Im Interview

03.06.2015: Boris Kagarlitzky, Direktor des Institut für die Globale Forschung und Soziale Bewegungen (IGSO) in Moskau, war Gast beim isw-Forum im Mai 20015. Im nächsten isw-report wird sein Beitrag veröffentlicht. In diesem Interview mit Potemkin Review (Paris) äußert er sich u.a. zu den Hintergründen des Konflikts um die Ukraine, den unterschiedlichen Klassenkräften und Interessen in den Volksrepubliken Lugansk und Donetzk sowie zur Politik Russlands.


Frage: In einem größeren Zusammenhang kann die Krise in der Ukraine als die letzte Runde eines seit langer Zeit bestehenden geopolitischen Konflikts gesehen werden. Die Osterweiterung der NATO mit Tschechien, Ungarn und Polen fing 1999 unter der Regierung von Clinton an, und ging 2004 mit Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, der Slowakei und Slowenien weiter. Die im April 2008 bekannt gegebenen Pläne, Georgien und die Ukraine aufzunehmen, verursachten einen Konflikt zwischen Russland und Georgien im Sommer. Der Wunsch des Westens, ein Pro-Westregime in der Ukraine zu installieren, wurde auch während der Orangenen Revolution 2004 demonstriert. Nach der Parlamentswahl 2014 kündigte die neue Regierung in Kiew wieder ein Referendum zum Eintritt in die NATO an, während Russland deutlich machte, dass es ein NATO-Mitglied Ukraine an seiner Grenze nicht dulden würde. Was sind die Gründe für das Beharren des Westens auf die Erweiterung mit der Ukraine, wo er doch weiß, dass es zu einem Konflikt mit Russland führen würde? Ist es das Ergebnis einer US-Strategie, die eine Annäherung zwischen Europa und Russland fürchtet?

Boris Kagarlitzky: Der durch die NATO-Erweiterung erzeugte geopolitische Konflikt ist ein Produkt eines wirtschaftlichen und sozialen Prozesses, der in Europa stattfindet. Tatsächlich ist es die Logik des neoliberalen Modells, das die NATO-Expansionspolitik stimuliert. Das ist dem sehr ähnlich, was wir gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit der neuen Welle des Kolonialismus sahen, die durch die so genannte "Späte Viktorianische Depression" erzeugt wurde.

Um das System zu stabilisieren ohne es zu ändern, um der fallenden Profitrate entgegen zu wirken ohne Produktion und Vertrieb umzugestalten, müssen Sie neue Märkte schaffen, Sektoren kommerzialisieren, die bisher noch nicht den Regeln des Marktes unterworfen waren, und in bereits vorhandene Märkte einbrechen, um sie gemäß den Bedürfnissen nach extremster Ausbeutung umzuformen. Das ist, was David Harvey die "Raum-Klemme" nannte.

Die Osterweiterung der NATO und die gegenwärtige ukrainische Krise repräsentieren dieselbe Logik, aber der Unterschied ist, dass in den 1990er Jahren die Ausdehnung des Westens in einer grundlegend anderen Situation erfolgte – sie war Ausdruck der Stärke des europäischen und amerikanischen Kapitalismus. Dieses Mal wird die Politik, die Ukraine zu übernehmen und zu kolonisieren, durch die äußerste schwere Wirtschaftskrise provoziert: Es ist eine Tat der Verzweiflung. Ein weiterer Unterschied ist, dass während des Integrationsprozesses in Mitteleuropa den Verlusten auch einige Vorteile gegenüberstanden, während es im Fall der Ukraine nichts gibt was der Westen bieten kann, außer symbolischer Befriedigung und militärischen Unterstützung für die oligarchische Elite.

