Literatur und Kunst

Camp du Vernet Bild1Dirk Krüger erinnert an Bruno Frei und Rudolf Leonhard       

28.12.2019: In den Herbst- und Wintermonaten des Jahres 1939 – in diesen Tagen vor 80 Jahren – unmittelbar nach dem faschistischen Überfall auf Polen am 1. September 1939, der den mörderischen 2. Weltkrieg einläutete, internierte Frankreich alle deutschen Emigrant*innen, die aus dem Nazi-Staat in dieses Land geflohen waren.

 

Bei Bruno Frei lesen wir: "In einer Septembernacht des Jahres 1939 verhafteten Pariser Polizisten einige Dutzend, einige hundert, einige tausend in der französischen Hauptstadt lebende Ausländer und isolierten sie von ihrer Umwelt… In einer der folgenden Nächte führte man sie von Paris weg. Aus dem Eisenbahnzug, der sie transportierte, entladen, fanden sie sich auf freiem Felde, in Reih und Glied aufgestellt. Auf einer Toreinfahrt war zu lesen: CAMP DU VERNET."

"Frankreich", so kommentierte Hermann Kesten damals, "beginnt also einen Krieg gegen Hitler mit dem Krieg gegen die Feinde Hitlers."

Der französische Staat stellte im September 1939 alle deutschen Emigranten unter "akuten Spionageverdacht" und begründete damit ihre Internierung.

Zahlreiche, zumeist verlassene, teilweise verfallene und nicht mehr genutzte Immobilien, weitab im Süden Frankreichs gelegen, wurden provisorisch hergerichtet und als Internierungslager genutzt.

Von den über 60 bekannten französischen Internierungslagern erlangte das am Fuße der Pyrenäen gelegene Lager Le Vernet den Ruf, eines der berüchtigsten Lager zu sein. In ihm waren viele prominente deutsche Emigranten, unter ihnen viele Kämpfer aus den Internationalen Brigaden, interniert.

Zwei von ihnen sollen in dieser Erinnerung vorgestellt werden.

Bruno Frei

Bruno FreiDer Journalisten, Schriftsteller und antifaschistische Publizist Bruno Frei wird am 1. Juni 1897 in Preßburg geboren.

Von seiner Jugend an war und blieb er ein Marxist. Ab 1929 wird er Mitarbeiter der "Weltbühne" und bis 1933 Chefredakteur des von Willi Münzenberg herausgegebenen kommunistischen Massenblattes "Berlin am Morgen". Frei flieht nach dem Reichstagsbrand zunächst in die Tschechoslowakei, tritt dort 1934 der KPD bei und wird bis 1936 Chefredakteur der einflussreichen Exilzeitschrift "Der Gegen-Angriff". Im gleichen Jahr emigriert er weiter nach Frankreich und engagiert sich als Redakteur im Volksfront-Pressdienst "Deutsche Informationen".

Im September 1939 wird er nach seiner Registrierung in Paris verhaftet und am 12. Oktober im Lager Le Vernet interniert. Im Januar 1941 erfolgt seine Entlassung. Er hat ein Visum für Mexiko und eine Ausreisegenehmigung der französischen Behörden erhalten. Eine Beamtin der französischen Fremdenpolizei in Marseille ermöglicht Bruno Frei im Mai 1941 die Ausreise unter seinem tatsächlichen Familiennamen Freistadt, obwohl sie wusste, dass er unter seinem Schriftstellenamen Frei auf der deutschen Auslieferungsliste stand.

Nach einer langen gefahrvollen Reise mit längeren Zwischenaufenthalten und Internierungen erreicht er im Herbst 1941 schließlich Mexiko. Dort schließt er sich der mit vielen Prominenten bestückten deutschen Emigranten-Gruppe an und wird Mitbegründer und erster Chefredakteur der Zeitschrift "Freies Deutschland". Dort beginnt er auch mit der Niederschrift seiner Erlebnisse in dem Lager Le Vernet.

1947 kehrt er nach Österreich zurück und wendet sich der Erforschung von Problemen und Gestalten des Judentums zu, so in seiner 1978 erschienenen Abhandlung "Sozialismus und Antisemitismus". Literarischen Erfolg hatte Frei jedoch vor allem mit einer Biographie Carl von Ossietzkys und dem Memoirenband "Der Papiersäbel". Seinem stürmisch bewegten Leben war kein gnädiges rasches Ende beschieden, sondern langsames, durch Erblindung verschärftes Verlöschen. Wenige Wochen vor seinem 91. Geburtstag und völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit ist Bruno Frei am 21. Mai 1988 gestorben. Das ND und die FAZ erinnerten mit kleinen Artikeln nach seinem Tod an ihn.

Ihm verdanken wir das authentische Zeitdokument, den ergreifenden romanhaften Bericht "Die Männer von Vernet". Er bekam von der illegalen Lagerleitung den "Auftrag", in verschlüsselter Weise alles schriftlich festzuhalten, was im Lager vor sich ging, um es später in Freiheit vor der Weltöffentlichkeit enthüllen zu können, was dann 1944 mit der Veröffentlichung des Buches »Die Männer von Vernet« zunächst in den USA auch geschehen ist. Das Buch wurde dann 1950 im Dietz Verlag Berlin (DDR) in Deutschland erstveröffentlicht und dreißig Jahre später, 1980, als Nachdruck im Gerstenberg Verlag, Hildesheim, erneut herausgegeben.

Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der im Lager Les Milles interniert war, bemerkt in seinem Vorwort u.a.: "Aber es ist nicht nur die nachprüfbare äußere Zuverlässigkeit des Berichts, die Freis Buch überzeugend macht, es ist seine innere Wahrheit…Dieses Buch ist ein Buch der Anklage, und das mit Recht…Es erzählt von Dingen, wie ich sie ähnlich selber erlebt habe." (Frei, S. V ff.)

Camp du Vernet Bild4Frei selber bemerkt 1980 in einem Rückblick zur Neuausgabe seines Berichts: "Von einem Stacheldraht auf kleinem Raum eingeschlossen, wurden sie zu einem Körper: Die Männer von Vernet. Hatten sie eine gemeinsame Ideologie? Hatten sie überhaupt eine Ideologie? Sie waren aus 30 Nationen – und ebensovielen Parteien – zusammengetrieben worden; wie kann man von einer gemeinsamen Ideologie sprechen?", fragt Frei, um zu antworten: "Und doch! Wiewohl sie keine gemeinsame Sprache verband, hatten sie eine gemeinsame Ideologie. Diese hieß: WIDERSTAND. Widerstand gegen die Kälte, Widerstand gegen den Hunger, Widerstand gegen die Ratten, Widerstand gegen ihre Bewacher – die Garde Mobile. Die Männer von Vernet hatten keine Waffen, wehrlos aber waren sie nicht, Ihre Waffe war der geschlossene Widerstand. Ein unwiederholbarer Vorgang. Seine Geschichte erzählt dieses Buch." (Frei, S. V)

Bruno Frei notiert an einer anderen Stelle: "Diese Aufzeichnungen eines Berichterstatters sind im Lager von Vernet in der Zeit vom Oktober 1939 bis Januar 1941 entstanden. Diese Blätter erzählen von Männern, die in der größten Verwirrung der Geister die Klarheit des Denkens, in der tiefsten Erniedrigung des Menschen den Glauben an den Menschen, vor den Karabinern der Garde Mobile den Mut zum Widerstand nicht verloren haben. Ein kleiner Frontabschnitt des großen Kampfes soll der Vergessenheit entrissen werden. Auch die Männer von Vernet waren Partisanen der Freiheit…Vernet war Kriegsschauplatz. Es war ein ungleicher Kampf." (Frei, S. 9)

Strukturiert hat er den Bericht durch ganz bewusst gewählte Zeitabschnitte, in denen er eindrucksvoll seine persönliche Situation mit der Situation im Lager, der innenpolitischen Situation Frankreichs und der internationalen Situation verbindet. Er beginnt mit dem Zeitabschnitt "1. September -11. Oktober" (1939).

Danach erließen die französischen Behörden bereits am 20. Juli 1939 eine Verordnung, die schon eine erste Orientierung auf die Umsetzung der von der Regierung geplanten Maßnahmen gegen die Masse der Flüchtlinge darstellte. Sie verordnete auf dieser Grundlage am 2. September 1939 – ein Tag nach dem faschistischen Überfall auf Polen - zunächst die stufenweise Registrierung aller deutschen Emigranten. Dabei kam es bereits zu massiven Repressalien und es begannen die ersten großen Verhaftungsaktionen der französischen Behörden.

Im Zuge der ersten Aktionen wurden etwa 800 Emigranten und 60 Emigrantinnen aus Deutschland und Österreich verhaftet. Die in Paris verhafteten Männer kamen zunächst ins Gefängnis "Santé" und die Frauen ins Gefängnis "La Petite Roquette" Danach, am 3. September 1939, mussten sich alle deutschen Männer im Alter von 17 bis 65 Jahren – also auch Bruno Frei und Rudolf Leonhard - an angegebenen Sammelorten einfinden. In Paris war der Sammelort das "Stade de Colombes" und kurz darauf Roland Garos.

Tausende vom Emigranten aus vielen Ländern, aus verschiedenen sozialen Kreisen, Antifaschisten und Hitlergegner unterschiedlicher politischer Richtungen, ehemalige Interbrigadisten, aber auch einfach Ausländer ohne Pass, oder vom Krieg überraschte Touristen sowie auch Nazis waren hier unter kurzfristig improvisierten unzumutbaren Bedingungen tagelang eingesperrt und warteten auf die weiteren Entscheidungen. Nach nochmaligen Durchsuchungen ihrer Habe brachten Gendarmen etwa 680 von in Roland Garos festgehaltenen "Unerwünschten" – "indésirables" in den frühen Morgenstunden des 12. Oktober 1939 mit Autobussen zum Bahnhof und verfrachteten sie in einen Zug.

