Der Kommentar

Francis Wurtz 425.09.2018: Francis Wurtz, Politiker der Französischen Kommunistischen Partei PCF, hat in einem Kommentar auf seinem Blog seine Bedenken gegenüber der Position von Sahra Wagenknecht zu Migranten zum Ausdruck gebracht und ihre Position kritisiert:

Mit den Milliarden, die die Kanzlerin seit 2015 zur Aufnahme von Migranten ausgegeben hat "hätte wesentlich mehr Bedürftigen in Deutschland geholfen werden können"; "mehr Wirtschaftsmigranten bedeuten mehr Wettbewerb um Arbeitsplätze in den Niedriglohnsektoren"; Deutschland hat nicht "genügend Mittel für seine ärmsten Bürger, seine Sozialwohnungen oder überfüllten Schulen". ... Viele von uns haben sich in diesem Sommer die Augen gerieben, wenn sie in der Presse diese Zitate einer der führenden Persönlichkeiten der Partei DIE LINKE gelesen haben, die deren Gruppe im Bundestag mitführt: Sahra Wagenknecht!

Uns wird gesagt: Es gibt Schlimmeres! Von Salvini, von der extremen Rechten, der sich weigert, von Rettungsbooten auf hoher See gerettete Flüchtlinge an Land zu lassen, über den deutschen Innenminister, ganz rechts außen, der sein "Verständnis" für das Chemnitzer Pogrom gegen Ausländer zum Ausdruck bringt, bis hin zum Präsidenten der Tschechischen Republik, Milos Zeman, einem Sozialdemokraten, für den "der Feind diese Anti-Zivilisation ist, die von Nordafrika bis Indonesien reicht"! Sahra Wagenknecht sagt, sie stimmt mit ihrer Partei in der Anerkennung des Asylrechts oder der Familienzusammenführung überein; sie befürwortet keine Massenausweisungen und verurteilt nicht den Islam.

Aber wir erwarten viel mehr von einer sehr bekannten Führungspersönlichkeit der einzigen authentischen linken Partei in einem Land wie Deutschland! Denn in der Realität zerbricht sie einen der letzten Schutzdämme, der die Bezugspunkte und humanistischen Werte der "Klasse" in einer Gesellschaft schützt, die ernsthaft von einer beginnenden Rückkehr ihrer alten Dämonen bedroht ist.

Niemand würde ihr vorwerfen - ganz im Gegenteil -, wenn sie eine sachliche Debatte eröffnet hätte, über die Migration in der heutigen Welt und die notwendige Suche nach humanen und nachhaltigen Lösungen für die dramatischen Probleme, die eine kurzsichtige Herangehensweise an dieses nachhaltige Phänomen mit sich bringt, sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Aufnahmeländern und vor allem für die Flüchtlinge selbst.

Aber wie kann eine Frau der Linken die Idee vertreten, dass die führende Macht der Europäischen Union, die jährlich 250 Milliarden Euro Handelsüberschüsse anhäuft, wegen der Migranten nicht die "ausreichenden Mittel" habe, um ihre öffentlichen Dienste zu finanzieren und ihren "bedürftigsten Bürgern" zu helfen! Auf diese Weise - im Widerspruch zu den gerechten Kämpfen, die sie mit ihrer Partei führt - dazu beizutragen, die sehr berechtigte Empörung der Millionen von Menschen, die durch das Schröder-Merkel-Modell an den Rand gedrängt wurden, auf die Migranten zu lenken, ist das Letzte, was man von einer linken Aktivistin wie Sahra Wagenknecht erwarten kann.

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Wie können wir also die Motive einer intelligenten, talentierten und einer vor allem in den Kämpfen ihrer Partei sehr engagierten Führungspersönlichkeit für diese Strategie verstehen - die auf dem Kongress DIE LINKE im Juni 2018 getestet wurde und unter den Buhrufen der überwiegenden Mehrheit der Delegierten unterlag? Sie hat es gerade selbst erklärt: "Diese Bewegung muss Druck auf die bestehenden Parteien ausüben, damit unsere Politik von einer Mehrheit unterstützt wird. Der Wandel der "Parti de Gauche" in "France Insoumise" ist in gewisser Weise unser Vorbild (…) FI schafft es, eine Wählerschaft zu erreichen, die wesentlich größer ist als unsere. Wir wollen das Gleiche tun." [1]

Nein Sahra: Der Zweck rechtfertigt nicht die Mittel. Du spielst mit dem Feuer!

 

[1] Interview in "Midi Insoumis, Populaire et Citoyen" (7/9/2018). Siehe auch das besorgniserregende Interview von Djiordje Kuzmanovic auf der Seite der Zeitschrift "L’Obs" und die Reaktion von Roger Martelli in "Regards" (9/9/2018).

Quelle: https://franciswurtz.net/2018/09/13/allemagne-sahra-wagenknecht-joue-avec-le-feu/
eigene Übersetzung

zur Person:
Francis Wurtz 3Francis Wurtz ist Politiker der Französischen Kommunistischen Partei PCF. Er gehörte seit der ersten Direktwahl 1979 dem Europäischen Parlament an und war von 1999 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Europäischen Parlament 2009 Vorsitzender der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)