Andererseits müssen russisches und einige Segmente des ukrainischen Industriekapitals ihren eigenen Interessensphären schützen. Das ist der Grund für ihre Unterstützung des Volksaufstandes in Novorossia. Aber sie taten es sehr widerwillig, weil Kräfte an der Basis ziemlich radikal sind und versuchen, das ganze oligarchische System und den Neoliberalismus zu überwinden. Das ist, warum der Kampf in Novorossia an zwei Fronten gleichzeitig stattfindet, und die Rolle des offiziellen Russlands ziemlich widersprüchlich ist. Russland macht beides: Es unterstützt den Aufstand, und versucht gleichzeitig, ihn als soziale Bewegung zu unterdrücken. So hat es die Moskauer Führung geschafft, ihre Männer an die Spitze der Novorossian-Republiken zu bringen, aber sie sind dabei gescheitert, die Basis zu kontrollieren, wo linksgerichtete und radikale Gruppen bewaffnet sind und die Ideologie der Kämpfer beeinflussen.

Frage: Wie steht es mit Russlands seit langer Zeit bestehendem Einfluss und Interesse an der Ukraine - was manchmal 'russischer Imperialismus' genannt wird?

Boris Kagarlitzky: Der Traum der russischen Eliten sind gute Beziehungen mit dem Westen. Das Geld der Eliten ist im Westen, ihre Kinder sind an den Universitäten in Oxford und Harvard, ihr Eigentum ist in der Schweiz und in England. Sie sind bereit, fast jedes Zugeständnis zu machen, wenn es nicht Russland selbst destabilisiert. Aber der Westen akzeptiert diese Angebote nicht. Herrschende Kreise in der EU ziehen es vor, von einer russischen Drohung statt der Zusammenarbeit mit Russland zu sprechen. Das ist teilweise, weil sie denken, dass sie noch mehr aus dieser Situation herausholen können, teilweise weil sie Geiseln ihrer eigenen Propaganda sind, und teilweise, weil sie wirklich nicht verstehen, was in der russischen Gesellschaft geschieht. Die Situation mit der Krim ist das beste Beispiel: Keine russische Regierung wird das Gebiet abgeben, weil in dem Moment, in dem sie es tut, wird sie stürzen.

Bezüglich der These des 'russischen Imperialismus' muss eines sehr klar sein: Russland ist die dominierende Kraft in der Region und versucht, sich in dieser Position zu halten. Das ist der Situation Brasiliens in Lateinamerika oder Indiens in Südasien ähnlich. Zusätzlich muss man bemerken, dass Russland heute ein kapitalistisches Land mit einer herrschenden Klasse ist, die ihre eigenen Interessen verfolgt. Aber macht das Russland imperialistisch? Nein, zumindest nicht im marxistischen Sinn. Wir sprechen in ähnlichen Verhältnissen nicht von einem brasilianischen oder indischen Imperialismus. Bezüglich Chinas ist die Frage offen, ob wir von einem chinesischen Imperialismus in Afrika sprechen können.

Im Zusammenhang der Ukraine ist es sehr klar, dass Russland seine Positionen verteidigt. Das Paradox besteht darin, dass viele russische Konzerne gegen die aktive Verteidigung von Russlands strategischen Positionen in der Ukraine sind, weil sie mehr an guten Beziehungen mit dem Westen interessiert sind. In dieser Frage ist die herrschende Klasse Russlands völlig uneinig.

Frage: Die offiziellen Gründe, die für die Vertagung der EU-Assoziierungsvereinbarung durch Yanukovich gegeben werden - das Ereignis, das den Konflikt auslöste - erstreckt sich von seiner Weigerung, als eine Vorbedingung Tymoshenko frei zu lassen bis zu den harten Bedingungen der IWF-Abmachung, die eine Erhöhung des Gaspreises für Haushalte und Ausgabenkürzungen forderte. Im Westen behaupten verschiedene Medien, dass es ein heimliches Treffen von Putin und Yanukovich war, das, gerade ein paar Wochen vor der geplanten Unterschrift, zur Vertagung des Abkommens führte. Die EU hatte schnell gehandelt, um Russland als der größte Handelspartner der Ukraine zu ersetzen. Nachdem die Verhandlungen mit der EU seit Jahren gingen und Russland die Entwicklung lange beobachtet hatte , warum entschied sich Russland dann erst ein paar Wochen vor der Unterzeichnung der Assoziierungsvereinbarung mit der EU dazu, Yanukovich mit dem wirtschaftlichem Druck zu drohen und ein Gegenangebot zu machen, das zum Ziel hat, die Ukraine in die von Russland geführte eurasische Wirtschaftsvereinigung einzugliedern? Wie ist dabei die Rolle der Interessen der Donetsker Unternehmer, die von Yanukovich repräsentiert wurden?

