Wirtschaft

mannheim protest ge power 201411.03.2017: Nach zahlreichen Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen, Kundgebungen und zähen Verhandlungen kam es Anfang Februar zu einem Verhandlungsergebnis in der Einigungsstelle des Arbeitsgerichtes Mannheim für die Standorte Mannheim, Bexbach und Stuttgart. Demnach kann der GE-Konzern die Anfang 2016 angekündigten rund 1700 Arbeitsplätze abbauen, muss dafür aber einen hohen Preis in Form eines gut ausgestatteten Sozialplans zahlen, der deutlich teurer als geplant ausfällt. Die Fabriken in Mannheim und Bexbach werden geschlossen; am Kesseltechnik-Standort Stuttgart wird die Belegschaft halbiert. Was können die Ursachen für die Niederlage der kämpferischen Belegschaften sein?

Die Vorgeschichte

  • 2004 übernahm der französische ALSTOM-Konzern den Kraftwerksbereich von ABB, der durch Entwicklungsfehler an einer schweren Gasturbinenreihe vor dem Konkurs stand. Die Europäische Kommission zwang ALSTOM, den lukrativen Industrieturbinenbereich an Siemens zu verkaufen.
  • ALSTOM beschloss milliardenschwere Fehlinvestitionen in Turbinen- und Kesselfabriken in USA, Mexiko, Indonesien und Indien zu einem Zeitpunkt, wo asiatische Kraftwerksbauer bereits Überkapazitäten aufgebaut hatten. 2013 stand ALSTOM kurz vor der Pleite. Die Konzernleitung beschloss, den noch lukrativen Luftvorwärmer- und Behälterbau (Kassel/Bammental/Mannheim) zu verkaufen und die deutschen Fabriken in Neumark (Kessel), Bexbach (Schaufeln) und Mannheim (Turbinen) zu schließen. Gleichzeitig suchte ALSTOM nach einem Übernahmekandidaten, der die angehäuften Milliardenschulden tilgen und die unfähigen Manager und Aktionäre um  Patrik Kron herum fürstlich abfinden sollte. Die Kesselfabrik in Neumark wurde nach über einem Jahr Widerstand geschlossen und der Luftvorwärmer-und Behälterbau verkauft. Die Mehrheit der deutschen Betriebsräte hoffte, den künftigen Übernahmekandidaten von der Stilllegung der noch verbliebenen Standorte abzubringen. Deshalb wurden diese Schließungspläne weder in der Öffentlichkeit noch in den Belegschaften diskutiert, was sich später als nachteilig herausstellen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Standorte noch gut ausgelastet und hätten wirtschaftlichen Druck ausüben können. 2015 wurden dann die Fabriken in Mannheim und Bexbach durch Auftragsverlagerungen systematisch leer gefahren und gingen in Kurzarbeit.
  • Ende 2015 setzte sich General Electric (GE) gegen Siemens durch und übernahm das restliche, angeschlagene Kraftwerksgeschäft von ALSTOM. Der europäische Betriebsrat entschied sich mehrheitlich vor allem auf Betreiben der deutschen Vertreter, den Verkauf an GE nicht zu blockieren. Während der damalige französische Wirtschaftsminister eine Beschäftigungssicherung für französische Standorte durchsetzen konnte, verzichtete der damalige deutsche Wirtschaftsminister Gabriel auf Standort- und Beschäftigungsgarantien.
  • Anfang 2016 kündigte GE den Abbau von 900 Arbeitsplätzen in der Schweiz und von 1700 Arbeitsplätzen in Deutschland an, darunter fast 1100 in Mannheim. Die Fabriken in Mannheim und Bexbach sollten geschlossen und die Belegschaft in Stuttgart halbiert werden. Statt eines versprochenen Expansionskurses in Europa beseitigt GE durch die Übernahme des Wettbewerbers ALSTOM  selbst geschaffene Überkapazitäten. Der Widerstand beginnt aufs Neue.


