Internationales

Folter09.06.2022: Am 11. Mai wurde die Journalistin Shireen Abu Akleh während eines israelischen Militäreinsatzes in Dschenin im nördlichen Westjordanland erschossen. Für CNN und die Palästinensische Behörde waren es israelische Soldaten, die Shireen Abu Akleh gezielt ermordet haben ++ Am 1. Juni wurde wieder eine palästinensische Journalistin ermordet und wieder der Beerdigungszug angegriffen ++ Israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem beschuldigt israelischen Inlandsgeheimdienst der routinemäßigen Folterpraktiken

 

Am 11. Mai wurde die Journalistin Shireen Abu Akleh des TV-Senders Al-Jazeera während eines israelischen Militäreinsatzes in Dschenin im nördlichen Westjordanland erschossen. (siehe kommunisten.de: "Israelischer Besatzungsterror") Nun macht der palästinensische Generalstaatsanwalt Israel für den Tod der Journalistin verantwortlich. Der palästinensische Generalstaatsanwalt Akram Al-Khatib erklärte, eine Untersuchung der tödlichen Kugel habe ergeben, dass diese von einem Scharfschützen mit einem Präzisionsgewehr des US-Herstellers Ruger abgefeuert worden sei. Das Geschoss sei aus Richtung der israelischen Soldaten gekommen. Weitere Einschusslöcher in einem Baum zeigten, dass gezielt auf den oberen Körper der 51-Jährigen geschossen worden sei.

Nach Angaben der Palästinensischen Autonomiebehörde befanden sich keine palästinensischen Kämpfer in der Nähe, wie ursprünglich von der israelischen Armee behauptet, die den Mord militanten Kämpfern im Flüchtlingslager zuschrieb - eine Position, die dann in den offiziellen Erklärungen halb begraben wurde, bis Israel auf der Grundlage der Zeugenaussagen der Soldaten beschloss, keine Ermittlungen einzuleiten, da "keine kriminellen Handlungen" vorlägen.Eine internationale Untersuchung von Abu Aklehs Tod wird von der israelischen Regierung abgelehnt.

Akram Al-Khatib stellt fest, die israelische Armee habe die Journalistin gesehen und trotzdem geschossen und sie von hinten getroffen: Sie habe versucht, nach den Schüssen zu fliehen.

"Abu Akleh war das Ziel eines Mordes"
Generalstaatsanwalt Akram Al-Khatib

Israel Shireen Abu Akleh"Es ist klar, dass einer der Besatzungssoldaten die Kugel abfeuerte, die Shireen Abu Akleh in den Kopf traf", sagte er und erinnerte daran, dass die Journalistin eine schusssichere Weste mit der Aufschrift "Presse" sowie einen Schutzhelm trug. "Im Kopf der Journalistin befand sich laut der ballistischen Analyse ein 5,56-Millimeter-Projektil. Die Kugel weise allgemeine und spezifische Merkmale auf, die zu einer halbautomatischen Ruger Mini-14 passen – eine Waffe, die von der israelischen Armee auf der Westbank zur 'Aufstandsbekämpfung' eingesetzt wird." Die Autopsie habe ferner ergeben, dass die Kugel von hinten in den Kopf der Reporterin eingedrungen war, präzise an einer der wenigen Stellen, die weder von ihrer schusssicheren Weste mit der Aufschrift 'Press' noch von ihrem Schutzhelm geschützt waren. Abu Akleh habe sich also von dem Ort entfernen wollen, kurz bevor sie tödlich getroffen wurde, schlussfolgerte Akram Al-Khatib. Ihr Kollege Ali Samudi wurde ebenfalls in den Rücken getroffen. Er überlebte.

"Die Gesamtheit der Fakten: Der Typ des Projektils, die Waffe, die Entfernung, die Tatsache, dass es keinerlei Sichthindernis gab und dass sie eine Presse-Weste trug (…) führt uns zu der Schlussfolgerung, dass Abu Akleh das Ziel eines Mordes war", sagte der Generalstaatsanwalt. "Die einzige Quelle der Schüsse" sei die "israelische Besatzungsarmee" gewesen. Al-Khatib sprach von einem "Kriegsverbrechen und einer Verletzung internationalen Rechts".

CNN: israelische Armee verantwortlich für den Tod von Shireen Abu Akleh

Zu den gleichen Ergebnissen kommt eine CNN-Untersuchung. Anhand von Videoaufnahmen, die während des Mordes von den anwesenden Journalisten und den Bodycams der israelischen Soldaten gemacht wurden, acht Zeugenaussagen, Analysen von Schusswaffenexperten und Satellitenbildern weist das US-Netzwerk die israelische Armee als Verantwortliche für den Tod von Abu Akleh aus: Die Journalistin, die aus einer Entfernung von 200 Metern erschossen wurde, stand dem Militär gegenüber, wie fünf verschiedene Videos, die forensische Analyse des Schalls der Kugeln und die eigenen Aussagen der Armee zeigen.

