Wirtschaft

schlecker_nuernberg_ballin_P110074311.04.2012: Nach der Lissabon-Strategie des europäischen Rats vom Jahr 2000 sollte die EU bis 2010 zur dynamischsten, Technik basierten Wachstumsregion der Welt werden. Doch dynamisch wachsen allein Staatsschulden und Arbeitslosenzahlen. Kurz vor Ostern meldete die EU-Kommission die höchste Arbeitslosigkeit seit der entsprechenden Aufzeichnung in EU und Euroraum: 10,2% für die EU 27 und 10,8% für den Euroraum. Jeder neunte Einwohner von Euroland ist ohne Arbeit, die verdeckte Arbeitslosigkeit und Statistikmanipulationen noch gar nicht eingerechnet und auch nicht das zunehmende Ausmaß prekärer Arbeit.

Vor allem aber dies: Hinter den nüchternen Prozentzahlen verbergen sich Millionen von Einzel- und Familienschicksalen. In Europa sind inzwischen fast 25 Millionen Menschen (24,55 Millionen) ohne Arbeit. 25 Millionen – das entspricht dem Arbeitskräftepotenzial von ganz Frankreich. Konzentriert auf ein Land bedeutet diese Zahl, dass in ganz Frankreich kein einziger arbeitsfähiger Mensch einer bezahlten Arbeit nachgehen könnte. Ein Bruttosozialprodukt in der Größenordnung von zwei Billionen Euro würde nicht erstellt.

Die Arbeitslosenzahlen kennen seit der Finanz- und Wirtschaftskrise nur eine Richtung – nach oben. Im jetzt vergangenen Februar lagen sie um 8,4 Millionen höher (+52%) als vor vier Jahren im Februar 2008. Im Euroraum war in der gleichen Zeit ein Anstieg von 55% von 11,4 Millionen auf 17,1 Millionen zu verzeichnen.

Besonders gravierend das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Fast 5,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren haben in der EU27 keinen Job (siehe Artikel: EU-Jugend: Zerstörte Lebensentwürfe; www.kommunisten.de). Die Quote liegt mit 22,4% (EU) und 21,6% (Euroraum) mehr als doppelt so hoch als die Gesamtarbeitslosigkeit. Sie ist den Krisen- und „Aufschwung“jahren um 7,3 Prozentpunkte gestiegen. In Spanien (50,5%) und Griechenland (50,4% bereits im Dezember) ist jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. In Italien (31,9%), Irland (31,6%), Portugal (35,4%), Belgien (32,2%) ist es fast jeder dritte.

Aber auch die Gesamtarbeitslosigkeit ist in den Peripherieländern inzwischen zwei- bis dreimal so hoch wie vor der Finanz- und Wirtschaftskrise: Spanien Anstieg von 9,0 auf 23,3 Prozent, Griechenland 7,7 auf 21,0 (Dezember 2011), Portugal 8,4 auf 14,8, Irland 4,9 auf 14,8 Prozent (jeweils Januar 2008 – 2012). In Griechenland, das immer tiefer in der Krise versinkt, ist die Arbeitslosigkeit binnen Jahresfrist um 6,3 Prozentpunkte gestiegen.

Es zeugt von einem perfiden Zynismus, wenn sich die Europäische Kommission jetzt „besorgt über die Entwicklung auf den Arbeitsmärkten“ zeigt. Eine Kommissions-Sprecherin erklärte: Bei aller Bedeutung von Einsparungen der öffentlichen Hand komme es darauf an, Wachstum und Arbeitsplatzbeschaffung besser miteinander zu verknüpfen. Wer nur auf Sparen setze, verschärfe die Rezession; daher müsse der Arbeitsmarkt stärker in Wirtschafts- und Finanzpolitik berücksichtigt werden (FAZ, 3.4.12). Das verkündet gerade die EU-Kommission, die im Rahmen der Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) den südlichen Peripherieländern ein Spardiktat nach dem anderen aufoktroyiert hat und diese Länder unter der Losung „Wettbewerbsfähigkeit“ direkt in den Ruin und die Rezession getrieben hat. Wobei keiner der neoliberalen Politiker und Ökonomen erklären konnte, für welche angeblich unentdeckten Märkte diese Ökonomien denn wettbewerbsfähig werden sollten. Wo, bitteschön, sind die zusätzlichen Marktlücken, die es zu decken gilt. Ansonsten sind alles Nullsummenspiele: Einen Weltmarktanteil, den ein wettbewerbsfähigeres Griechenland erobern würde, ginge einem anderen Exportland verloren. Es sei denn, die kaufkräftige Nachfrage würde durch entsprechende Lohnerhöhungen und wirksame Besteuerung der Reichen, verbunden mit entsprechender öffentlichen Daseinsvorsorge erhöht.

So aber dürfte der „griechische“ oder „spanische Weg“ der Einsparung hunderttausender Stellen im öffentlichen Dienst, der Kappung öffentlicher Investitionen, der Lohn- und Rentenkürzungen … die Arbeitslosigkeit weiter verschärfen und in die Depression münden. Aber auch die anderen Eurostaaten ziehen die Bleigewichte Schuldenbremse und Fiskalpakt weiter in den rezessiven Abschwung. Die Gefahr einer lang andauernden Stagnation ist nicht von der Hand zu weisen.

Text: Fred Schmid, isw