Wirtschaft

04.05.2011: Angeblich ist es der stärkste Aufschwung seit der Wiedervereinigung: „XXL“ (Minister Brüderle). Das Problem ist nur: er geht an gut vier Fünftel der Bundesbürger vorbei. Selbst diejenigen, die (noch) in Lohn und Brot stehen, gehören größtenteils zu den Verlierern. Von den Rentnern, Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern, denen die Inflation immer mehr an die Substanz geht, gar nicht zu reden. Wie das Statistische Bundesamt zum „Tag der Arbeit“ meldete, sind im Konjunkturaufschwung die Tarifverdienste von Januar 2010 bis Januar 2011 um ganze 0,9 % gestiegen. Unter dem Strich bedeutet das Reallohnverlust, denn die Lebenshaltungskosten waren im Januar um zwei Prozent höher als im entsprechenden Vorjahresmonat (im Jahresdurchschnitt 2010: + 1,1%).

Der „Grund für die vergleichsweise schwache Entwicklung der Tarifverdienste ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (destatis) noch immer die Wirtschaftskrise, die auch die im Jahr 2010 erzielten Tarifabschlüsse beeinflusste. So fielen die Neuabschlüsse in der ersten Jahreshälfte 2010 trotz ansteigender Konjunktur vergleichsweise moderat aus“. Selbst Einmalzahlungen, die in der destatis-Berechnung nicht enthalten sind, können das Bild nicht wesentlich aufhübschen. Insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, zu denen „die stark exportabhängigen Branchen Chemische Industrie, Metallindustrie und Maschinenbau gehören, lagen die Tarifverdienste 2011 nur geringfügig über dem Niveau von Januar 2010: sie stiegen durchschnittlich um 0,5 %“.

Während der Boom für die Masse der Bevölkerung eher zum Bumm, als Schlag ins Kontor wird, schlägt er bei Konzernen, Aktionären, Vorständen und Geldvermögenden voll zu Buche und lässt deren Kassen klingeln. Die Dax-30-Konzerne verzeichnen für 2010 die höchsten Profite aller Zeiten: + 123,6 % und schütten Superdividenden an ihre Shareholder aus: + 27 % (siehe: „Fette Profite magere Jobs“). Letztere verzeichneten zudem einen Anstieg ihrer Aktienkurse von durchschnittlich 16 % (Dax). Die Vorstände genehmigten sich satte Bezüge + 33 % und die Geldvermögensbesitzer packten 2010 weitere 220 Milliarden Euro an Geldvermögen (Barvermögen, Bundesanleihen, Pfandbriefe, weitere Wertpapiere, Aktien etc.) in ihre Tresore. Sie nennen jetzt fast fünf Billionen Geldvermögen ihr eigen (siehe dazu isw-wirtschaftsinfo 44).

Die daraus resultierende  zunehmende Verteilungsschieflage aber ist der Treibsatz für die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise. Denn der Konjunkturlokomotive dürfte mangels kaufkräftiger Binnennachfrage bald der Dampf ausgehen. Es ist ein Aufschwung ohne Belebung des Privaten Konsums, der aber für fast 60 % der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage steht. Die Umsätze des Einzelhandels brachen im März um kräftige um 2,1 % gegenüber dem Vormonat ein. Umgekehrt sind die Geld-Reichen so liquide, dass sie in der Tat überflüssig sind; sie investieren ihre Gelder mangels lukrativer Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft in Banken, Fonds und andere Finanzkonzerne zur wunderbaren Geldvermehrung via Zinseinkommen und Spekulationsgewinne. Und irgendwann wird dann die Finanzblase erneut platzen und die Gefahr einer Kettenreaktion an den Finanzmärkten einsetzen. Ein Finanz-Super-GAU wird von mal zu mal wahrscheinlicher.

Es wird erheblicher Kämpfe bedürfen, um die DGB-Losung des diesjährigen 1. Mai mit Leben zu erfüllen: „Das ist das Mindeste – Faire Löhne, Gute Arbeit und Soziale Sicherheit“. Bei den ersten Tarifabschlüssen von fairen Löhnen keine Spur; sie liegen knapp über der Inflationsrate, die dieses Jahr an der 3-Prozentmarke kratzen dürfte (April bereits 2,4 %). Von einer Deckung des Nachholbedarfs für die vergangenen Lohnverzicht-Jahre keine Rede. Die bürgerlichen Wirtschaftsforschungsinstitute wollen den Beschäftigten gar nur eine Lohnerhöhung von nominal zwei Prozent für dieses Jahr zugestehen, wie sie in ihr Frühjahrsgutachten schrieben. Das wäre erneut erheblicher Reallohnabbau und Kaufkraftvernichtung.

Für das Kapital steht dagegen ein neuer Profitfrühling in voller Blüte. „Deutschlands Konzerne brillieren“ schreibt das Handelsblatt (29.4.11). „Mit glänzenden Quartalsberichten schlagen die Unternehmen hierzulande selbst die optimistischsten Erwartungen. Mit ihren Ertragssprüngen hängen sie Rest-Europa und die Wall Street ab“. Analysten prognostizieren, dass die Nettogewinne um weitere fünf bis zehn Prozent gegenüber 2010 steigen. Für die Konzerne wird der Boom ebenfalls zum Bumm – der nach der Methode „Haut den Lukas“ die Profite nach oben katapultiert.

Text: Fred Schmid    Grafik: isw-wirtschaftsinfo 37 (Bernd Bücking)