"Die Anzahl der Einschusslöcher an dem Baum, vor dem Shireen stand", äußert der britische Experte Cobb-Smith, "beweisen, dass es sich nicht um einen zufälligen Schuss handelte, sondern dass sie gezielt getroffen wurde. Es wurde mindestens vier Mal auf sie geschossen.

Die palästinensischen Kämpfer, die sich in der gleichen Richtung befanden, standen hinter der Armee, zu weit entfernt, als dass eine Kugel sie hätte erreichen können. Und auf jeden Fall haben sie nicht geschossen: Zum Zeitpunkt des Mordes, um 6.30 Uhr, gab es keine bewaffnete Auseinandersetzung, wie von Tel Aviv behauptet.

Klage beim Internationalen Strafgerichtshof 

Al-Jazeera wird sich wegen der Tötung von Shireen Abu Akleh an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wenden. Der TV-Sender teilte mit, dass ein Team aus Anwälten und internationalen Experten ein Dossier vorbereite für den IStGH. Darin sollen auch die israelische Bombardierung und "totale Zerstörung" des Al-Jazeera-Büros in Gaza im Mai 2021 behandelt werden, heißt es in einer Erklärung.

Auch die Palästinensische Autonomiebehörde hat erklärt, dass sie eine Anklage beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag einreichen werde.

Wieder eine palästinensische Journalistin ermordet und wieder Angriff auf Beerdigungszug

Am 1. Juni wurde schon wieder eine Journalistin in der besetzten Westbank ermordet. Israelische Soldaten erschossen unweit von Al-Chalil (hebräisch: Hebron) die 31jährige Journalistin Ghufran Warasna aus dem Flüchtlingslager Al-Arroub. Laut Angaben des Gesundheitsministerium in Ramallah wurde Warasna von einer Kugel knapp neben dem Herzen in die Brust getroffen.

Israel Ghufran Warasna 2022 06 01

Der palästinensische Rote Halbmond berichtete auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dass die israelische Armee die Nothelfer fast 20 Minuten daran gehindert hat, die Schwerverletzte medizinisch zu versorgen. "Sie kam klinisch tot im Krankenhaus an. Sie hatte zuviel Blut verloren, und ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen", sagte ein Sprecher des Ahli-Hospitals in Al-Chalil laut der Onlinezeitung The New Arab.

Die israelischen Streitkräfte behaupteten, Warasna habe sich einem israelischen Soldaten mit einem Messer genähert und sei dann erschossen worden. Ihre Familie und Kolleg*innen wiesen die israelischen Behauptungen zurück. Ein Zeuge erklärte gegenüber palästinensischen Medien, Warasna sei erschossen worden, als sie zwei Meter von einem israelischen Soldaten entfernt stand.

Wie bei der Beerdigung von Shireen Abu Akleh griffen auch bei der Beerdigung von Ghufran Warasna israelische Streitkräfte den Trauerzug an und schlossen den Eingang des Flüchtlingslagers, in dem sie beerdigt werden sollte. Die Trauernden wurden auch mit Schock- und Tränengasgranaten angegriffen. Die israelischen Streitkräfte versperrten den Sargträgern den Weg, so dass es zu einem Handgemenge kam, als eine Gruppe von Trauernden versuchte, die Leiche zu ihrer Ruhestätte zu bringen.

  Israel Twt Beerdigung Ghufran Warasna  
 

Beerdigungszug Ghufran Warasna
https://twitter.com/DaysOfPal/status/1531954371533103108

 

 

 

Seit Anfang des Jahres sind nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums 62 Palästinenserinnen und Palästinenser auf der Westbank durch israelische Kugeln umgekommen, darunter die Journalistin von Al Jazeera Shireen Abu Akleh und 13 Kinder. Die Autonomiebehörde spricht von außergerichtlichen Hinrichtungen.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte stellte bereits mehrfach fest, dass israelische Soldat*innen häufig zur Schusswaffe greifen, wenn nur ein vager Verdacht besteht.

B'Tselem beschuldigt Inlandsgeheimdienst der routinemäßig Folterpraktiken gegen Palästinenser*innen

Israel FolterNun hat die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem (https://www.btselem.org/) in ihrem jüngste Bericht der Menschenrechtsorganisation B'Tselem auch noch bestätigt, dass der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet nicht nur im besetzten Westjordanland, sondern auch in Ostjerusalem routinemäßig Folterpraktiken gegen Palästinenser*innen anwendet, was die Palästinenser seit vielen Jahren anprangern, was Israel leugnet und was die internationale Gemeinschaft ignoriert, um keinen Streit mit dem jüdischen Staat zu provozieren.

Laut der Menschenrechtsorganisation ist die Praxis der Folter bei den Besatzungstruppen fest verankert und wird von israelischen Behörden und Richter*innen unterstützt. Zu den von B'Tselem angeprangerten Praktiken des Shin Bet gehören die Anwendung übermäßiger Gewalt, die Isolierung von der Außenwelt, der Entzug von Wasser, Nahrung und Schlaf sowie die Verweigerung des Zugangs zu Gesundheitsdiensten.