Frei notiert: "Dies war mein Abschied von Paris. Wann war diese geschehen? Vor wenigen Stunden war es, dass wir im strömenden Regen, bepackt mit Koffern und Decken und Rucksäcken, in Autobusse verladen wurden, die uns durch die verdunkelte Stadt zum Bahnhof brachten." (Frei, S. 28)

In den frühen Nachmittagsstunden des 12. Oktober kam der Zug auf der Station Le Vernet an. Frei schreibt: "Aus dem Eisenbahnzug, der sie transportierte, entladen, fanden sie sich auf freiem Felde, in Reih und Glied aufgestellt. Auf einer Toreinfahrt war zu lesen: CAMP DU VERNET. " (Frei, S. V)

Man merkt dem Bericht an, dass sein Autor kein wissenschaftlich ausgebildeter Historiker war, sondern ein begabter Journalist. Er ist folgerichtig geprägt von einer Schreibweise, die ohne langatmige Anmerkungen auskommt und zum Lesen ermuntert. Besonders beeindruckend ist, dass es Frei gelungen ist, exakte, wissenschaftlich belegte historische Fakten mit emotionaler Anteilnahme zu verbinden. Er will damit, nach seinen eigenen Worten "Klassenbewusstsein" befördern und "Klassenstandpunkte" festigen helfen, zu aktivem Handeln, zum Mitgestalten einer humanen Gesellschaft ermuntern.

Frei selbst erhebt auch nicht den Anspruch, eine wissenschaftlich beglaubigte Arbeit vorzulegen, sondern einen subjektiv geprägten Bericht, der gesicherte historische Fakten mit persönlich gemachten Erlebnissen zusammenfügt. Persönliches, Privates und Gesellschaftliches, Erkenntnisgewinn und emotionale Ergriffenheit verschmelzen zu einer packenden Einheit.

Darin liegt der Charme und die nachhaltige Bedeutung des Buches. Die Lektüre vermittelt historisches Wissen zu einem Zeitabschnitt und zu Ereignissen, die vergessen zu werden drohen. Sie befördert darüber hinaus Anteilnahme, aber auch Bewunderung für den Mut, die Standhaftigkeit, die Menschlichkeit, die Solidarität unter den Internierten. So werden Pakete mit Lebensmitteln und warmer Kleidung, die viele von ihnen erreichen, solidarisch unter ihnen aufgeteilt. Ihr Leben eingezwängt zwischen einer lebensbedrohenden politischen Situation und unmenschlichen unmittelbaren Lebensbedingungen wird zu einem nachahmenswerten humanistisches Beispiel.

Nach Meinung des Rezensenten kann und sollte der Bericht als wichtige Ergänzung zum Geschichtsbuch im Geschichtsunterricht begriffen und genutzt werden. Aus dieser Zeit gibt es keine Zeitzeugen mehr. Deswegen erlangen authentische literarische Berichte wie der von Bruno Frei außerordentliche Bedeutung. Sie können nicht den mündlichen Bericht von Zeitzeugen, ihr Auftreten vor Schulklassen ersetzen, aber sie erlangen als authentische literarische Hinterlassenschaften von Zeitzeugen ihre besondere Bedeutung. Sie werden in der näheren und weiteren Zukunft die einzigen Quellen sein, denen wir authentische Informationen über die Zeit des Faschismus aus der Sicht seiner Opfer und vor allem seiner Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer entnehmen können.

Eine bezeichnende Äußerung Bruno Freis, aus dem Jahre 1944 soll die Erinnerung beschließen. "Es war die beste Zeit meines Lebens. In Vernet traf ich die besten Menschen der Welt. Ich habe nie in solcher Harmonie mit anderen gelebt. Es war wie eine Belohnung für alle Kämpfe." (Frei, S. 248)

Buch Die Maenner von Vernet

 

 

Frei, Bruno: Die Männer von Vernet – Ein Tatsachenbericht.
(Nachdruck der Ausgabe) Berlin, Dietz, 1950.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1980

 

 

 

Rudolf Leonhard

Der Schriftsteller Rudolf Leonhard wird am 27. Oktober 1889 in Lissa (heute Leszno, Polen) geboren und hätte in diesem Jahr seinen 130. Geburtstag gefeiert. Er entstammt einer jüdischen Rechtsanwaltsfamilie. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Berlin wird er Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, wandelt sich aber unter dem Druck seiner Erlebnisse zu einem entschiedenen Kriegsgegner und zum Anhänger von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Rudolf Leonhard1918 wird er Mitglied in der USPD, beteiligt sich an der Novemberrevolution 1918, den Januar-Kämpfen 1919 und wird im gleichen Jahr Mitglied in der KPD, die er aber bereits 1921 wieder verlässt.

Seit 1919 ist er freischaffender Künstler, engagiert sich in verschiedenen literarischen Zirkeln und schreibt u.a. für die "Weltbühne".

1928 nimmt er, einer Einladung Walter Hasenclevers folgend, seinen ständigen Wohnsitz in Paris. Dort ist er nach 1933 aktiv in den Schriftstellerorganisationen der deutschen Emigranten, wird zum Präsidenten des "Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller im Exil" gewählt und leitet deren wöchentlichen Zusammenkünfte im Keller des Café "Mephisto".

Er betont 1936 in seinem Aufsatz "Die gerettete Literatur" die Funktion der Exilliteratur als "Kampfliteratur". Das Bändchen "Gedichte", das 1936 getarnt als Reclamband Nr. 7248, nach Deutschland geschmuggelt wird, beweist, wie stark er alles, was er in diesen Jahren schrieb, dem antifaschistischen Kampf dienstbar macht. Dazu ist auch die aufrüttelnde, in viele Sprachen übersetzte Kurzgeschichte "Das jüdische Kind" zu rechnen, eine psychologische Entlarvung faschistischer Menschenverachtung. Sein Wirken für und mit den Emigranten trägt ihm den nom d’honneur "Mutter der Emigration" ein.

