Wirtschaft

schlecker_ballin_P110073302.04.2012: Im Einzelhandel tobt bei sinkender Massenkaufkraft auf dem Rücken der Beschäftigten ein ruinöser Konkurrenzkampf. Der Drogeriemarkt ist umkämpft u.a. zwischen Roßmann aus Hannover, Werner (dm) aus Karlsruhe und Müller aus Ulm und eben Schlecker aus Ehingen. Auch Anton Schleckers Erfolgsrezept ruhte auf Säulen wie keine Betriebsräte und keine Gewerkschaft. Entsprechend waren die Arbeits- und  Bezahlungsverhältnisse für über 30.000 Beschäftigte, zumeist Frauen.

Seit den neunziger Jahren organisierten die Frauen sich in HBV und DAG, heute ver.di, und wählten gegen massive Widerstände des Unternehmens Betriebsräte. Sie lernten auch, für ihre Forderungen zu streiken. Zuletzt war etwa ein Drittel organisiert, was auch von persönlichem Mut zeugt. Schlecker mußte Tarifverträge anerkennen.

 

Als Schlecker mit seinen XL-Läden sein Stammpersonal über Leiharbeit in Armutslöhne abdrängen wollte, wehrten sich die Beschäftigten. Es gab breite Unterstützung in der Öffentlichkeit, sogar Ministerin von der Leyen mußte reagieren. Ver.di rief zum Boykott dieser Filialen auf. Schlecker mußte nachgeben.

Nun hat die Schleckerfamilie den Karren in den Dreck gefahren, auch infolge des autokratischen Führungsstils, aber vor allem als Folge kapitalistischer Normalität; denn bei stagnierenden Märkten überlebt, wer wächst, andere gehen unter. Das führte bei keinem Großkapitalisten zu persönlicher Not, anders als bei den Beschäftigten. Ihr Weg ins Verarmungsprogramm Hartz IV ist maximal 365 Tage lang., wenn sie nicht gleich als Aufstockerinnen zur ARGE müssen, weil ihr ALG I für prekär Beschäftigte oft nicht mal das Hartz-IV-Niveau erreicht.
 
Dabei wäre es schon ein Unterschied gewesen für 11.000 Schleckerfrauen und ihre Familien, zunächst in einer Auffanggesellschaft zu 80% ihres bisherigen Nettolohns beschäftigt zu  werden, wenn Qualifizierungsmaßnahmen in einem Beschäftigungsverhältnis stattfinden und sich aus dem heraus um eine andere Stelle beworben werden kann. Dies scheiterte an der fehlenden Bürgschaft einiger Bundesländer für 70 Millionen Euro Kredit von der KfW-Bank.

Jetzt macht ein gewisser Döring Stimmung. Ver.di habe zum Boykott von Schlecker aufgerufen und die Pleite mitverursacht. Was wirklich war, siehe oben. Man könnte das Geheule einer Partei ignorieren, die merkt, daß ihre Klientel sie nicht mehr braucht. Da aber noch Minister dieser Partei mitreden, konnten sie den Kredit verhindern. Und gaben den anderen Neoliberalen die Chance, sich hinter der FDP zu verstecken. Sie sollten „schnellstmöglich eine Anschlußverwendung finden“, riet FDP-Chef Rösler den Frauen mit kaum zu übertreffendem Zynismus.

Die Pleitebank KfW wurde als erste mit 12 Milliarden Steuergeldern gerettet. Danach wurde ein „Rettungsschirm“ für Bankster, Zocker und Spekulanten mit 480 Mrd. Euro in nur sechs Tagen durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht. 173 Milliarden kostete die Übernahme fauler Papiere der HRE. Mal gerade 0,4 Promille dieser Summe hätten für die Schleckerfrauen gereicht. 

Schlecker ist ein Lehrbeispiel für kapitalistische Realität. Rettungsschirme für die Reichen, einen Tritt für Belegschaften und Arbeitslose. Mit ihrem jahrelangen betriueblichem und gewerkschaftlichen Kampf haben die Schlecker-Frauen viel erreicht. Was jetzt zu stemmen war, ging über die Kraft einer einzelnen kämpferischen Belegschaft, trotz vielfältiger Solidarität. Die Verbindung und Vernetzung vieler Belegschaften, von Schlecker bis Opel, zusammen mit den Gewerkschaften und anderen sozialen und demokratischen Bewegungen, kann ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem es sich erfolgreicher wird kämpfen lassen. Auch bei Schlecker.

Text: Volker Metzroth  Foto: Ballin