Internationales

Sudan Traenengas

13.03.2019: Karthoum, Sudan | Ein sudanesisches Sondergericht hat am Samstag (9.3.) neun junge Frauen zu einem Monat Gefängnis und 20 Peitschenhieben verurteilt. Grund: Sie hatten sich an der Demonstration "Sudanese Women's Advocacy" zum Internationalen Frauentag am 8. März beteiligt. ++ Seit 22. Februar herrscht der Ausnahmezustand ++ Die Proteste gehen trotzdem weiter ++

Seit 22. Februar regiert Sudans Diktator Omer al-Bashir mit dem Ausnahmezustand. Er entließ die Regierung und seinen langjährigen Verbündeten - das einzige verbliebene Mitglied des ursprünglichen »Revolutionären Kommandorates«, das den Putsch durchführte, der ihn 1989 an die Macht brachte - General Bakri Hasan Salih als Vizepräsident. Salih wurde durch einen anderen Hardliner ersetzt, durch den ehemaligen Verteidigungsminister und Chef des militärischen Geheimdienstes General Awad Ibn Awof.

Al-Bashir suspendierte die Verfassung, löste das Parlament und alle gewählten Regionalregierungen auf und ersetzte die gewählten Gouverneure durch hochrangige Polizei-und Armeeoffiziere.

Sondergerichte zur schnellen Aburteilung von Demonstrierenden wurden installiert. Die Demokratische Allianz der Anwälte, teilte vor wenigen Tagen mit, dass schon mehr als 800 Personen von den Notstandsgerichten abgeurteilt wurden.

Hunderte von Kleintransportern mit montierten Maschinengewehren wurden auf den Straßen der Hauptstadt Khartoum und in anderen größeren Städten positioniert, zusammen mit gepanzerten Mannschaftswagen. Polizei, Geheimdienst und Regierungsmilizen durchkämmen Wohnvierte Haus-für-Haus, um bekannte Demonstrant*innen und politische Aktivist*inne zu verhaften.Sudan Alfatih Omer

Der Ausnahmezustand wird von den sudanesischen Behörden als Rechtfertigung benutzt, um den Einsatz von scharfer Munition und Tränengas gegen Demonstranten zu intensivieren und Häftlinge ohne jede Einschränkung zu foltern. Den Sicherheitskräften wurden zusätzliche Befugnisse verliehen. Im Zuge der Verhängung des Ausnahmezustandes und den in seinem Gefolge erlassenen Notstandsanordnungen kommt es zu einer Welle von Menschenrechtsverletzungen und immer mehr willkürlichen Verhaftungen, Folter, übermäßiger Gewaltanwendung und außergerichtlichen Tötungen. Nach Angaben von Human Rights Watch wurden bisher über 50 Menschen getötet und Hunderte verletzt.

Die Sicherheitskräfte nutzen Autos als Waffe
Sudan Moayad Yassir Jomaa

 

Eine Reihe von Oppositionspolitiker*innen wurde noch am Tag der Verhängung des Ausnahezustandes verhaftet, darunter der Politische Sekretär der Sudanesischen Kommunistischen Partei (SCP) Mokhtar al-Khatib, der stellvertretende Vorsitzende und die Generalsekretärin der moderat islamischen Nationalen Umma-Partei (NUP), führende Vertreter der Sudanese Professionals Association (SPA), der Vorsitzende der Sudanesischen Baath-Partei u.a.

Bereits Anfang Januar waren führende Mitglieder der Sudanesischen KP, zahlreiche Ärzt*innen und Journalist*innen verhaftet worden, weil sie eine führende Rolle bei den Protesten übernommen haben sollen. Sie wurden auch nicht freigelassen, als einige Tage vor der Verhängung des Ausnahmezustandes 2.500 Verhaftete freigelassen wurden.

Indem er ankündigte, dass er "in gleicher Entfernung von allen politischen Kräften stehen würde", versucht al-Bashir sich von seiner Partei, der bisher regierenden National Congress Party (NCP) zu distanzieren. Die meisten der von ihm entlassenen Gouverneure stammten von der Regierungspartei NCP.