Mit einem Beitrag beteiligt er sich 1938 an der sogenannten "Expressionismus/Realismus-Debatte" in der Zeitschrift "Das Wort" und zieht sich seitdem die Feindschaft des heute zu Recht völlig vergessenen Alfred Kurellas zu.

Nach dem Putsch Francos gegen die rechtmäßige demokratisch gewählte Regierung in Spanien, der am 17. Juli 1936 den Spanischen Bürgerkrieg auslöste, studiert er intensiv die politischen Verhältnisse in Spanien. Die Ergebnisse seiner Studien liegen Ende Juli 1937 vor. Es sind 23 Novellen denen er den Titel "Der Tod des Don Quijote" gibt. 1938 erscheint das Buch in einem Züricher Verlag.

Im August 1937 fährt er, nachdem er Anfang Juli am in Madrid, Valencia und Barcelona tagenden II. Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur teilgenommen hat, als Delegierter des französischen Comité d’Entre Aide für zwei Monate an die militärische Front und nimmt an den Kämpfen teil. Die literarische Ausbeute dieser Zeit sind die "Spanischen Gedichte und Tagebuchblätter". Sie spiegeln seine unmittelbaren Erlebnisse wider und sind sein zweiter Beitrag zur umfangreichen Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg.

Am 1. September überfällt die faschistische Wehrmacht Polen. Der Zweite Weltkrieg begann.

In Frankreich werden daraufhin alle Ausländer deutscher Herkunft zwischen dem 17. Und 65. Lebensjahr aufgefordert, sich registrieren zu lassen und an Sammelstellen einzufinden.

Leonhard, der seine Registrierung verweigert, wird am 11. Oktober 1939 verhaftet und zunächst in das Pariser Stadion Roland-Gaross gebracht. Nach erneuter Durchsuchung seiner Habe bringen ihn Gendarmen zusammen mit etwa 680 in Roland Garos festgehaltenen "Unerwünschten" – "indésirables" in den frühen Morgenstunden des 12. Oktober 1939 mit Autobussen zum Bahnhof und verfrachteten ihn in einen Zug.

Bruno Frei notiert dazu: "Dies war mein Abschied von Paris. Wann war diese geschehen? Vor wenigen Stunden war es, dass wir im strömenden Regen, bepackt mit Koffern und Decken und Rucksäcken, in Autobusse verladen wurden, die uns durch die verdunkelte Stadt zum Bahnhof brachten." (Frei, S. 28)
In den frühen Nachmittagsstunden des 12. Oktober kam der Zug auf der Station Le Vernet an.
Frei notiert: "Aus dem Eisenbahnzug, der sie transportierte, entladen, fanden sie sich auf freiem Felde, in Reih und Glied aufgestellt. Auf einer Toreinfahrt war zu lesen: CAMP DU VERNET. " (Frei, S. V)

Das, was Bruno Frei hier notiert, traf auch auf Rudolf Leonhard zu.

Am 28. November 1940 wird Leonhard in das Lager "Les Milles" überführt, wo er vom Suizid seines Freundes Walter Hasenclever am 21. Juni 1940 erfährt.

Am 22. Mai 1941 ist er wieder in Le Vernet. Sein Freund Bruno Frei hat zu diesem Zeitpunkt das Lager bereits verlassen können.

In den Monaten nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 verstärkten die französischen Behörden den Druck auf die ihnen bekannten Politemigranten wie Franz Dahlem und Heinrich Rau.

Rudolf Leonhard, der ein Visum für die USA sowie ein Ausreisevisum erlangt hatte und sich bereits auf einem Schiff befand, wird aus dem Kohlenbunker des Schiffes herausgeholt und nach Le Vernet zurückgebracht. Die faschistischen Okkupanten, als Rote Kreuz-Helfer getarnt, übergeben den französischen Behörden laufend "Auslieferungslisten". Neben vielen bekannten Politemigranten war auf einer der Listen auch Rudolf Leonhard vermerkt. Hinter den Namen von 270 Lagerinsassen, deren Auslieferung gefordert wurde, stand als Entlassungsgrund: "nach Deutschland".

Am 18. Dezember 1941 wird er zusammen mit vielen bekannten Politemigranten, darunter Dahlem, Rau und Rudolf Breitscheid (er wurde nach seiner Auslieferung im KZ Buchenwald ermordet) m Gefängnis von Castres interniert. Im November 1942 wird es der deutschen Militärverwaltung unterstellt, Castres wird zum zentralen Auslieferungsgefängnis der Gestapo. Damit schwebten die Gefangenen von Castres in höchster Lebensgefahr.

Das löste eine große internationale Solidaritätsbewegung aus, an der sich auch Heinrich Mann beteiligte, denn die nach Castres verschleppten waren in größter Gefahr, nach Deutschland in die Fänge der Gestapo ausgeliefert und dort ermordet zu werden.

Camp du Vernet Bild2Damit begannen aber auch die intensiven Vorbereitungen für eine Flucht aus dem Gefängnis. Das war der einzige verbleibende Weg zu ihrer Befreiung, zur Rettung ihres Lebens.

