Der Kommentar

29.09.2010: Schlimmer geht´s nimmer. Der Beschluss zur Aufstockung des Hartz IV-Regelsatzes für Erwachsene um sagenhafte fünf Euro – von 359 auf 364 Euro – und das Einfrieren der Kindersätze – je nach Alter abgestuft bei 215, 251 und 287 Euro – läutet die endgültige Demontage kapitalistischer „Sozialstaatlichkeit“ ein.

Diese war ursprünglich nicht nur Teil der grundgesetzlich verfassten Ordnung der BRD, sondern zählte auch über viele Jahrzehnte zum Kernbestand der ideologischen Offensive gegen den realen und den potenziellen Sozialismus. Sie war ein unverzichtbarer Teil des ideologischen Kitts der BRD. Sie war das Fundament der Sozialpartnerschaft. Das ist nun endgültig Geschichte.

Die Mischung von Arroganz und sozialer Eiseskälte, mit der die „schwarz-gelbe“ Regierung jetzt demonstrieren will, dass sie „wieder Tritt“ gefasst hat und dass ihr alle Minus- Rekorde in den Stimmungs- und Meinungsumfragen sch...egal sind, ist wahrhaft beeindruckend. Die sozial-reaktionäre Konterrevolution kennt und braucht keine Rücksichtnahme. Das ist die eigentliche politische Botschaft, die von den beiden wichtigsten und jüngsten sozial- und gesundheitspolitischen Beschlüssen der Merkel-Westerwelle- Regierung ausgeht.

Es geht um eine Machtdemonstration! Das will die Regierung und das wollen die Chefetagen der Konzerne und Unternehmerverbände, die dieser Regierung den politischen Kurs vorgeben. Der Ex-Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Olaf Henkel, erklärte im ARD-Morgenmagazin, dass die „nächsten zweieinhalb Monate entscheidend“ für den Fortbestand der Regierungskoalition seien. Er machte deutlich, was das Großkapital erwartet. Merkel und Co. sollen Ernst machen mit der Regierungsagenda, zu der die Unternehmerverbände die Vorlagen ausgearbeitet hatten. Die „Schonfrist für Schwarz-Gelb“ ist endgültig vorbei.

Vor genau einem Jahr schrieb die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände der neuen Regierung Folgendes in ihre Agenda: „Zu den Kernaufgaben der neuen Legislaturperiode gehört daher, die nach wie vor hohe Belastung von Löhnen und Gehältern durch Sozialbeiträge kurzfristig zumindest zu begrenzen und mittel- und langfristig zu senken. Vordringliche Aufgabe muss sein, die ab 2011 drohenden deutlichen Beitragssteigerungen bei der Bundesagentur für Arbeit und in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verhindern.“ Jetzt können die „Schwarz-Gelben“ Vollzug melden.

Das „intellektuelle Flaggschiff“ des Springer- Konzerns, Die Welt hetzt flankierend: „Der Staat hat die Unterschicht verstaatlicht, er hat alle ihre Lebensrisiken auf sich genommen. Er gibt, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Das konnte nicht gut gehen ... Und so haben wir die reichsten Armen in unserer Geschichte - in einem 80-Millionen- Land, das bewundert wird, weil es immense Herausforderungen wie die Einheit und die Finanzkrise bestens bewältigt hat.“

Nur wenige Tage vor dem unglaublichen Hartz-IV-Beschluss verabschiedete die Regierung ihr Konzept der achten Gesundheits„reform“ seit der Einverleibung der DDR - reaktionärer denn je.

In Deutschland herrscht das von Natur aus asoziale Monopolkapital, wie anders soll da die Regierung des Monopolkapitals sein? Ihre asoziale Kälte wird nur noch übertroffen von ihrer in Rhetorik-Kursen einstudierten „Kunst“, das Krumme als grade und das Sozialreaktionäre als „modern“ zu verkaufen.

Vielleicht sind die zerstörerischen Attacken gegen den Stuttgarter Hauptbahnhof kein zufälliges Parallelereignis. Hier wie dort geht es um Beschlüsse, die so krass und willkürlich gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung und der Werktätigen und so drastisch als Klientel- und Lobbypolitik im Dienste großer Konzerne durchgepaukt werden, dass man eigentlich nur noch rebellieren kann. Der „heiße Herbst“ wird zur „Pflicht“ und ist keine „Kür“ mehr.

Hans-Peter Brenner (Vorabdruck aus UZ vom 01.10.10)