Boris Kagarlitzky: Das Assoziierungsabkommen mit der EU beinhaltet die Forderung nach einer Änderung der technologischen und anderer Standards der ukrainischen Industrie. Dies bedeutet den Tod für die ukrainische Wirtschaft und den plötzlichen Verlust aller seiner traditionellen Märkte. Das ist aber genau die Bedeutung des Abkommens: Zerstörung der ukrainischen Wirtschaft und Umwandlung der lokalen Bevölkerung zu Gastarbeitern in der EU, billigen Arbeitskräften für die Auslandsdirektinvestitionen und Verbrauchern für Auslandsprodukte. Das ist, warum sich nicht nur Yanukovich, sondern auch die nachfolgende Regierung dagegen sträubten, den Vertrag zu unterzeichnen. Und sogar jetzt wird er noch nicht durchgeführt, unter der Bedingung eines bereits laufenden Bürgerkriegs, der zum Zusammenbruch der Kiewer Regierung führen könnte. Vielleicht haben sie jetzt in Berlin bei einem zweiten Nachdenken verstanden, dass sie zu weit gegangen sind. Aber jetzt ist es zu spät.

Bezüglich der Position von Gazprom in Verhandlungen mit der Ukraine ist sehr deutlich, dass es immer Druck auf den Konzern gab, die Preise für Kiew nach unten zu drücken, um gute Beziehungen zwischen den zwei Ländern zu behalten. Als klar wurde, dass die Ukraine ihre Beziehungen mit Russland opfert, um der EU zu folgen, war das für Gazprom die Möglichkeit, die politischen Verpflichtungen gegenüber den ukrainischen Partnern fallen zu lassen und die Preise zu erhöhen. Man muss wissen, dass die finanzielle Situation des Konzerns zu diesem Zeitpunkt nicht gut war: Gazprom brauchte Geld. Aber der politische Druck nahm schließlich wieder zu, und jetzt beliefert Gazprom die Ukraine wieder mit Gas zu einem Rabattpreis.

Frage: Wie sehen Sie den Maidan und die anti-Maidan Bewegungen? Wie ist deren jeweilige Klassenbasis? Wo stehen diese Bewegungen, Ihrer Meinung nach, in Bezug auf ihre Zusammensetzung? Sind sie spontane Graswurzelbewegungen oder erzeugte Unruhe, die durch ausländischen Einfluss mit imperialistischen Motiven angefacht sind?

Boris Kagarlitzky: Maidan war eine merkwürdige Kombination von marginalisierten Menschen aus der Westukraine, die die extreme Rechte unterstützten, und aus den mittleren und oberen Schichten Kiew's, die die liberalen Nationalisten unterstützten. Die Bewegung im Südosten setzte sich aus der arbeitenden Klasse und Kleinunternehmern zusammen. Doch diese allgemeine geografische Aufschlüsselung erklärt nicht das gesamte Szenario. Der Widerstand gegen die gegenwärtige Kiewer Regierung ist keineswegs nur auf den Südosten beschränkt. Auch in Kiew selbst ist der Widerstand sehr stark. Zusätzlich gibt es sogar in der westlichen Ukraine Widerstandsgruppen, obwohl sie starker Repression ausgesetzt sind. Die Sprachfrage spielte nur eine geringe, untergeordnete Rolle – im Gegensatz zu dem, was die russischen Medien berichten. Denn beide Seiten sprechen überwiegend russisch.

