Im Interview

DIE Linke Lorenz Goesta BeutinInterview mit Lorenz Gösta Beutin (MdB, DIE LINKE)
 
23.09.2021: Lorenz Gösta Beutin, klimapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, wurde vom Amtsgericht Recklinghausen wegen Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Begleitung einer Aktion von Klimaaktivist*innen im Februar 2020 gegen das geplante Kohlekraftwerk "Datteln IV" wird als strafbare Handlung eingestuft. Beutin war hier als Parlamentarischer Beobachter aufgetreten. Der Kraftwerkbetreiber Uniper hatte Strafanzeige gestellt.
Bettina Jürgensen sprach mit Lorenz Gösta Beutin:

 

 
Gösta, du hast gesagt, dass du in diesem Urteil gegen dich den Versuch einer Kriminalisierung der Funktion "Parlamentarischer Beobachter*in" siehst. Obwohl in den letzten Jahren immer wieder Abgeordnete des Bundestags (mir scheint jedoch nur von DIE LINKE) als Parlamentarische Beobachter*innen bei Aktionen anwesend sind, scheint es unklar zu sein, auf welcher Grundlage überhaupt diese Funktion ausgeübt wird. Eine rechtliche Definition konnte ich nicht finden. Kannst du kurz darstellen, worauf sich dieses Amt begründet, welche Aufgaben überhaupt damit verbunden sind? Es geht ja sicher nicht darum, dass Abgeordnete derart geschützt an Aktionen teilnehmen, während "normale" Teilnehmer*innen einer möglichen Repression schutzlos ausgeliefert sind.
 

Lorenz Gösta Beutin: In den letzten Jahren waren Linke-Parlamentarier*innen, aber auch Abgeordnete anderer demokratischer Parteien, regelmäßig bei Aktionen des zivilen Ungehorsams der Klimaschutzbewegung und anderen Demonstrationen und Bürger*innenprotesten anwesend. Wir wollen damit die Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, der im Artikel 8 im Grundgesetz verankert ist, als parlamentarische Beobachter*innen am Ort des Geschehens begleiten. Wir sind vor Ort, weil wir Mandatsträger*innen die unverzichtbare Funktion einer Beobachtung, Dokumentation und somit Kontrolle der exekutiven Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte ausüben. Wir sind nicht in die Aktionen des Protestes oder der Demonstrationen involviert. Darum können wir in Konfliktsituationen als Vermittler*innen zwischen Demonstrationsteilnehmern*innen und Polizeibeamten*innen auftreten. Durch diese deeskalierende Rolle gelingt es uns regelmäßig, übertriebene Härte, Eskalation und Rechtsbrüche abzuwenden, und zwar auf beiden Seiten. 

 
Gibt es diese Funktion auch in anderen Parlamenten, wie in der Landes- oder Kommunalpolitik? Oder reicht die Begleitung/Beobachtung von Aktionen durch Medien?
 

Lorenz Gösta Beutin: Zuerst einmal diese Vorbemerkung: Mit ihrem Engagement leisten die Parlamentarischen Beobachter*innen einen gelebten Schutz des Grundgesetzes und erfahren dafür sowohl bei Demonstrant*innen wie Polizei viel Respekt und Anerkennung. Und das auf allen Ebenen im föderalen System, in den Kommunen, der Stadt, im Land und als Bundestagsabgeordnete. Als Mandatsträger*innen dürfen die Parlamentarischen Beobachter*innen in der Ausübung ihres Mandats nicht behindert werden. Die Abgeordneten haben allerdings nicht das Recht, polizeilichen Maßnahmen wie Räumungen und Verhaftungen beizuwohnen. Die einzige Ausnahme gegenüber den Bürger*innen besteht darin, dass Bundestagsabgeordnete nicht in polizeiliches Gewahrsam genommen werden dürfen, also nicht in Polizeikesseln festgehalten werden oder präventiv in Haft dürfen. Bisher war das Entscheidende bei der Parlamentarischen Beobachtung nicht die rechtliche Besserstellung, sondern das symbolische Kapital von Mandatsträger*innen und die Fähigkeit, effektiv und in vorheriger Absprache mit der Polizei und den Versammlungsteilnehmer*innen kommunizieren und vermitteln zu können. 
 