In dem aktuellen Bericht wird der Albtraum von Yazan al Rajbi (22) und Mohammad al Rajbi (20) geschildert, die am 22. August 2021 in das Jerusalemer Polizeipräsidium vorgeladen wurden. Nach ihrer Ankunft wurden beide verhaftet und zum Shin Bet gebracht, wo sie 42 Tage lang unter Folter verhört wurden.

Beide waren mehr als 24 Stunden am Stück an einen kleinen Stuhl gefesselt und bekamen in dieser Zeit keinen Schlaf. Einer der Palästinenser wurde in einen Holzschrank gesperrt und erhielt ebenfalls keinen Schlaf, bis er ohnmächtig wurde. Anschließend wurden sie in verschiedene Gefängnisse gebracht, wo sie in Zellen mit "Vögelchen" eingesperrt wurden, um sie zu einem Schuldeingeständnis zu bewegen, was sie jedoch nicht taten. "Vögelchen" werden Palästinenser*innen genannt, die mit den israelischen Streitkräften kollaborieren.

Yazan al Rajbi und Mohammad al-Rajbi sollten gestehen, im Juli 2021 an Konfrontationen mit den Besatzungstruppen im Stadtteil Silwan, einem palästinensischen Stadtteil von Ostjerusalem, der von Israel seit Jahren in rasantem Tempo judaisiert wird, teilgenommen zu haben. Beide wiesen die Vorwürfe zurück.

Nach 20 Tagen gab Muhammad a-Rajbi zu, dass er einen Stein geworfen hatte, nachdem er die Folter nicht mehr ertragen konnte. Dennoch wurde er weitere 22 Tage lang verhört, um weitere Geständnisse aus ihm herauszupressen.

Gegenüber B'Tselem bekundete er: "Nach 20 Tagen des Verhörs gestand ich, einen Stein geworfen zu haben. Ich gestand, weil ich die Nerven verlor und erschöpft war. Mein ganzer Körper schmerzte. ,Ich durfte nicht auf die Toilette gehen. Außerdem bekam ich nicht genug zu essen, durfte nicht schlafen und saß stundenlang mit Handschellen gefesselt auf einem Stuhl, vielleicht zehn oder 15 Stunden pro Tag. Nachdem ich gestanden hatte, wurde ich ins Megiddo-Gefängnis gebracht, wo sie mich in ein Zimmer mit einem "Vögelchen" steckten, der versuchte, mich dazu zu bringen, mehr Informationen auszuspucken."

Yazan wurde von den Vernehmungsbeamten des Shin Bet beschuldigt, auf Polizeifahrzeuge geschossen zu haben, was Yazan bestritt. Nach 42 Tagen Folter gab er zu, zwei Steine geworfen zu haben, woraufhin sein Verhör beendet wurde und er ins Gefängnis von Megiddo in Galiläa gebracht wurde.

Während des Verhörs saß der Palästinenser auf einem Stuhl, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und die Beine zusammengebunden. Die Vernehmungsbeamten beschimpften seine Mutter und andere Familienmitglieder, ließen ihn nicht auf die Toilette gehen und gaben ihm weder Wasser noch Essen. In der Zelle gab es nicht genug Platz, um mit ausgestreckten Beinen zu schlafen, also versuchte er, gebückt zu schlafen. Außerdem konnte er wegen der niedrigen Decke nicht aufstehen. Bei der Wiederaufnahme des Verhörs, das sich über zwei aufeinanderfolgende Tage erstreckte, durfte er nicht auf die Toilette gehen, und Yazan musste schließlich auf sich selbst urinieren und Stuhlgang haben.

Nachdem Yazan nicht gestand, sperrten sie ihn in einen Schrank und steckten seinen Kopf zwischen seine gefesselten Beine. Seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, und Yazan konnte seinen Kopf nicht heben. Nach ein paar Stunden wurde der Schrank geöffnet und Yazan war bewusstlos. Als er wieder zu sich kam, standen sechs Agenten vor ihm und setzten das Verhör fort, wobei sie ihn diesmal beschuldigten, Geldspenden von den palästinensischen Nachbarn in Silwan zu sammeln.

Die beiden Jugendlichen wurden schließlich förmlich wegen der Teilnahme an Protesten und des Angriffs auf einen Polizisten angeklagt und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Sie wurden im März 2022 freigelassen. Beide erklärten sich gegenüber B'Tselem bereit, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen.

Der israelischen Menschenrechtsorganisation zufolge waren die Verhöre von Yazan und Mohammad unter Folter nicht auf eine persönliche Initiative dieses oder jenes Vernehmungsbeamten zurückzuführen, sondern sind Teil einer Praxis, bei der palästinensische Häftlinge routinemäßig über einen langen Zeitraum hinweg Gewalt ausgesetzt sind. Die Behörden beteiligen sich an diesem Prozess, indem sie Missbräuche durch Shin Bet-Agenten zulassen, die straffrei bleiben, und Richter ermächtigen, die Inhaftierung von Palästinenser*innen fast auf unbestimmte Zeit zu verlängern.


mehr zum Thema