Internationales

06.02.2010:  Ganz überrascht zeigte sich Mitte der letzten Woche der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak von dem heftigen diplomatischen Gefecht zwischen Syrien und Israel, das er am Montag der Woche (1.2.) selbst mit einer Rede vor den Spitzen der Armee (IDF= Israel Defense Forces) ausgelöst hatte. Aber nicht nur Syrien reagierte heftig auf die ausgesprochenen Drohungen, auch in Israel polarisierte die Rede: die Einen stärkten Barak den Rücken, die Anderen nannten ihn einen Verräter, der vor Gericht gestellt werde solle. Und Ministerpräsident Netanjahu sah sich gezwungen, am Donnerstag allen Kabinettmitgliedern zu dieser Sache Redeverbot zu verordnen. Ruhe vor dem Sturm?

Barak hatte in seiner Rede am Montag u.a. ausgeführt. "Ohne Abkommen mit Syrien müssen wir mit einem kriegerischen Zusammenstoß rechnen, der zu einem umfassenden regionalen Krieg führen könnte. ... Entsprechend der vertrauten Wirklichkeit in Nahost, würden wir unmittelbar nach dem Krieg sofort wieder mit den Syrern zusammensitzen und über die gleichen Themen verhandeln, über die schon in den vergangenen 15 Jahren geredet wurde. ... Ein politisches Abkommen bringt wohl nicht die Erfüllung ihrer Wunschträume. Aber es gibt keine Alternative. ... Wenn die andere Seite glaubt, sie könne Israel nieder ringen, einen Zermürbungskrieg beginnen oder Israel in eine Falle zu locken, wird sie das tun." Jetzt sei Syrien noch nicht so weit erstarkt, deswegen habe auch Israel ein Interesse, die Friedensgespräche mit Syrien fortzusetzen. Ha'aretz zeigte sich erstaunt über den scharfen, schrillen Ton und das Forum, vor dem Barak vor einem regionalen Krieg warnte.

In das gleiche Horn hatte schon zuvor am 24. Januar der israelische Minister ohne Geschäftsbereich Yossi Peled gestoßen, als er im Militärrundfunk verbreiten ließ: "Wir stehen einer neuen Konfrontation im Norden gegenüber. Ich weiß nicht, wann das passieren wird, so wie wir ja auch nicht wussten, wann der zweite Libanon-Krieg (Anm.: Sommer 2006) ausbrechen würde." Damals wartete Israel aber nur auf eine günstige Gelegenheit - die gefunden war, als die Hisbollah zwei israelische Soldaten gefangen nahm.

In Richtung Libanon drohte Barak in seiner Montagsrede erneut: "Die Regierung des Libanon ist verantwortlich für alles, was die Hisbollah macht. Diese Organisation ist ein innerer Teil des Libanon und hat zusätzlich Bindungen an Syrien und Iran. Wenn Israel angegriffen wird, werden wir uns nicht auf Ziele der Hisbollah beschränken." Das gleiche hatte er auch schon zwei Wochen zuvor bei einem Besuch seiner Truppen im Norden Israels angekündigt.

Genau so äußerte sich am 1. Februar der Vertreter des Stabschefs Gantz und ergänzte: "Die Hisbollah ist nach dem zweiten Libanon-Krieg stärker geworden. Sie investieren eine Menge in Ausrüstung von Städten und Dörfern mit Waffen ... Hisbollah dehnt ihre Militärbasen und -kräfte auf den ganzen Libanon aus, eingeschlossen den nördlichen Teil."

Auch die Führung der USA hat den Druck auf den Libanon verstärkt. Bei einem Treffen im Weißen Haus im Dezember 2009 forderte Präsident Barack Obama den libanesischen Präsidenten Michel Sleiman auf, die Waffenlieferungen in den Süd-Libanon, "die eine mögliche Bedrohung Israels darstellen", zu stoppen. Er warnte, falls das nicht geschehe, werde das zu einer weiteren Invasion Israels führen. Vizepräsident Joe Biden ging noch einen Schritt weiter und erklärte gegenüber Sleiman, Israel werde in den Libanon einmarschieren und bis nach Beirut vordringen, um die Waffen der Hisbollah zu zerstören, wenn die Regierung die Hisbollah nicht im Zaum halte.

