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Uiguren 724.05.2022: Erstmals seit 17 Jahren reist wieder eine UN-Menschenrechtskommissarin nach China ++ US-Regierung gegen den Besuch ++ pünktlich zum Besuch von Bachelet Veröffentlichung der "Xinjiang Police Files" mit Bildern, die an Abu Ghraib erinnern

 

Der gestern begonnene Besuch von Michelle Bachelet in China, dem ersten Besuch einer UN-Hochkommissarin für Menschenrechte jenseits der Großen Mauer seit 2005, sorgt für Kontroversen. Vor allem die US-Regierung kritisiert den ersten Besuch einer UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China. Aber auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch haben Zweifel daran, dass sich Bachelet in Xinjiang frei bewegen kann, ungehinderten Zugang zu Informationen bekommt und sich mit Menschen offen unterhalten kann.

Bachelet, die von der allgemeinen Quarantäne befreit wurde, aber in einer "Anti-Covid-Bubble" verbleibt, wird sich sechs Tage lang jenseits der Großen Mauer aufhalten, um die Geschehnisse in Xinjiang zu erkunden.

DIE AUTONOME REGION an der Grenze zwischen China und der Stan steht seit Jahren wegen der umstrittenen ethnischen Politik, die die Zentralregierung zur Bekämpfung des religiösen Extremismus eingeführt hat, im Rampenlicht. Unabhängige Studien (die von den Vereinten Nationen als glaubwürdig eingestuft werden) belegen, dass ein System außergerichtlicher Inhaftierungen geschaffen wurde, das sich gegen die in Xinjiang lebenden Minderheiten islamischen Glaubens richtet. Peking spricht von "Schulen", Umerziehung und sozialer Emanzipation.

Diejenigen, die in die Freiheit zurückkehren, berichten im Gegenzug von Gewalt, Zwangsarbeit und psychologischer Folter. Für die Vereinigten Staaten ist es sogar ein "Völkermord". Doch was genau im chinesischen Wilden Westen passiert, ist schwer zu überprüfen.

Seit 2018 hatten die Vereinten Nationen versucht, einen "uneingeschränkten und sinnvollen Zugang" zu Xinjiang zu erhalten. Diejenigen, denen es bisher gelungen ist, die Region zu besuchen, taten dies in strenger Begleitung der Behörden im Rahmen offensichtlich choreografierter Touren. Angesichts dieser Präzedenzfälle besteht nach Ansicht von Aktivisten, Diplomaten und Experten die Gefahr, dass die Anwesenheit von Bachelet die Zwangspolitik Pekings legitimiert.

Ebenso wenig überraschend ist die Verzögerung bei der Veröffentlichung eines Berichts über Verstöße in Xinjiang, den die internationale Organisation schon vor Monaten hätte veröffentlichen sollen.

Als Reaktion auf die Kritik stellte Bachelet bei ihrer Ankunft in China klar, dass es sich nicht um eine "Untersuchung" handele, sondern um einen Besuch zur Förderung der Achtung der Menschenrechte in dem Land.

Kurz vor ihrer Abreise versicherten die Vereinten Nationen, dass sie sich mit den Behörden auf "Parameter geeinigt haben, die unsere Methodik respektieren", einschließlich des "ungehinderten Zugangs zu einem breiten Spektrum von Akteuren, einschließlich der Zivilgesellschaft".

Laut dem offiziellen Programm wird Bachelet eine Rede an der Universität Guangzhou halten, ein Haftzentrum in Xinjiang besuchen und unabhängig davon mit lokalen Beamten zusammentreffen. Es ist unklar, wie dies mit den restriktiven Gesundheitsmaßnahmen, die derzeit in China gelten, in Einklang zu bringen ist.

Die UN-Mission findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Xinjiang-Frage in den westlichen Regierungen zunehmend diskutiert wird. Nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten mehren sich in Europa die Stimmen, die strengere Kontrollen fordern, um zu verhindern, dass europäische multinationale Unternehmen - wissentlich oder unwissentlich - Zwangsarbeit in der Region einsetzen, in der ein Fünftel der weltweit verwendeten Baumwolle angebaut wird.