Der Widerstand

Die Standortbetriebsräte und Belegschaften der GE Power AG in Deutschland schlossen sich zusammen und übertrugen das Verhandlungsmandat an den Konzernbetriebsrat. Von Anfang an wurde von Betriebsräten und der IG Metall auf den im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Weg zu einem Interessensausgleich und Sozialplan gesetzt, der durch betriebliche und überbetriebliche Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden sollte. Es wurden auch andere Wege notfalls in Betracht gezogen. Dazu zählten, über Urabstimmung und Streik für einen Sozialtarifvertrag oder über eine zeitweilige Betriebsbesetzung zu einem Ergebnis zu kommen.

Zahlreiche gemeinsame überbetriebliche Aktionstage wurden in Deutschland und in Paris mit guter Resonanz der Beschäftigten und der Öffentlichkeit durchgeführt. Zahlreiche Angestellte traten in die IG Metall ein und erhöhten deutlich den gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Wirtschaftlich rechenbare Alternativprodukte wurden von Betriebsräten mit Unterstützung des INFO-Instituts und der IG Metall ausgearbeitet und Investoren gefunden. Politiker, vom Mannheimer OB Kurz bis hin zum Wirtschaftsminister Gabriel, setzten sich für eine Verhandlungslösung ein.

Die GE-Konzernleitung zeigte sich unnachgiebig und verharrte auf ihrem „Herr-im Hause-Standpunkt“.  In Donald-Trump-Manier wischte sie alle Vorschläge für alternative Produktion und Investoren vom Tisch. Sie bestand auf einer kurzfristigen Fabrikschließung und kurzbefristeten Transfergesellschaften und machte somit einen „freiwilligen“ Interessenausgleich und Sozialplan unmöglich. Deshalb musste der Betriebsrat Ende 2016 die Einigungsstelle anrufen, deren Ergebnis Anfang Februar 2017 vorlag und schließlich beiderseits akzeptiert wurde.

Das Ergebnis

Was die Arbeitsplätze angeht, so hat sich GE voll durchgesetzt: Alle geplanten Schließungen und Teilschließungen werden vollzogen. Nur die Berliner Servicefabrik kommt mit einem „blauen Auge“ davon. Für den Mannheimer Standort bedeutet das:

  • Von den Anfang 2016 noch vorhandenen rund 1800 Arbeitsplätzen werden Ende 2018 rund 700 in den Bereichen Kraftwerksservice und Dampfturbine (Projektleitung, Konstruktion, Abwicklung) übrig bleiben -jedoch ohne eine Perspektive hinsichtlich Beschäftigungs- und Standortsicherung. Ein Umzug oder Schließung des Reststandortes ist somit ab 2018 nicht ausgeschlossen.
  • Die Schließung der Turbinenfabrik (rund 400 Beschäftigte) wird von Juli 2017 auf 2018 verschoben. Zwischenzeitig wird weiter nach Investoren gesucht. Eine Ausgründung zweier Fabrikabteilungen wird ermöglicht. Die Ausbildung der derzeitigen Lehrlinge wird bis zu deren Abschluss weitergeführt.
  • Da im Jahre 2016 bereits rund 400 Beschäftigte über Altersteilzeit und Aufhebungsverträge ausgeschieden sind, müssen rund 700 in sogenannte Transfergesellschaften wechseln und sind bis zu 18 Monaten mit 85% ihres Jahresbruttoverdienstes vor Arbeitslosigkeit abgesichert.
  • Die Abfindungssummen liegen über dem 1,5-fachen eines Bruttomonatsgehalts.
  • Einem Teil der altersgesicherten Beschäftigten werden Ersatzarbeitsplätze angeboten.

Fazit: die Bilanz für die Arbeitsplätze ist verheerend. Der Sozialplan ist dagegen gut ausgestattet und verzögert bzw. verringert die Gefahr der Arbeitslosigkeit. Kurz und gut: ein Begräbnis erster Klasse.