Die Begleitung durch Medien ist sehr wichtig, sie findet statt, aber sie reicht nicht, weil die Journalist*innen nicht alles sehen und dokumentieren können. Gerade die Aktionen von Ende Gelände finden meist an mehreren Orten gleichzeitig. Auch ist die Rolle von Medien eben nicht die Entschärfung von Konflikten, die Vermittlung, das verhandeln zwischen Polizei und Aktivist*innen. Was der Prozess gegen mich zeigt ist, dass diese rechtliche Sonderstellung nicht mehr ausreicht. In der letzten Zeit ist es bei der Ausübung der Parlamentarischen Beobachtung vermehrt zur strafrechtlicher Verfolgung von demokratisch gewählten Mandatsträger*innen gekommen. Ein wichtiger Grund für das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Parlamentarier*innen ist die rechtliche Grauzone, in der diese wichtige Begleitung von Versammlungen stattfindet. Oft wissen einfache Polizeibeamte nicht, wie sie im Einsatz mit den Beobachter*innen rechtlich zu verfahren haben. Regierungen und Staatsanwaltschaften können diese Regelungslücke nutzen, um unliebsame Parlamentarier*innen zu kriminalisieren. Darum fordern wir eine Regelung im Versammlungsrecht. 
 

Du hast in einem anderen Interview gesagt, dass du nicht mit einer Verurteilung gerechnet hast und das Urteil als Skandal bezeichnet. Wenn doch aber deine Immunität als Abgeordneter vorher aufgehoben wurde, musstest du nicht deshalb damit rechnen, dass dein Auftreten bei dieser Aktion wie die aller anderen Teilnehmer*innen ohne Abgeordnetenmandat bewertet wird? Erwarten Demonstrierende nicht konkrete Solidarität von Abgeordneten, also dass sie nicht von außerhalb, begleitend wie du es sagst, dabei sind, sondern als ein Teil der Bewegung und unterstützend? 
 

Lorenz Gösta Beutin: Im Prozess vorm Amtsgericht Recklinghausen war ganz schnell klar: Die Staatsanwaltschaft will ein Urteil. Im Vortrag der zuständigen Staatsanwältin, die ihren Namen gegenüber Medienvertreter*innen auch nicht erwähnt wissen wollte, wurde sinngemäß gesagt, ich würde mein politisches Mandat bewußt für die Begehung von Straftaten missbrauchen. Nein, hier stehen zwei Rechtsgüter in der Abwägung gegenüber: Das Recht auf Versammlungsrecht, das Recht zu demonstrieren, und diesen Protest eben zu begleiten, sei es als Journalist, sei es als Politiker. Und das Recht auf den Schutz des Eigentums, des Privatgeländes. Im Prozess ist das Recht auf Schutz des Privatgeländes höher gewichtet worden als das Recht auf Protest gegen die Klimakrise. Das Gericht hat den Notstand, die Demonstrant*innen würden mit der Kraftwerksblockade den Klimawandel aufhalten können und damit im Recht sein, als "vollkommen ungeeignet" bezeichnet. Also ich finde, welches Mittel des Protestes geeignet und nicht geeignet ist, das sollte den Klimaaktivist*innen überlassen werden, nicht Staatsanwält*innen und Richter*innen. Protest gegen eine Klimapolitik übrigens, die von der Bundesregierung laut Bundesverfassungsgericht als Verfassungsbruch verurteilt wurde. 
 
 
Das kann und wird ja sicher nicht alles gewesen sein. "Datteln IV" ist seit Mai 2020 leider doch am Netz und laut Betreibergesellschaft "eines der modernsten Steinkohlekraftwerke der Welt." Es soll trotz des von der Bundesregierung beschlossenen Kohleausstiegs bis 2038 laufen. Armin Laschet hat als NRW Ministerpräsident dieses Werk als "einen Beitrag zum Klimaschutz" begrüßt, weil alte Kraftwerke deshalb abgeschaltet werden können. DIE LINKE schreibt Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021: "Das 2020 neu in Betrieb genommene Steinkohlekraftwerk Datteln 4 wird sofort vom Netz genommen." Ist das der Bevölkerung vermittelbar, weshalb ihr euch gerade auf dieses neue Kraftwerk fokussiert und nicht zunächst doch die alten und technisch nicht auf neuem Stand betriebenen Kraftwerke "sofort vom Netz" nehmen wollt? Weshalb das Neue und nicht zunächst das Marode sofort beenden?
 