Im Frühling 2014 organisierten wir (das Institut für die Globale Forschung und Soziale Bewegungen, IGSO) eine Schule für AktivistInnen sozialer Bewegungen der Ukraine in Belgorod, zu der AktivistInnen aus der ganzen Ukraine kamen. Die Klassenzusammensetzung dieser Widerstands-Bewegungen war sehr klar, wie auch ihr Selbstverständnis, das als populäre Linke beschrieben werden kann. Das ist nicht notwendigerweise antikapitalistisch, aber der gemeinsame Nenner ist die Zurückweisung des Neoliberalismus und das Gefühl, dass man kämpfen muss, um den Wohlfahrtsstaat ("Soziale Republik") und Volkssouveränität wieder herzustellen. Die Einstellung zu Russland ist widersprüchlich. Denn einerseits hilft Moskau der Bewegung, Kiew zu widerstehen. Andererseits widersetzt sich Russland den sozialen und politischen Reformen, die als Ziel des Kampfs gesehen werden.

Frage: Im März 2014 wurde ein Telefongespräch zwischen der Außenbeauftragten der EU, Catherine Ashton, und dem estnischen Außenminister, Urmas Paet, geleakt. Darin behauptet Paet, dass ihm während seines Besuchs in der Ukraine gesagt wurde, dass die neue Koalition hinter den Scharfschützen stand, die im Februar 2014 auf dem Maidan auf Protestierende und Polizisten schossen. Wie ist Ihre Meinung zu diesen Ereignissen, die einige Tage später zur Flucht von Viktor Yanukovich aus dem Land führten?

Boris Kagarlitzky: Es kann eine Provokation gegeben haben, aber wahrscheinlich nicht im Fall der Scharfschützen. Es gibt viel Videomaterial, das ziemlich klar ist. Die Scharfschützen der Polizei erwiderten das Feuer, als die Regierungskräfte angegriffen wurden. Das Verlusten sind ziemlich klar: Ungefähr 50 Polizisten wurden am ersten Tag getötet. Nur später gab es Verluste unter den Protestierenden. Das schaut nicht wie ein typischer Fall von Repression durch die Polizei aus.

Frage: Während Russland am 17. April  2014 schnell die Genfer Erklärung unterzeichnete und solch ungünstigen Begriffe wie "die Entwaffnung aller ungesetzlich bewaffneten Gruppen" mit dem fortlaufenden Rückzug von ukrainischen Truppen bis zum Ende des Sommers 2014 akzeptierte, unterzeichneten Kiew und der Westen das Minsker Protokoll erst im September. Eine Woche später gaben sie bekannt, dass das "Große und Umfassende Freihandelsabkommen (DCFTA)" zwischen der EU und der Ukraine verschoben würde. Das scheint ein Anzeichen für eine Änderung des Kräfteverhältnisses zu sein. Seit der Unterzeichnung von Minsk I im September 2014, wo stehen wir in Bezug auf das Kräfteverhältnis zwischen Russland und dem Westen?

Boris Kagarlitzky: Die aufständischen Volkseinheiten gewinnen jede einzelne Schlacht, und das widerspiegelt sich in den Verhandlungen. Natürlich spielte dabei die russische militärische Ausrüstung, die an die DPR (Volksrepublik Donetsk) und LPR (Volksrepublik Lugansk) im August 2014 und später geliefert wurde, eine viel wichtigere Rolle als die Berater und Freiwilligen. Aber die russische Diplomatie akzeptiert beharrlich die für Novorossiya schlechtest möglichen Bedingungen, die das gegenwärtige Kräfteverhältnis hergeben.

Frage: Gab es jemals eine Chance für die Wahl von Linksregierungen in der DPR und LPR, oder hatte der Kreml die Kontrolle und stellte sicher, dass dies nicht geschah? Wie ist die Situation in DPR und LPR heute, und wie ist Moskaus Politik gegenüber Novorossiya und der Ukraine?

