Der Kommentar

COP26 Actionday Glasgow 607.11.2021: An Versprechungen mangelt es zur Halbzeit der Klimakonferenz in Glasgow nicht. Der Beweis für die große Stunde des Greenwashing in Glasgow kommt aus Brüssel.
Kommentar von Leo Mayer zur Halbzeit der Klimakonferenz in Glasgow

 

An Versprechungen mangelt es zur Halbzeit der Klimakonferenz in Glasgow nicht.

Der Beweis für die große Stunde des Greenwashing in Glasgow kommt aus Brüssel, wo ein so genanntes "No-Paper" offenbart, dass die EU bereit ist, Gas und Atomkraft als "Übergangsenergien" zu betrachten, die durch "grüne" Investitionen finanziert werden können. Außerdem haben die G20-Länder (an denen die EU mit den größten Mitgliedstaaten beteiligt ist) kürzlich 3.300 Milliarden Dollar für fossile Energien bereitgestellt, als ob es sich um eine Investition in die Zukunft handelte.

Mehr als hundert Staats- und Regierungschefs haben sich bei der UN-Klimakonferenz COP26 zu einem verstärkten Kampf gegen die globale Vernichtung der Wälder verpflichtet. Demnach soll im Kampf gegen die Erderwärmung die Entwaldung bis 2030 gestoppt werden. Der britischen Regierung zufolge umfasst die Übereinkunft mehr als 85 Prozent der Wälder weltweit, darunter die Nadelwälder in Kanada, der Amazonas-Regenwald in Brasilien und den tropischen Regenwald im Kongobecken. Unterstützt wird das Vorhaben mit umgerechnet Milliarden Dollar 17 Milliarden Euro an Finanzzusagen.
Allerdings hatten rund 200 Teilnehmer eines UN-Klimatreffens in New York bereits 2014 angekündigt, die Entwaldungsrate bis 2020 zu halbieren und die Entwaldung bis 2030 zu stoppen. Passiert ist nichts. Die Abholzung in industriellem Maßstab geht ungebremst weiter.

Und während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag gemeinsam mit den USA ein "globales Abkommen" zur Senkung des Methanausstosses um 30 Prozent bis 2030 bekanntgab, dem mehr als 100 Länder beigetreten seien, distanzierten sich wenige Stunden später bereits die ersten europäischen Länder: acht Länder (Österreich, Polen, Ungarn, Rumänien, Slowakei, Tschechische Republik, Lettland, Litauen) gaben sofort bekannt, dass sie überhaupt nicht damit einverstanden sind, beim Thema Methan zu intervenieren und zogen sich zurück.

US-Präsident Biden hat in Glasgow der Welt zwar große Versprechungen gemacht, die Kohlenstoffemissionen der USA bis 2030 um 50 % und bis 2050 um 100 % zu reduzieren, doch gleichzeitig haben ihm abtrünnige Senatoren seiner eigenen Partei das wichtigste Instrument zur Erreichung dieser Ziele, das "Clean Electricity Performance Program" mit dem Kohle- und Gaskraftwerke durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden sollen, aus dem Build Back Better-Gesetz gestrichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte in ihrer letzte Ansprache als Amtsträgerin bei der Eröffnung des Klimagipfels, dass jetzt eine "Dekade des Handelns" beginne. Sie sagte nicht, warum diese Dekade erst anfangen soll, wenn sie als Kanzlerin abtritt. Doch sie liegt mit dieser Aussage auf der Linie der meisten Regierungen, die das Ziel der Klimaneutralität für 2050 versprechen, aber wenig tun, um ihre kurzfristigen Ziele bis 2030 nachzubessern. Das Versprechen langfristiger Klimaziele verpflichtet eben viel weniger zum Handeln als Maßnahmen für die nächsten neun Jahre. Zudem werden Mitte des Jahrhunderts die wenigsten Politiker*innen von heute noch an der Regierung sein und zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sich die Erde um drei Grad oder mehr erwärmt, wie die Mehrheit der Expert*innen des Weltklimarates (IPCC) befürchtet, und nicht um die mit dem Pariser Klimaabkommen angepeilten 1,5 Grad Celsius.

2009 und erneut 2015 haben sich die reichen Länder darauf geeinigt, 100 Milliarden US-Dollar für die Entwicklungsländer bereitzustellen, die unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, ohne dafür verantwortlich zu sein. Aber sie haben dieses Ziel immer noch nicht erreicht; nicht einmal 80 Milliarden sind bisher zusammengekommen. Das Vereinigte Königreich hat in Glasgow einen von Deutschland und Kanada vermittelten Klimafinanzierungsplan vorgestellt, der einen Prozess zur Bereitstellung der schicksalhaften 100 Milliarden Dollar vorsieht, allerdings nicht vor 2023. Dabei schätzt die UNO bereits jetzt, dass für den Übergang 1.000 Milliarden benötigt werden.

Kein Wunder, dass viele Schwellenländer den reichen Ländern nicht über den Weg trauen. Sie befürchten, dass die Regierungen der kapitalistischen Zentren zwar Versprechungen machen, die aber nicht umgesetzt werden. Die Hauptfunktion dieser Versprechungen bestünde darin, arme und Schwellenländer dazu zu bringen, von der "Großzügigkeit" der reichen Länder zu lernen und ihre eigenen Interessen zu opfern, um eine größere Verantwortung für die Verringerung der Emissionen zu übernehmen, als sie entsprechend den historisch aufgelaufenen Emissionen müssten.

Es scheint, dass der Appell von Papst Franziskus an die Staats- und Regierungschefs der Welt, auf dem Klimagipfel in Glasgow "radikale Entscheidungen" zu treffen, von den Herrschenden ebenso unbeachtet bleibt wie die Forderungen von Millionen nach dem Schutz des Klimas und der Zivilisation.

"Gerechtigkeit wird uns nicht von den Staats- und Regierungschefs oder von den Konzernen geschenkt", heißt es im Aufruf der COP26 Coalition für den Aktionstag vom Samstag. Es bleibt nur der langwierige Weg, wie es ebenfalls im Aufruf der COP26 Coalition heißt: "Wir organisieren weltweit dezentrale Massenmobilisierungen und bringen Bewegungen zusammen, um Macht für den Systemwandel aufzubauen."
Denn ohne Systemwandel wird es keinen wirksamen Klimaschutz und keine Klimagerechtigkeit geben.


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