Nun hat es schon lange keine Angriffe mehr aus dem Libanon auf Israel gegeben. Israel dagegen mißachtet permanent die territoriale Hohheit des Libanon in der Luft und auf der See und verstößt damit auch insbesondere gegen die UN-SC-Resolution 1701. Michael Williams, der UN-Sonderbeauftragte für den Libanon, erklärte vor einiger Zeit: "Meines Wissens gibt es wahrscheinlich kein anderes Land auf der Welt, das einer solch intensiven Luftüberwachung durch ein anderes Land ausgesetzt ist."

Libanon hat zur Wahrung seiner Unabhängigkeit und Verteidigungsfähigkeit unter der neuen Regierung Hariri die lange unterbrochenen offiziellen Beziehungen zu Syrien erneuert. Sowohl Staatspräsident, wie auch Ministerpräsident des Libanon reisten deshalb Ende 2009 zu Besuchen nach Damskus. Staatspräsident Michel Sleiman hat sich auch mit einem Vertreter des Irans in Beirut getroffen und mit ihm die Abstimmung der Positionen des Irans und des Libanon im UN-Sicherheitsrat besprochen. Der Libanon wird nämlich dem Gremium 2010/11 als nicht-ständiges Mitglied angehören. Syrien hat inzwischen deutlich gemacht, dass es jede Bedrohung des Libanons auch als eigene Bedrohung ansehen wird.

Israel fürchtet die mit der neuen verbesserten Zusammenarbeit zwischen Syrien und dem Libanon einher gehende militärische Unterstützung, die bereits früher zwischen Syrien und der Hisbollah stattfand und jetzt dadurch auf ein neues Niveau gehoben wurde, dass die libanesische Regierung geschlossen die Hisbollah als einen Teil der offiziellen libanesischen Streitkräfte betrachtet. Eine besondere 'Bedrohung' sieht Israel in einer evtl. Ausstattung der libanesischen Streitkräfte mit modernen SA2-Flugabwehrrakete. Israels widerrechtlichem Eindringen in den libanesischen Luftraum könnte damit ein Ende bereitet werden. Die israelische Zeitung Ha'aretz berichtete diesbezüglich im Januar 2010: „Eine amerikanische Quelle sagt, dass Syrien der Hisbollah erlaubt, auf ihrem Territorium den Umgang mit den SA2-Flugabwehrraketen zu trainieren. In einem Interview hat ein US-Beamter gewarnt, dass Israel Damaskus bombardieren wird und als Folge davon ein Krieg ausbrechen könnte, sollte Syrien die Hisbollah mit diesen Raketen ausrüsten. Gemäss diesem Beamten hat Israel Syrien gewarnt, die Weitergabe der SA2-Raketen an die Hisbollah zu unterlassen, und dass Israel eine solche Weitergabe als Überschreitung einer roten Linie betrachten werde. Der Beamte fügte hinzu, dass es die vorrangige Priorität von Israel ist, zu verhindern, dass die Hisbollah diese SA2-Raketen erlangt, die von einem entfernten Kontrollzentrum aus ferngesteuert und kontrolliert werden. Der Beamte hat betont, dass Israel nicht zögern wird, Syrien anzugreifen, inklusive der Hauptstadt Damaskus, wenn Syrien diese Waffen an die Hisbollah weiterleiten sollte.“

Vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass sowohl Syriens Präsident Bashar al-Assad, als auch sein Außenminister am Dienstag, einen Tag nach der Rede von Ehud Barak entsprechend reagierten. Bei einem Treffen mit dem spanischen Außenminister und Vertreter der gegenwärtigen EU-Präsindetschaft in Damaskus meinte Al-Assad: "Israel arbeitet nicht ernsthaft daran, Frieden zu schaffen. Alle Tatsachen zeigen, dass es auf Krieg hinarbeitet." Und bei gleicher Gelegenheit äußerte der syrische Außenminister Walid al-Muallem: ""Eines Tages bedroht Ihr (Israelis) Gaza, am nächsten Tag Libanon, dann Iran und jetzt auch noch Syrien. Fordert Syrien nicht heraus, der Krieg wird dann auch in euren Städten stattfinden. Seid vernünftig, geht den Weg des Friedens ... und schafft die Voraussetzungen, gerecht und umfassend."