"Xinjiang Police Files"

Pünktlich zum Besuch von Bachelet haben internationale Medien mit den "Xinjiang Police Files" lt. Spiegel das "bisher größte Leak zum chinesischen Unterdrückungssystem in der Region Xinjiang" veröffentlicht, mit Fotos aus dem Inneren von Internierungslagern, vertraulichen Behördenanweisungen und Reden chinesischer Funktionäre. Es sind Bilder, die an das US-Folterzentrum Abu Ghraib im Irak oder das US-Internierungslager in Guantanamo erinnern.

Die Fotos und Dokumente wurden von dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz an die Medien weitergegeben. Adrian Zenz forscht an der extrem rechts ausgerichteten "Victims of Communism Memorial Foundation" in Washington und der neokonservativen Jamestown Foundation in Washington, DC. Seit Jahren klagt er China wegen Menschenrechtsverletzungen und einem "demographischen Genozid" an den Uigur*innen an. Zenz wird immer wieder vorgeworfen, dass sich "seine Behauptung eines Völkermordes durch eklatanten Datenmissbrauch, betrügerische Behauptungen, Auslese von Quellenmaterial und propagandistische Falschdarstellungen" auszeichnen. [1]

Nach der Veröffentlichung der "Xinjiang Police Files" fordern Politiker*innen sowohl der Regierungskoalition wie auch der CDU/CSU einen Kurswechsel der deutschen Politik gegenüber China. "Diese Bilder sind verstörend und erschreckend", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). "Und sie untermauern das, was ja seit Längerem bereits im Raum stand, nämlich dass in Xinjiang schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden."

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe schrieb auf Twitter, deutsche Unternehmen müssten nun ihre Aktivitäten in Xinjiang einstellen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kritisiert, dass die deutsche Politik die Menschenrechtsfrage gegenüber China "jahrelang ausgeblendet" hat. "Diese Regierung hat den Umgang mit den China-Fragen aber verändert. Wir diversifizieren uns stärker und verringern unsere Abhängigkeiten auch von China. Die Wahrung der Menschenrechte hat ein höheres Gewicht", so Habeck. Kritiker*innen werfen den Grünenpolitker*innen vor, dass sie eine sehr selektive "menschenrechts- und wertebasierte Außenpolitik" betreiben würden. So sei aus Berlin keine Kritik am NATO-Partner Türkei angesichts dessen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Kurd*innen und dem völkerrechtswidrigen Krieg und der Besetzung in Nordsyrien zu vernehmen.

Die chinesische Botschaft in den USA weist die mit den "Xinjiang Police Files" erhobenen Vorwürfe zurück und sagt, dass es sich um Maßnahmen gegen den islamistischen Terrorismus handle. Obwohl Peking jegliche Missachtung der Rechtsvorschriften in Xinjiang bestreitet, scheint der Druck der internationalen Gemeinschaft bereits Früchte getragen zu haben. Im vergangenen Dezember übernahm Ma Xingrui, der ehemalige Gouverneur der wirtschaftlich dynamischen Provinz Guangdong, die Führung der Regionalpartei, was darauf hindeutet, dass die Führung gewillt ist, der wirtschaftlichen Entwicklung als Faktor der sozialen Stabilisierung mehr Bedeutung beizumessen. In der Zwischenzeit gehen die informellen Verhaftungen in Prozesse und Haftstrafen über. Die Anklagen betreffen Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus, religiösem Extremismus oder vage Anklagen, die traditionell gegen politische Dissidenten verwendet werden, wie z. B. "Aufwiegeln zu Streitigkeiten und Erregung von Unruhe".

 

Anmerkungen:

[1] The Grayzone, 28.2.2021: US State Department accusation of China ‘genocide’ relied on data abuse and baseless claims by far-right ideologue
https://thegrayzone.com/2021/02/18/us-media-reports-chinese-genocide-relied-on-fraudulent-far-right-researcher/


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