Die Bewertung

Unter dem Eindruck der langen Auseinandersetzung und ihres ernüchternden Abschlusses ist es derzeit nur möglich, eine vorläufige und sicherlich noch unvollständige Einschätzung zu geben. Dennoch sollten einige Gesichtspunkte genannt werden, die in der weiteren Diskussion eine Rolle spielen und für künftige Auseinandersetzungen wichtig werden können:

Die gute Ausstattung des Sozialplans ist dem für die Branche relativ hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, der vollen Unterstützung der IG Metall und dem einheitlichen, solidarischen Widerstand der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte zu verdanken. Dieser reichte jedoch erstmals in der 28-jährigen Geschichte des Widerstandes nicht aus, um Arbeitsplätze zu sichern. Das kann mehrere Gründe gehabt haben:

  • Die jüngste Auseinandersetzung fand in einem Zeitraum statt, in dem weltweit Überkapazitäten im Kraftwerksbau abgebaut wurden. Die konzerninterne  Standortkonkurrenz war noch nie so groß wie unter GE.
  • Noch nie hatten es die deutschen Belegschaften mit einem solch starken, knallharten und erfahrenen ausländischen Konzern zu tun.
  • Die eigentlichen GE-Ziele bei der Übernahme des ALSTOM-Kraftwerksgeschäfts wurden von Betriebsräten und Belegschaften zu spät erkannt. Es herrschte zu lange die Illusion vor, GE würde in Europa expandieren.
  • Es gab in Teilen der Belegschaften und der deutschen und europäischen Betriebsräte die falsche Hoffnung, man könne GE mit Argumenten überzeugen und von gefassten Schließungsplänen abbringen. GE gehört jedoch zu den amerikanischen Konzernen, die einmal gefasst Beschlüsse knallhart durchziehen und sich auch nicht von sozialpartnerschaftlichen Formulierungen im Betriebsverfassungsgesetz beeindrucken lassen. Deshalb hat es sich nicht gelohnt, die schon von ALSTOM geplanten Fabrikschließungen erst unter GE offen anzugehen. 2013/2014 hätten die Belegschaften größeren wirtschaftlichen Druck erzeugen können.
  • Sowohl in den Belegschaften als auch in den Vertrauensleutekörpern und Betriebsräten ist es in den letzten 10 Jahren zu einem Generationswechsel und damit zu einem geänderten gewerkschaftlichen und politischen Bewusstsein gekommen. Zuwenig wurde innerhalb der IG Metall, der Betriebsräte und Vertrauensleute darüber gesprochen, welche Vorteile eine Verstaatlichung hätte. Zuwenig wurde darüber nachgedacht, an welchen Stellen GE druckempfindlich ist und ob es neben oder parallel zum im Betriebsverfassungsgesetz beschriebenen Weg der Konfliktlösung weitere Möglichkeiten gäbe. Auch neue Kampfformen -wie die Einbeziehung von Stammkunden- gehören dazu. Die Möglichkeiten, die sich aus der immer noch guten Auftragslage in Mannheim beispielsweise in den Bereichen Dampfturbinen und Inbetriebnahme ergaben, wurden unterschätzt. Zuwenig wurden örtlichen Betriebsräte und Vertrauenskörperleitungen bei Entscheidungen über Strategie & Taktik einbezogen.
  • Die Hilfe vom deutschen Wirtschaftsminister kam zu spät. Beim Übernahmepoker in 2015 hat er uns im Stich gelassen und im Gegensatz zu anderen Fällen darauf verzichtet, Standort- und Beschäftigungsgarantien einzufordern.
  • Im Nachhinein betrachtet war 2014 die Forderung v.a. der französischen Gewerkschaften nicht verkehrt: statt ALSTOM an GE  zu verkaufen, forderten sie damals die Verstaatlichung von ALSTOM.                        

Text/Foto; Joachim Schubert