Boris Kagarlitzky: Linke Gruppierungen waren in Donetsk und Lugansk im Frühling 2014 ziemlich stark, was sich auch in ihrer starke Präsenz in den Obersten Sowjets der beiden Republiken widerspiegelte. Jedoch schafften es die russischen Vertreter nach dem August 2014 erfolgreich, die Linke in den Machtstrukturen der beiden Republiken an den Rand zu drängen. Ihr Hauptmittel dafür war die Bereitstellung von humanitärer Hilfe und von militärischer Ausrüstung. Sie wurden nur unter der Bedingung von weitgehenden politischen Zugeständnissen zur Verfügung gestellt. Einige Führer in den beiden Republiken, die mit dieser Politik nicht einverstanden waren, mussten zurücktreten.

Um dieselbe Zeit wurde unsere IGSO Schule für soziale Bewegungen in Belgorod geschlossen (unsere Rechnungen an die Sberbank wurden einfach blockiert). Es gab physische Angriffe auf einige prominente Vertreter der gemäßigten Linken, wie Pavel Guborev. Dem folgte im Herbst die Entscheidung, die meisten linken Parteien und KandidatInnen nicht zur Wahl des neuen Parlaments zuzulassen, das jetzt völlig unter  russischer Kontrolle steht. Jedoch suchten die meisten Linken, wie die von der Partei Borot'ba, der kommunistischen Partei und anderer Gruppen, in den Strukturen von Volksmilizen Zuflucht, die dadurch politisch radikalisiert wurden. So verlangte der Führer der "Specter-Brigade", Aleksey Mozgovoy, den Rücktritt der Moskauer Marionetten in der Donetsker und der Lugansker Regierung, weil sie die Volkskämpfe für die Befreiung der Ukraine von den Oligarchen blockieren. Jedoch führte das nicht zu einer Verschärfung des Konflikts, weil im Januar der aktive militärische Konflikt mit Kiew wieder anfing.

Es muss aber auch gesagt werden, dass für diese Situation nicht allein die Moskauer Führung verantwortlich gemacht werden kann. Die Linke in Donetsk war ziemlich naiv und unerfahren. Infolgedessen vergab sie nicht nur viele Möglichkeiten, sondern war auch auf die politischen Angriffe auf ihre Positionen nicht vorbereitet.

Aber darüber hinaus muss man auch die internationale Linke und viele Sektoren der russischen Linken anklagen, die nichts gemacht haben, um die progressiven Kräfte in der Südostukraine politisch oder materiell zu unterstützen. Anstatt dem echten Kampf zu helfen, waren diese Leute und Organisationen mit Debatten über das Niveau der politischen Correctness von BasisaktivistInnen beschäftigt und darüber, ob diese ihre Unterstützung verdienten.

Frage: Sie schrieben früher, dass die Wahlen vom 2. November 2014 in Lugansk und Donetsk , dazu tendierten, die Spannungen innerhalb dieser Republiken, namentlich zwischen der politischen Macht und den aufständischen Kräften, abzuschwächen. Wie hat sich die Situation seitdem - mit dem Wiederaufleben der Kämpfe im Januar, gefolgt von einer neuen Waffenruhe im Zusammenhang mit Minsk II am 15. Februar - entwickelt? Gibt es Spannungen innerhalb der LPR und DPR zwischen der politischen Macht und den aufständischen Kräften? Gibt es irgendwelche bedeutenden strategischen Unstimmigkeiten?

Boris Kagarlitzky: Als der Minsk I Vertrag geschlossen wurde, wusste jeder, dass es eine kurzzeitige Waffenruhe war und die Feindseligkeiten sehr bald wieder beginnen würden. Dasselbe kann von Minsk II gesagt werden.

Bezüglich der Spannungen zwischen den aufständischen Kämpfern und der politischen Führung, diese spielen besonders in der Lugansker Republik eine bedeutende Rolle. Mit der Unterstützung Moskaus können die politischen Führer die Aufständischen jedoch unter Kontrolle behalten. Sie versuchen auch, ideologisch motivierte russische Freiwillige zurück nach Hause abzuschieben und sie durch diejenigen zu ersetzen, die gegenüber dem Kreml und gegenüber der gegenwärtigen Führung der LPR und der DPR loyal sind.