Um die Jahreswende 1942/1943 fassten die Gefangenen zum zweiten Mal den Beschluss, den Ausbruch aus dem Gefängnis in Castres und den Übergang in die französische Widerstandsbewegung vorzubereiten.

Nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen gelingt im September 1943 die Flucht aus dem Gefängnis in Castres. In den Abendstunden des 10. September 1943 verlassen 36 Gefangene, darunter 19 ehemalige Spanienkämpfer, nachdem sie erfolgreich ihre Wächter überrumpelt hatten, das Gefängnis.

Rudolf Leonard ist unter ihnen und schreibt darüber den Erlebnisbericht "Mein literarisches Meisterstück". Er findet vorübergehend in einem nahegelegenen Kloster Unterschlupf, um kurze Zeit darauf den Weg zur französischen Widerstandsbewegung "Forces Francaises de l’Intérieur" von Marseille zu finden.

Unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht er Widerstandsgedichte in dem Gedichtband "Deutschland muß leben…", den er mit dem Satz beendet "Deutschland muß leben, darum muß Hitler fallen!" und antifaschistische Flugblätter. Am 25. August 1944 erlebt er die Befreiung von Paris, nimmt 1947 am "Ersten Deutschen Schriftstellerkongress" teil, und übersiedelt 1950, bereits schwer erkrankt nach Berlin (DDR). Dort stirbt er, nach einer insgesamt unerfreulichen Zeit, die er sich ganz anders erhofft hatte, am 19. Dezember 1953.

Die literarischen Produkte aus seiner Zeit in Le Vernet.

Bruno Frei erinnert in seinem Tatsachenbericht "Die Männer von Vernet" auch daran: "Einer der 'berühmten' Verneter war der deutsche Dichter Rudolf Leonhard. Er fiel in Vernet auf, da er, wo immer er sich befand, auf einem Zettel, oft nur ein Stück Toilettenpapier, ein Gedicht in deutscher oder französischer Sprache notierte. Die Gedichte von Rudolf Leonhard über Vernet (mit einem Vorwort von Maximilian Scheer ) sind gesammelt in der DDR erschienen." (Frei, S. XIII)

Wir verdanken Rudolf Leonhard aus seiner Zeit im CAMP DE VERNET die erschütternde Tragödie "Geiseln" und das nur in Auszügen veröffentlichte "Traumbuch". Der ebenfalls in Le Vernet entstandene Gedichtzyklus "Le Vernet" soll im folgenden vorgestellt werden.

Rudolf Leonhard wollte den "Band Vernet", wie er ihn gesprächsweise nannte, schon bald nach dem Krieg herausgeben. Freunde hätten ihn ermuntert, ihn erinnert, ihn gemahnt, ihn gedrängt. Es sei umsonst gewesen. Man habe den Eindruck gewonnen als sei er vor der schwierigen und zeitraubenden Sichtung und Auswahl zurückgeschreckt, als hätte er sich von keinem der mit unverlöschlichen Erinnerungen verknüpften Gedichte trennen können. Er habe die Originalhefte in seinem Archiv ruhen lassen und selbst die Abschriften von seiner gewiss nicht leicht lesbaren Handschrift unkorrigiert gelassen. Sicher sei, dass Le Vernet außerordentlich stark in ihm nachwirkte. Es war sein aufwühlendstes und dramatischstes Erlebnis in Frankreich. Und so sei es dazu gekommen, dass erst lange nach seinem Tod, der "Verlag der Nation", 1961 eine "erste reiche und gewichtige Auswahl" veröffentlichen konnte.

Mit diesen Informationen macht uns Maximilian Scheer in seinem Vorwort bekannt. Er hat vergessen hinzuzufügen, dass nach einzelnen verstreuten Veröffentlichungen von Gedichten aus Le Vernet, die Rudolf Leonhard von sich aus veranlasst hat, es Alfred Kantorowicz war, der als erster aus den Zyklus 1947 im zweiten Heft seiner Zeitschrift "Ost und West" zehn Proben daraus vorstellt und in einem "aus dem Herzen kommenden Einführungsartikel" Leben und Werk Rudolf Leonhards würdigt. Und er hat vergessen hinzuzufügen, dass die erste "repräsentative Auswahl" mit zweihundertfünfundfünfzig Gedichten lediglich ein reichliches Drittel des Zyklus‘ publiziert wurde.

Eine vollständige Ausgabe von Le Vernet, einem der dichterischen Hauptwerke des Exils, liegt, 66 Jahre nach seinem Tod, immer noch nicht vor.

Rudolf Leonhard wählt, im Vergleich zu dem Bericht von Bruno Frei, die literarische Form der Lyrik und verfasst gefangen, belauert, hungernd aber unbeugsam beinahe täglich ein Gedicht. Diese literarische Form ermöglichte ihm, im Gegensatz zu langen Prosatexten, schnell literarisch auf Ereignisse zu reagieren. Er strukturiert seine Gedichte nicht durch Zeitabschnitte wie Frei, sondern durch sechs Themenbereiche: "Das Lager", "Die Welt und ihre Geschichten", "Im großen Kampf der Massen", "Gemeinschaft", "Auslieferung" und "Flucht aufs Schiff". In seiner Gesamtheit vermittelt der Gedichtzyklus, und darin ähnelt er dem Bericht von Frei, ebenfalls eine Chronik der Ereignisse in Le Vernet in Versen. Dabei wechseln sich Ich-Perspektive und Beobachter-Perspektive ab. Zu ihrer Entstehung wurde bereits Bruno Frei zitiert.