Lorenz Gösta Beutin: Datteln IV ist ein Symbol für die dreckige Kohlepolitik von Union, SPD, und in Teilen sogar auch der Grünen. Dazu kommt, dass das Kraftwerk rein rechtlich ein Schwarzbau ist. Im August hat das Oberverwaltungsgericht in Münster erneut festgestellt: der aktuelle Bebauungsplan für Datteln IV ist und bleibt trotz Nachschusterei am Bebauungsplan unwirksam. Das Kraftwerk steht für fünf Prozent des CO2-Ausstoßes in NRW, ist also ein Riesen-Klimakiller, und das mit Steinkohle, für das in Kolumbien und Russland Menschen aus ihrer Heimat zwangsvertrieben werden. Das Kraftwerk ist zu dicht gebaut an Wohngebiet. Der Kühlturm dieses Riesenbaus steht so nah, dass er Schatten in die Zimmer der Menschen wirft, die da in Datteln leben. Wir als Linke wollen nicht, dass die kommenden Jahre Quecksilber und Cadmium direkt durchs Fenster fliegt und Anwohner*innen an Krebs erkranken. 
 

Wie geht es weiter mit dem Kampf für den Klimaschutz? Du siehst in dem Urteil gegen dich den Versuch einer Kriminalisierung der Klimabewegung. Alle Bewegungen wie Antifaschismus, Friedensbewegung, auch die Seenotrettung bis hin zu teilweise auch gewerkschaftliche Aktivitäten werden durch Polizei und Gerichte immer wieder kriminalisiert. Siehst du jetzt für die Klimabewegung eine besondere Bedrohung durch Versuche staatlicher Repression?
 

Krupp, Thyssen, Shell, Mercedes und Co, die fossile angetriebene Wirtschaft war immer eng mit den Herrschenden in diesem Land verknüpft. Die Kritik an Kohle, Öl und Gas wird richtigerweise genau als das verstanden, was er auch ist, nämlich als Kritik am fossilen Kapitalismus. Der fossile Kapitalismus ist Ausbeutung von Natur und Mensch durch den Menschen, da läuft etwas gewaltig schief. Das Kritik und Widerstand gegen diese zweifache Ausbeutung auf aktive Gegenwehr stößt ist darum nicht verwunderlich, hier stehen mächtige Interessen gegen die Interessen der weniger Mächtigen.

In NRW, aber auch in anderen Bundesländern, wird das Polizeigesetz gerade dahingehend verschärft, dass soziale Bewegungen in ihren neuen, aktivistischen Protestformen des zivilen Ungehorsams, also Blockaden von Kohletagebauen, Wäldern, Flughäfen, Straßen und Brücken und Automobil-Ausstellungen kriminalisiert werden können. Das Tragen von weißen Maleranzügen etwa, das typische Erkennungszeichen von Ende Gelände, soll jetzt strafbar sein. Bevor überhaupt eine Straftat begangen wird, darf die Polizei präventiv die Kommunikation mit Staatstrojanern überwachen, bei Anhaltekontrollen die Identität feststellen, Aufenthaltsorte festlegen und Kontaktverbote aussprechen. Bereits im Vorfeld von Klimaprotesten kann das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit damit massiv eingeschränkt werden. Ich habe das bereits selbst erlebt am Dannenröder Forst, wo die Behörden eine polizeiliche Gefahrenzone eingerichtet haben und das Auto, in dem ich angereist bin, mit bewaffneter Polizei, Blaulicht und Tatütata gestoppt haben. Meine Begleitung und ich wurden wie Kriminelle behandelt. 

 
Du willst gegen das Urteil Berufung einlegen – dazu wünschen wir dir Erfolg.