die Entscheidung der Sendeanstalt MTV eingelegt hatte, der Partei recht. Die Wahlsendungen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt und MTV habe seine Kompetenzen überschritten, erklärte das Nationale Wahlkomitee mit 6 zu 2 Stimmen.  MTV jedoch kündigte an, sich dem Spruch nicht zu beugen, die Wahlwerbungen der Jobbik-Partei nicht zu senden und diesbezüglich normale Gerichte anzurufen. Soweit bekannt, wurde die Jobbik-Werbung in öffentlich-rechtlichen Medien Ungarns nicht verbreitet. Der Film war allerdings eine zeitlang unter Youtube zu sehen, wurde inzwischen aber dort gelöscht.

Ein vorläufiger Ausgang, der jedoch in Ungarn keine Garantie für die Zukunft darstellt. Denn das Nationale Wahlkomitee war nach dem überwältigenden Wahlsieg der rechtskonservativen Fidesz-Partei im Frühjahr 2010 in seiner überwiegenden Mehrheit von nationalkonservativen Vertretern dieser Partei besetzt. Seine Entscheidung kann also durchaus als konform zur Einstellung des Fidesz betrachtet werden. Und der im ungarischen Parlament mit einer sicheren zweidrittel Mehrheit ausgestattete Fidesz hat in den Monaten nach den Parlamentswahlen ein neues Mediengesetz (T/363) auf den Weg gebracht, das diesen Kreisen auf Jahre und Jahrzehnte die organisatorische und inhaltliche Kontrolle und Beherrschung der Medien (TV, Ragio, Internet) sichert.

Eine Studie der OSZE kommt zu dem Schluss, die Regierung übe mit dem Mediengesetz nach den gewonnenen Wahlen eine Art Siegerjustiz (the winner gets all) aus und lasse keinen Raum für demokratische Kontrollmechanismen, wie sie in freiheitlichen Gesellschaften zu existieren haben.

Erste, bereits vollzogene Schritte war die Einrichtung einer 'Autonomen Behörde der öffentlichen Verwaltung' (NMHH) durch Fusion der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (NHH) mit der Fernseh- und Rundfunkaufsicht (ORTT), deren Präsident/in vom Ministerpräsidenten Ungarns für neun Jahre ernannt wird und so 'autonom' ist, wie der Ministerpräsident selbst. Kein Wunder, dass die inzwischen ernannte Präsidentin dieser neuen Aufsichtsbehörde, letztere vergibt unter anderem Sendefrequenzen, das Parteibuch des Fidesz besitzt. Daneben gibt es den Medienrat, der mit vier Personen gemäß den Stimmenverhältnissen der Parlamentsfraktionen mit zweidrittel Mehrheit besetzt wird. Welch Zufall, dass dies genau die derzeitigen Mehrheiten des Fidesz sind. Das fünfte Mitglied dieses Medienrates, der für die inhaltliche Medienkontrolle verantwortlich sein soll, ist überdies der/die vom Ministerpräsidenten berufene Präsident/in der zuvor erwähnten Aufsichtsbehörde mit ggf. ausschlaggebender Stimme im Medienrat.

Diese beiden Behörden bzw. Aufsichtsorgane der zukünftigen ungarischen Medienlandschaft sollen sämtliche strukturellen, personellen und finanziellen Belange der öffentlich-rechtlichen Medien kontrollieren, neben den beiden Fernsehsendern MTV1 und MTV2 sind das auch Duna TV, Magyar Rádió sowie die Nachrichtenagentur MTI. Neben dieser organisatorischen Struktur ist der uneingeschränkte 'gestaltende' Einfluss des rechtsgerichteten Fidesz durch eine Reihe von inhaltlichen Regelungen gesichert. So etwa durch die Registrierungs- bzw. Zulassungspflicht für alle medialen Anbieter (mit Ausnahme von Web-Blogs) in Ungarn. Oder dadurch, dass die beiden Kontrollbehörden in großem Ausmaß und in der Tat willkürlich Strafen und Beschränkungen für alle Medienorganisationen unter Ausschluss von ordentlichen Gerichten verhängen können. Ihre Sanktionen, so die Bewertung der OSZE-Studie, "gründen sich ganz auf ihre eigene Bewertung, ob die von einem Anbieter verbreiteten Informationen (gemäß der allgemeinen und unpräzisierten Vorgabe in T/363) 'authentisch, schnell, genau, vielfältig, zeitnah, objektiv und ausgewogen' sind oder nicht." Somit entscheiden zukünftig nicht mehr Richter über erlaubte und unerlaubte Mediendarstellungen, sondern die von der Regierung kontrollierte Administration.

Nach den ersten und schon erwähnten Umsetzungen des Fidesz-Medienrechtes in Ungarn sollen jetzt Anfang Oktober in allen Medienanstalten neue oberste Leiter ernannt werden. Schwer zu glauben und kaum zu erwarten, dass danach noch eine Verweigerung der Medien gegenüber pro-faschistischen und rassistischen Werbesendung wie denen der Jobbik-Partei  (s.o.) stattfinden könnte.

Hier noch einige weitere Informationen zur Lage der Roma in Ungarn.

Text: hth  /  Foto: Wikipedia (Viktor Orban - rechts im Bild)