Proteste gehen trotz Ausnahmezustand weiter

Mit diesen Maßnahmen hoffte al-Bashir die seit Wochen anhaltenden Proteste niederschlagen zu können. Doch auch nach Verhängung des Ausnahezustandes und des brutalen Vorgehens von Polizei, Sicherheitskräften und Milizen der regierenden Nationalen Kongresspartei organisieren die Sudanes*innen weiterhin tägliche Proteste wie Demonstrationen, Sit-ins und Treffen.

Die Proteste begannen am 13. Dezember in Al-Damazin, der Hauptstadt des Bundesstaates Blue Nile, etwa 330 Meilen von Khartoum entfernt, als spontane Reaktion auf die steigenden Kosten für Brot und Treibstoff. Seit dem 19. Dezember finden fast täglich Proteste gegen Bashir und seine Nationale Kongresspartei in Städten und Dörfern im ganzen Sudan statt. Auslöser war die Verdreifachung des bis dahin staatlich gestützten Brotpreises. Die Regierung folgte den Empfehlungen der Internationalen Währungsfonds (IMF), Weizen- und Kraftstoffsubventionen abzubauen und das sudanesische Pfund abzuwerten. Diese Austeritätsmaßnahmen trafen massiv die extrem Armen, die schätzungsweise rund 36 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dazu kommt, dass der innere Kreis um al-Bashir und seine hohen Regierungsbeamten mit Korruption, Geldwäsche und Veruntreuung von Einnahmen aus dem Ölgeschäft verbunden ist.

 Sudan Game Over siehe auch
Sudan am Wendepunkt  

 

In den Augen der Demonstrant*innen sind die wirtschaftlichen Probleme tief mit Korruption und Misswirtschaft in der politischen Elite und der regierenden islamistischen National Congress Party (NCP) verwoben, sagt Amjed Farid Eltayeb, ein Aktivist und Sprecher der Sudan Change Now Bewegung. "Die NCP hat in den letzten 30 Jahren den größten Teil des Staatshaushalts in den Sicherheitsapparat und in die Milizen investiert, und sie kürzen bei Sozialdiensten, Bildung und Gesundheit", sagt er. "Also haben die Menschen, die jetzt auf der Straße sind, keine sozialen Sicherungsnetze, sie sind auf sich gestellt im Kampf gegen das Schicksal.... sie haben nichts zu verlieren."

Und so rückten schnell Forderungen nach Freiheit, dem Ende der Korruption und vor allem dem Ende des diktatorischen Regimes von Omar Hassan al-Bashir in das Zentrum der Proteste.

Kampf um die Rechte der Frauen und die Menschenrechte

Sudan Proteste Internat Frauentag 2
 Sudan Frauen in weiss
Das islamistische Regime im Sudan will vorschreiben, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit kleiden sollen - dunkle, matte Farben, möglichst schwarz -, ohne Rücksicht auf Geschichte, Umwelt oder Kultur. Mit dem #SudanUprising gewinnen die sudanesischen Frauen die ästhetische Kontrolle zurück! Sie tragen wieder die traditionelle sudanesische weiße Kleidung (Thobe) als Symbol für den Kampf gegen die Unterdrückung der Freiheit der Frauen und der Menschenrechte.
(Fotos: Demonstration zum Internationalen Frauentag, Studentinnen der Al-Ahfad-Universität in Omdurman)

 

Die Sudanese Professionals Association (SPA), ein Dachverband von Gewerkschaften, zu der Ärzt*innen, Universitätsprofessor*innen, Pharmazeut*innen, Journalist*innen, Lehrer*innen und Ingenieur*innen gehören, führt die Proteste an. Diese hatte zu Demonstrationen anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März aufgerufen. Bei diesen landesweiten Demonstrationen wurden Frauenrechte eingefordert, die Verhängung eines Ausnahmezustands und der Notstandsmaßnahmen verurteilt und der Rücktritt von Bashir gefordert.

Sudan Proteste 2Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Schlagstöcke gegen die Demonstrant*innen ein. Berichten zufolge wurden Hunderte von Demonstrant*innen verhaftet, die meisten Gefangenen sind Frauen.