In dem Zyklus in Versen schildert Leonhard den Alltag des Lagerlebens bis zu seiner erfolgreichen Flucht tagebuchartig. Es sind also Gelegenheitsgedichte im besten Sinn. Ihr Nachrichtenwert ist hoch und, wie der Vergleich mit Bruno Freis "Die Männer von Vernet" zeigt, sehr zuverlässig. In ihrer dokumentarischen Würde sind sie mit Freis Bericht vergleichbar.

"Le Vernet" umfasst 636 zwischen September 1939 und Dezember 1940 datierte Gedichte. Einige stammen vermutlich aus späterer Zeit. Eine nicht bekannte Anzahl ist, bedingt durch Rudolf Leonhards unbekümmerte, nicht auf Tradierung bedachte Arbeitsweise, im Lager verlorengegangen, oft unmittelbar nach der Niederschrift. Das ist nicht verwunderlich angesichts der von Frei beschriebenen Arbeitsweise und den Materialien, die Leonard zur Verfügung standen.

Und auch das gehört zur Entstehungsgeschichte des Zyklus‘. Im April 1940 war mit dem Transport der aus dem Lager Gurs überführten Spanienkämpfer ein Mann nach Le Vernet gekommen, der sich Verdienste besonderer Art erworben hat. Der Mithäftling Willy Bürger, der über eine gestochene Handschrift verfügte, hat Friedrich Wolfs "Beaumarchais" und Gedichte Rudolf Leonhards in Kleinstformat kopiert. Seine Arbeitsutensilien waren eine Stecknadel, in die er nachdem er sie mit Kieselsteinen angeschliffen hatte, eine haarfeine Nut für die Tusche ritzt, und zurechtgeschnittenes Zigarettenpapier. Damit kopierte er in mühseliger Arbeit die genannten literarischen Werke. Der Mithäftling Rudi Feistmann opferte eine Ausgabe von Balzac’s "Eugenie Grandet", in dessen weichen Saffianledereiband die Blättchen versteckt werden konnten. Der im Juli in die Sowjetunion abgefahrene Kommunist Anton Stiessel hat sie dorthin mitgenommen, wo sie in Teilen veröffentlicht wurden.

Seine Tätigkeiten in Le Vernet beschränkten sich aber nicht darauf, Gedichte zu verfassen.

Camp du Vernet Bild5Zusammen mit seinen Schriftstellerkollegen und Publizisten Theodor Balk, Bruno Frei, Arthur Koestler, Gustav Regler, Laszló Radványi (der Mann von Anna Seghers), Max Schroeder, Friedrich Wolf, war er – und das unbestritten - in dem Lager einer der führenden Aktivisten, die den geistigen Widerstand gegen die Lagerverhältnisse, der sich in einer vielfältigen Kulturarbeit ausdrückte, organisierte und durch eigene Beiträge mit Leben erfüllte. Die folgende kleine Übersicht, die den Berichten Bruno Freis folgt, soll das belegen.

Auf Diskussionsabenden werden nahezu alle Gebiete des Wissens berücksichtigt. In seinen wie in den Werken der anderen internierten Schriftsteller wird Le Vernet in Gedichten, Erzählungen, Autobiographien und kritischer Tagesliteratur lebendig.

Leonard schreibt für den französischen Unteroffizier, den sie alle "Napoleon" nennen, eine Rede und trägt auf einer Weihnachtsfeier sein Gedicht "Weihnacht in Vernet" vor. In den Wintertagen betreiben die aktiven Antifaschisten eine "Akademie von Vernet" in der neben "politisch-ideologischen Schulungen", "Selbststudien" und "Sprach-, Stenographie-, Mathematik- und Zeichenkursen" durchgeführt werden. Auch die Gedichte von und mit Leonhard werden gelesen, interpretiert und diskutiert. Damit sollten die Teilnehmer zum Selbstschreiben ermuntert werden. Eines der Gedichte ist:

GRAMMATIK

Mehrere Grad unter Null.
Der Boden ist hart gefroren
unter niedrigem Wolkenmull,
allen brennen die Ohren.

Daß vielen der Mantel fehlt,
hält die Brust in des Nordwinds Zange.
Das Tränenwasser vermehlt
den dünnen Staub auf der Wange.

Mit großen erstarrten Händen
ohne Handschuh und Tücher
streichen sie, falten sie, wenden
die Seiten der Lehrbücher.

Grammatik in Frost und Schnee –
das ist die beste Schaar,
das ist der Durchschnitt sogar
im Lager du Vernet.
(S. 90)

Als die Internierten am 19. Mai 1940, in den ersten Tagen der deutschen Offensive gegen Holland, Belgien und Frankreich, eine Goethe-Veranstaltung im Quartier B durchführten, war es Rudolf Leonhard, der eine kenntnisreiche und einfühlsame Eröffnungsrede hielt und sie mit dem Goethe-Zitat "Das ist der Weisheit letzter Schluß: nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß." beendete.