Frage: Es gibt Vermutungen, dass der starke Verfall der Öl- und Gaspreise (seit September bzw. November 2014) das Ergebnis eines koordinierten Angriffs der Vereinigten Staaten und Saudi-Arabiens gegen Russland - vielleicht auch gegen Iran und Venezuela - war. Befand sich die Ukraine inmitten eines Schachspiels um Energie? Was denken Sie über das alternative Russland-Türkei Geschäft, nachdem das South Stream-Projekt fallen gelassen war?

Boris Kagarlitzky: Der Fall der Ölpreise hat nichts mit irgendeinem Komplott zu tun. Das seltsame ist höchstens, dass sie nicht schon viel früher gefallen sind. Bereits 2011 veröffentlichte Sergey Glaziev, der Wirtschaftsberater von Putin, ein Buch, in dem er voraus sagte, dass der Ölpreise kollabieren würde - spätestens 2014. Der Wirtschaftsexperte des IGSO, Vasiliy Koltashov, schrieb auch ein paar Male, dass es keine Chance geben würde, nach dem Absturz in 2014 die Ölpreise hoch zu halten. Das war wegen der riesigen Überproduktion von Öl seit 2011 alles vorhersehbar – sogar bevor die Vereinigten Staaten als Exporteur in den globalen Ölmarkt eintraten. Die hohen Preise ergaben sich aus der durch die Politik der US-amerikanischen Bundesbank angetriebenen Spekulation. Sie überschwemmt die Finanzmärkte mit billigem Geld. Diese Politik hat einige objektive Grenzen, und es war klar, dass sie nicht über eine längere Periode wirken konnte, als sie es aktuell tat.

Bezüglich des South Stream-Projektes und der neuen Pipeline durch die Türkei: Das Hauptproblem für Moskau ist nicht, eine alternative Route zu finden, sondern mit fallender Nachfrage und den Veränderungen auf dem Energiemarkt fertig zu werdend, die jetzt erst nur beginnen. Russland muss Wege finden, um seine Wirtschaft in Richtung der Entwickelung des Binnenmarktes umzuorientieren, anstatt Energie in den Westen zu liefern. Aber das kann nicht ohne massive soziale und politische Veränderungen geschehen, weil es die Struktur, Zusammensetzung und die Interessen der gegenwärtigen herrschenden Klasse betrifft.

Frage: Der Mord von Boris Nemtsov wird häufig als ein Wendepunkt bezeichnet. Hat er einen wesentlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und inneren Zustände Russlands oder auf der Politik des Kremls bezüglich dem Westen und der Ukraine?

Boris Kagarlitzky: Sogar innerhalb der liberalen Opposition wurde Nemtsov von niemandem in Russland ernst genommen, bevor er ermordet wurde. Natürlich wurde sein Tod von der Opposition verwendet, um mehr Menschen für einen Protestmarsch zu mobilisieren, aber trotzdem war die Teilnahme viel niedriger, als es in den Jahren 2011/2012 war. Was wir aber stattdessen als einen Wendepunkt ansehen können, ist die Entscheidung der britischen Behörden gegen russische Investoren in London vorzugehen. Das hatte eine ernste demoralisierende Wirkung auf die Entscheidungsträger in Moskau und vergrößerte deren Bereitschaft zu größeren Zugeständnissen. Aber da der Westen nicht bereit ist auf irgendeinen akzeptablen Kompromisses einzugehen, sondern die Kapitulation verlangt und die Bereitschaft der Moskauer Regierung, das eigene Land zu vernichten, wird es keinem Weg aus der Sackgasse geben. Zumindest bis jetzt nicht.

Quelle: Potemkin Review (linkes Magazin mit Sitz in Paris)
eigene Übersetzung

foto: Boris Kagarlitzky beim isw Forum in München

 

 

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