Frauen in der ersten Reihe

Die massive Präsenz von Frauen an der vordersten Linie der Demonstrationen ist ein Beweis dafür, dass der Ordnungsrahmen des Regimes bis ins Mark erschüttert ist. Die Regierung nutzte die Einführung der Scharia-Gesetze im Jahr 1983, um strenge Moralvorstellungen durchzusetzen, die in erster Linie darauf abzielen, Frauen zu unterdrücken. Die Regierungsprogramme zur Steuerung des Sozialverhaltens schufen eine frauenfeindliche gesellschaftliche Atmosphäre. Das Regime ist besessen davon, das Auftreten der Frauen im öffentlichen und privaten Raum zu kontrollieren und ihre Stimme zu unterdrücken.

Frauen werden mit bis zu 40 Peitschenhieben bestraft, wenn sie "unanständige" Kleidung tragen oder sich "unmoralisch" verhalten. Die Ordnungspolizei hat das Gesetz so ausgelegt, dass es Frauen und Mädchen das Tragen von Hosen und knielangen Röcken verbietet. Die Entrechtung der Frauen ist ein Merkmal für den diskriminierenden Charakter des sudanesischen Rechtssystems.

Sudan medPersonal 2019 02 12
  Sudan medPersonal 2019 02 12 2
 Sudan Proteste Frauen 2    Sudan Proteste Frauen
 Sudan medPersonal 2019 02 12 3    Sudan Proteste Internat Frauentag
 Sudan Ericsson 2019 02 21    Sudan Arbeiterstreik DAL 2019 02 13

 

Mit den Protesten haben die Frauen begonnen, sich ihre Stimme zurück zu holen, ihre Grundrechte geltend zu machen und das Ende der systematischen Diskriminierung zu fordern. Die anhaltenden Proteste haben dazu geführt, dass die starke Rolle der Frauen in der Geschichte des Sudans wiederbelebt wurde. Obwohl sie bedroht, belästigt und willkürlich festgehalten werden, stehen sie in der ersten Linie der Proteste.

"Teile & herrsche" funktioniert nicht mehr

Der Aufstand hat die alten Mechanismen des "teile & herrsche" außer Kraft gesetzt. Nicht nur die in einem Islamischen Staat besonders unterdrückten Frauen haben sich erhoben, auch religiöse Differenzen und ethnische Unterschiede werden im gemeinsamen Aufstand überwunden.

Die religiöse Basis bröckelt

Das Regime nutzte die religiöse Vielfalt des Sudan als spaltenden Faktor, um die Macht zu erhalten. Der Staat schürte den Bürgerkrieg mit islamistischer Rhetorik, die Aufstandsbekämpfung und weit verbreitete Gewalt gegen Nicht-Muslime in Konfliktgebieten wurde zum "Dschihad" erklärte. Religiöse Führer versuchten, die Religion zu nutzen, um Unterstützung für al-Bashir während ihrer Freitagspredigten zu gewinnen, doch die Betenden in den Moscheen reagierten - müde von den schrecklichen Zuständen im Sudan - mit beispiellosen Protesten in den Moscheen. Imame wurden gezwungen, von der Kanzel zu steigen und die Moschee zu verlassen. Religiöse Führer werden bloßgestellt, weil sie zu den Grausamkeiten der Sicherheitskräfte schweigen. Daraufhin verurteilte eine Reihe von Imamen offen die Anwendung übermäßiger Gewalt durch die Sicherheitskräfte. Al-Bashirs islamistische Basis wird immer dünner, denn immer mehr Gläubige erkennen, dass die Religion vom Regime missbraucht wurde - nicht um die Moral zu bewahren, sondern um seine Macht zu verteidigen.

Die ethnische Spaltung wirkt nicht mehr

Al-Bashir nutzte auch die ethnische Vielfalt des Sudans aus. Der Staat stützt sich auf Milizen, die traditionell "clanorientiert" ausgerichtet sind. Er nutzt insbesondere arabische Stämme zur Bekämpfung nicht-arabischer sudanesischer Bürger*innen. Jetzt beschuldigt die Regierung die Protestierenden, vor allem die Studierenden, "vaterlandslose Elemente" des Sudan Liberation Movement (SLA) zu sein, einer Armeegruppe, die hauptsächlich in der Region Darfur aktiv ist.