Auf den Ende August/Anfang September für das ganze Quartier offiziell organisierten, eindrucksvollen Dichterlesungen kann Friedrich Wolf aus seinem im Lager "bei Kerzenlicht" geschriebenen Schauspiel "Beaumarchais" lesen und Rudolf Leonhard seine Gedichte vortragen.

Das große Ansehen, das Leonhard in Le Vernet genoss, wird auch dadurch deutlich, dass der Mithäftling und Maler Josef Soos, den Schriftsteller mit einem Porträt in Öl auf Pappe ehrte. (Bilder von Josef Soos: http://www.campduvernet.eu/album-photos/dessins-1939-1944/soos/)

Camp du Vernet DienstbriefAber auch der französische Geheimdienst "ehrt" ihn mit einem Dossier von 200 Schreibmaschinenseiten, das die gesamte Dauer seiner Internierung lückenlos und detailliert dokumentiert und die Frage nach dem/den Informanten (Spitzeln) aufwirft. Sie müssen in unmittelbarer Nähe zu Leonhard gewesen sein. Der kannte das Dokument, hat sich aber nie dazu geäußert, wer der/die Spitzel gewesen sein könnten. Es fällt 1944 den Résistancekämpfern beim Sturm auf das Polizeipräsidium von Foix in die Hände und erreicht danach auch Rudolf Leonhard. Darin ist auch die Warnung enthalten: "Indessen gibt seine Haltung im Lager viel zu denken. … Er kann nicht ohne Gefahr entlassen werden."

Als Beweis für "seine Haltung" wird dem Dossier das Gedicht "Wir" hinzugefügt, das auch den Abschluss dieser Erinnerung an Rudolf Leonhard bezeichnen soll:

Wir

Wir frieren und verdrecken im dürren Stroh.
Das hat uns nichts an. Wir bleiben froh.
Wir wissen, warum.

Am Stacheldraht blitzen die Bajonette;
unsre Augen glitzern damit um die Wette.
Wir wissen, warum.

Wir können nur dreißig Schritte machen,
das hindert uns nicht, aus der Kehle zu lachen.
Wir wissen, warum.

Einer denkt an die Mutter, einer denkt an den Sohn,
und alle, alle kennen den Lohn:
Wir wissen, warum.

Wir heben die Stirn in den nassen Wind.
Wir wissen, warum wir gefangen sind,
wir wissen, warum.

Uns schiert nicht Verleumdung, uns trifft nicht Hohn.
Wir werden nicht krumm, uns macht man nicht dumm,
wir wissen, warum - -

Ist der Tag auch lang, und die Nacht ist bitter:
Wenn die Posten dann abziehn und aufgehn sie Gitter - -
Wir wissen, warum! - -

Dann geht’s auf die Straße, wir heben die Schuh,
und Du bist ich und ich bin Du - -
Wir wissen, warum,
und wissen, wozu!
(S. 29)

Buch Le Vernet Rudolf Leonhard

Leonhard, Rudolf: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Band I.
Herausgegeben von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. LE VERNET. Gedichte.
Mit einem Vorwort von Maximilian Scheer. Berlin 1961. Verlag der Nation.
Auswahl und Zusammenstellung: Maximilian Scheer. Künstlerische Ausstattung: John Heartfield

 

 

 

 

Ein kurzer historischer Abriss zur Geschichte des Lagers CAMP DE VERNET

Camp du Vernet EingangBereits am 12. November 1938 hatten die französischen Behörden eine Rechtsverordnung erlassen, nach der für Flüchtlinge ohne Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich (die als politische Flüchtlinge nicht in ihr Ursprungsland zurückkehren oder aus einem anderen Grund Frankreich nicht verlassen konnten) "strengere Überwachungsbestimmungen" galten. Besonders traf das aber solche unter den Flüchtlingen, die "als gefährlich für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" angesehen wurden. Ihnen konnte jetzt ein bestimmter Zwangsaufenthaltsort zugewiesen werden. Eine Verurteilung zu Gefängnis bis zu drei Jahren oder die Einweisung in eines der einzurichtenden Sammellager war möglich.

Damit gab es nun eine gesetzliche Grundlage, nach der man schon im Februar 1939 die Spanienflüchtlinge internierte und nach der man in der Folgezeit auch mit den anderen Emigranten verfuhr. Auf die vorgenannte Verordnung Bezug nehmend, wurde dann bereits am 21. Januar 1939 per Dekret die Einrichtung des ersten Sondersammellagers (Centre spécial de Rassemblement) von Rieucros bei Mende im Departement Lozère veranlasst. In der Folgezeit entwickelte es sich zum Pendant des Lagers Le Vernet für ausländische Frauen.

SP Rueckzug InterbrigadenIn der Zeit von April bis Juli 1939 legte man in weiteren Verordnungen die Bereitstellung von zusätzlichen finanziellen Mitteln aus dem Staatshaushalt zur Kontrolle der Ausländer sowie strengste Kontrollbestimmungen und Strafen gegenüber ausländischen Presse- und Propagandaorganen und Vereinigungen fest. Seit April 1939 isolierte man auf dieser Grundlage die Interbrigadisten in einem eilig erbauten "Aufnahmenlager" ("Centre d’Accueil") bei Gurs in der Nähe von Pau im Departement Pyrénées-Atlantiqués.