Soviel Widerstand brachte jetzt in Israel die kompromisslos chauvinistischen Kräfte zum Schäumen. Während der Ministerpräsident Natanjahu und sein Büro sich noch eher diplomatisch (wenn auch zutiefst verlogen) äußerten: "Leider stellt Syrien Hindernisse in den Weg. Es verhindert Verhandlungen und verweigert die Formulierung von Übereinkommen, die zu Frieden, Sicherheit und Wohlstand für alle Seiten führen könnten", legte Außenminister Avigdor am Donnerstag in der Bar Illan-Universität sich mit persönlichen Angriffen und Beleidigungen ins Zeug: "Falls er angreift, sollte Assad wissen, dass er nicht nur den Krieg verlieren würde. Weder er, noch seine Familie würden an der Macht bleiben." Und mit einem Seitenhieb auf Ehud Barak wies er darauf hin, dass es ein Irrglaube sei zu meinen, Syrien könne man durch Friedensverhandlungen aus der Achse des Bösen mit Iran lösen. Syrien solle gefälligst seine Ansprüche auf die Golan-Höhen streichen. Damit war gleichzeitig eine heftige innenpolitische Auseinandersetzung losgetreten, deren Exponenten auf der einen Seite Barak und auf der anderen Seite Netanjahu und Lieberman sind.

Deren Streit hängt eng mit dem Vorgehen Israels gegenüber Syrien zusammen. Zwischen beiden Ländern geht es vor allem um die widerrechtliche Annexion der syrischen Golan-Höhen im Jahre 1967 durch Israel. Der fundamentale Gegensatz: Syrien fordert vor einer Wiederaufnahme der seit dem Gaza-Krieg Israels unterbrochenen Friedensverhandlungen die uneingeschränkte Bereitschaft Israels, die 1967 besetzten und annektierten Golan-Höhen zurück zu geben. Israels gegenwärtige Regierung ist jedoch dazu nicht bereit und verlangt stattdessen Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Natanjahu, Lieberman und die durch sie repräsentierten zionistischen Kräfte haben zudem überhaupt nicht die Absicht, die Golan-Höhen an Syrien zurück zu geben. Die Gründe sind strategischer Natur - von hier aus ist jeder Angriff Syriens leicht zu kontrollieren und zu bekämpfen - und ökonomischer Natur - die Golanhöhen sind hervorragend landwirtschaftlich nutzbar und eine große Wasserreserve.

Ehud Barak kann sich dieser Linie nicht entziehen oder widersetzen, ohne die Regierungskoalition zu sprengen. Dabei ist bekannt, dass er bereit wäre, für einen Friedensvertrag mit Syrien die Golan-Höhen (zumindest große Teile davon) zurück zu geben. Dahinter steht eine Einschätzung, die er am Tag nach seiner Montagsrede in Tel Aviv aussprach: "Das Fehlen einer Lösung für die Grenzfestlegung des historischen Gebietes von Israel - und nicht die iranische Bombe - ist die größte Gefahr für Israels Zukunft." Was ihn aber nicht davon abhielt, abermals zu betonen, dass alle Arten von Gewaltmaßnahmen gegen Iran weiterhin möglich (und vorbereitet) seien.

Und ein anderer Gesichtspunkt ist vielleicht noch wichtiger. Wenn es Israel gelänge, Syrien durch 'Friedensverhandlungen' so zu neutralisieren, wie es mit Ägypten gelang, wäre das ein strategischer Erfolg bei der Zerschlagung des palästinensischen Widerstandes. Bisher ist das nicht gelungen - wäre auch ein Wunder, solange Versuche dieser Art mit chauvinistischen Drohungen wie denen von Ehud Barak gekoppelt sind. Was bleibt, ist das Rühren der Kriegstrommeln, gegen Syrien, gegen Libanon und ...

Text: hth  / Foto:  moomoobloo (Syrien vom Golan aus)