Doch auch hier scheint die bisher effektive Strategie ihre Zugkraft verloren zu haben. Die "Millennials" (die Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde), die die treibende Kraft des gegenwärtigen Aufstands sind, haben der gewaltfreien Bewegung einen Schub gegeben, indem sie zur ethnischen Solidarität aufgerufen haben, um der langjährigen Regierungsstrategie entgegenzuwirken. Sie kreierten einen Slogan: "Wir sind alle Darfur" und schicken so eine starke antirassistische Botschaft an das Regime.

Die jungen Männer und Frauen haben ein Leben lang unter den Einschränkungen der "Revolution der nationalen Erlösung" des Bashir-Regimes gelebt, das im Juni 1989 die Macht übernahm. Zu Beginn der Schule waren die Schüler gezwungen, tarnfarbene Uniformen in ihren Klassenzimmern zu tragen; ihre älteren Brüder wurden eingezogen, um den dreißig Jahre dauernden Krieg gegen die Sudan People's Liberation Army (SPLA) zu führen - ein Krieg, der mehr als zwei Millionen Menschenleben kostete und dazu führte, dass der Sudan, das größte Land Afrikas, ein Drittel seines Territoriums und drei Viertel seiner Ölproduktion verlor, als der Südsudan im Juli 2011 sein Unabhängigkeit erreichte. Nach der Abtrennung des Südsudan fehlt dem islamistischen Militärregime sowohl ein glaubhafter Feind als auch eine Finanzierungsquelle.

Die neue Generation scheint entschlossen, alle spaltende Rhetorik zu überwinden. Die um die Sudanese Professional Association (SPA) zusammengeschlossene Allianz aus 20 politischen Gruppierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen untermauert mit der Anfang Januar unterzeichneten "Erklärung von Freiheit und Veränderung" die Einheit der sudanesischen Bevölkerung bei ihrem Streben nach Freiheit. Die Erklärung, die als ersten Schritt den Rücktritt al-Bashirs und die Bildung einer Übergangsregierung fordert, hat einen breiten Konsens gefunden. Sie gilt heute als Plattform einer vierjährigen Übergangsperiode und als allgemeiner Orientierungsrahmen für den Wiederaufbau des Sudans.

Sudan, Bauer auf dem geopolitischen Schachbrett

Al-Bashir wankt, aber er stürzt noch nicht. Über den Ausgang des Ringens entscheiden auch die Großmächte USA, Russland, China und Europäische Union sowie die Regionalmächte Saudi-Arabien und Türkei mit, die alle - wie in Syrien - auf dem Territorium des Sudan ihre eigenen, politischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen verfolgen.

Auch die Europäische Union und die deutsche Regierung stärken al-Bashir den Rücken. Wie die ARD enthüllte, lieferte Deutschland illegal und heimlich, organisiert durch den Bundesnachrichtendienst BND, Waffen an das Regime in Karthoum für den Krieg gegen den aufständischen Südsudan - dem ebenfalls heimlich Panzer geliefert wurden. (ARD, 11.3.2019: "Die Akte BND")
Die Europäische Union hat unter Federführung Deutschlands den sogenannten "Khartoum-Deal" abgeschlossen. Demnach muss der Sudan seine Westgrenzen schließen und verhindern, dass Flüchtlinge über Libyen nach Europa gelangen. Als Gegenleistung erhält Al-Bashirs Regime Millionen von Euro. Diese Gelder der EU fließen am Ende in den Militär- und Sicherheitsapparat des Regimes. An der Grenze zu Libyen setzt Albashir seine paramilitärischen Rapit Support Forces (RSF) ein, die sich direkt aus den Janjaweed-Milizen rekrutieren, die für Völkermord und Massenvergewaltigungen im Darfur-Krieg verantwortlich waren und sind. Deutschland übernimmt Trainings der Grenzpolizei.