Bereits zu Beginn des Jahres 1939, setzte in dem Materiallager der Armee bei dem kleinen Ort Le Vernet im Departement Ariège eine geheimnisvolle Aufräumungs- und Bautätigkeit ein. Das Lager war einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg als Ausbildungslager für Senegalesen von der Armee errichtet, seine Benutzung jedoch aufgrund des rauen und Erkrankungen begünstigenden Klimas bald wieder aufgegeben worden. Während des Ersten Weltkrieges nutzte man es als Kriegsgefangenenlager. Danach dienten die Baracken der Armee als Materiallager. Ende 1938/Anfang 1939 wurde das Lager nun von Material geräumt, erweitert und notdürftig wiederhergerichtet. Auch in anderen derartigen Lagern im äußersten Süden Frankreichs begannen ähnliche Arbeiten. Das alles waren Vorbereitungen, um Flüchtende aus Spanien aufzunehmen.

Am 17. September 1939 wurde dann die Internierung im Lager Le Vernet durch ein Rundschreiben des Innenministeriums amtlich geregelt. Am 12. Oktober trafen die ersten Verhafteten aus Paris kommend, im Lager ein. In dem Rundschreiben hieß es, dass "die vom nationalen Gesichtspunkt verdächtigen Ausländer oder für die öffentliche Ordnung gefährlichen im Lager Vernet (Aège) gesammelt" und die "verdächtigten" und "gefährlichsten" ausländischen Frauen im Gefängnis "La Petite Roquette" bzw. im Lager Rieucros interniert werden sollten.

In ministeriellen Rundschreiben vom Oktober und November 1939 sowie März 1940 wurden diese drei Lager bereits durchgängig durch die ausdrückliche Bezeichnung als "camps de concentration" besonders charakterisiert. Le Vernet war das Lager mit den härtesten Lebens- und Kampfbedingungen unter den insgesamt fast hundert Lagern, die in Frankreich im ersten Kriegsjahr geschaffen wurden. Die Internierung dort bedeutete Gefangenschaft. Die Internierten in Le Vernet unterlagen dem Kriegsrecht. Wer der Militärverwaltung des Lagers den Gehorsam verweigerte, dem drohte ein Kriegsgericht. Jegliche politische Betätigung war verboten. Auch Besuche waren verboten. Im November 1939 sind im Lager Vernet 1.223 und am 1. August 1940 3.831 Häftlinge interniert, unter ihnen 73 im April aus dem Lager Gurs überführte Spanienkämpfer (16 Deutsche). (Jentzsch, 41/42)

Am 10 Mai 1940 wendet sich die faschistische Kriegsmaschinerie gegen Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederland. Am 14. Juni 1940 marschiert die Naziwehrmacht in Paris ein.

Die Situation der Internierten in den französischen Lagern verändert sich damit dramatisch. Die deutschen Antifaschisten schwebten von nun an ständig in der Gefahr, an die deutschen Faschisten ausgeliefert zu werden, und somit in Todesgefahr. Am 10. August befahl die Lagerleitung den Internierten bei einem Appel, dass sie allen Anordnungen der deutschen Kommission, die in wenigen Tagen ins Lager kommen werde, ohne Ausnahme Folge leisten müssten. In der ersten Oktoberhälfte 1941 traf eine deutsche Kommission in Le Vernet ein.

Am 18. November 1941 werden etwa 25 führende Kommunisten, unter ihnen Dahlem, Longo, Rädel, Rau und auch Leonhard, der kein Kommunist ist, aber dafür gehalten wird, in das Gefängnis der Kleinstadt Castres "verlegt". Es ist das "Vorspiel zur Auslieferung".

Über das Jahr 1942 in Le Vernet liegen wenig schriftliche und mündliche Zeugnisse vor. Aber es beginnen die Deportationen der jüdischen Internierten unter der Losung "Frankreich-Judenfrei!". Flucht aus dem Lager und dem Gefängnis wird ein Thema.

Am 27. Mai 1944 übernimmt die deutsche Wehrmacht offiziell die Gewalt über alle Lager im besetzten Teil Frankreichs. Bis dahin kommen in Le Vernet über 200 Gefangene ums Leben. Noch im selben Monat werden vierhundert internierte Juden, die meisten von ihnen Textilarbeiter, nach Auschwitz deportiert. Als das Lager am 30. Juni 1944 aufgegeben wird, geht ein Transport von 400 Häftlingen nach Dachau und 403 Internierte des Lagers werden auf LKWs verladen und nach Toulouse gebracht. Es sind die letzten Internierten des Lagers. Le Vernet ist unter den französischen Lagern zum Symbol der Vernichtung und des Widerstandes geworden.

Am 23. August 1944 kapitulierte n die im Departement Ariège konzentrierten deutschen Truppen bei La Bastide vor den französischen und den mit ihnen gemeinsam kämpfenden Widerstandskämpfern anderer Nationalitäten. In die Baracken des Lagers Le Vernet sperrte man als Kriegsgefangene die mehr als tausend deutsche Soldaten, die im Ariège die Waffen gestreckt hatten.

txt: Dirk Krüger
Bilder von Josef Soos aus dem Camp Le Vernet: http://www.campduvernet.eu/