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Sudan Khartum 2021 10 27 129.10.2021: Am vierten Tag des Militärputsches war die sudanesische Armee mit wachsendem Widerstand konfrontiert. Seit dem Staatsstreich vom Montag unter der Führung von Armeechef General Abdel Fattah al-Burhan bleiben die Menschen auf den Straßen des Landes und fordern die Rückkehr der Zivilregierung. Die Proteste gehen weiter, obwohl die Truppen immer wieder das Feuer auf die Demonstrant*innen eröffnen. Trotz Sperre des Internets gelangen Erklärungen, Aufrufe, Fotos und Videos von den Protesten an die Öffentlichkeit.

 

Am Montag hatten Soldaten Premierminister Abdalla Hamdok, seine Kabinettsminister und die zivilen Mitglieder des Regierungsrats festgenommen, die Auflösung der Übergangsregierung und der Gewerkschaften verkündet und den Ausnahmezustand verhängt. Der oberste General des Sudan, Abdel Fattah al-Burhan, erklärte, die Armee habe die notwendigen Schritte unternommen, "um den Kurs der Revolution zu korrigieren" und um einen "Bürgerkrieg abzuwenden".

Unmittelbar nach dem Staatsstreich rief der sudanesische Berufsverband "Sudanese Professionals Association" (SPA) die Öffentlichkeit auf, auf die Straße zu gehen und die Demokratie zu verteidigen.

Die Sudanese Professionals Association, an dessen Spitze die Ärzte stehen, war schon bei den Protesten zum Sturz des Diktators al Bashir die treibende Kraft. Seit Montagabend hat der Kampf wieder die Form von Barrikaden angenommen, mit brennenden Reifen in der zentralen Juma-Straße und anderen Teilen der Stadt, gemäß einer Strategie des "friedlichen städtischen Guerillakriegs", genannt Tetris, die darauf abzielt, einen Frontalzusammenstoß mit den Sicherheitskräften zu vermeiden. Trotzdem wurden bisher mindestens acht Menschen bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften getötet und Hunderte verletzt.

Mit Sprechchören - "Das Volk ist stärker, es gibt keinen Weg zurück", "Burhan ins Gefängnis", "Eine Rückkehr in die Vergangenheit ist keine Option", "Die Zivilregierung ist die Wahl des Volkes", "Haut ab!" -, Fahnen und Barrikaden haben sie nach der Machtübernahme durch das Militär Straßen in der Hauptstadt Khartum und Handelsrouten im ganzen Land blockiert.

In der Nacht auf Donnerstag (28.10.) erklärten die Beschäftigten von Ministerien und Behörden des bevölkerungsreichsten sudanesischen Bundesstaates Khartum, zu dem auch die Hauptstadt und die Zwillingsstadt Omdurman gehören, dass sie sich dem zivilen Ungehorsam anschließen. Sie riefen zum Generalstreik auf und schlossen sich damit anderen Gewerkschaften an.

Die Ärzte, die der Gewerkschaftsgruppe Unified Doctors' Office angehören, sind bereits am Dienstag in den Streik getreten und erklärten, dass sie nur noch medizinische Notversorgung vornehmen werden.
Die Beschäftigten der staatlichen Ölgesellschaft Sudapet erklärten, dass sie sich der Kampagne des zivilen Ungehorsams anschließen, um den ins Stocken geratenen demokratischen Übergang zu unterstützen.
Die Piloten der staatlichen Fluggesellschaft Sudan Airways streikten nach Angaben ihrer Gewerkschaft ebenso wie die Piloten der lokalen Fluggesellschaften Badr und Tarco Airlines.
Die Angestellten der Zentralbank haben ebenfalls die Arbeit niedergelegt, was einen weiteren Rückschlag für das Funktionieren der Wirtschaft bedeutet.

Am gestrigen Donnerstag waren der Hauptmarkt, die Banken und die Tankstellen in Khartum geschlossen. Die Krankenhäuser boten nur Notdienste an. Kleinere Geschäfte waren geöffnet, aber es gab lange Warteschlangen für Brot.

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"Marsch der Millionen"

Seit dem Aufstand gegen al Bashir werden die Proteste von Nachbarschaftskomitees organisiert. Jetzt mobilisieren sie für Samstag zu einem "Marsch der Millionen" gegen die Militärherrschaft. Dabei greifen sie auf alte Mobilisierungsmethoden der Flugblattverteilung zurück, da die Behörden seit Montagmorgen fünf Uhr die Nutzung von Internet und Telefonen massiv einschränken. Doch die Nachbarschaftskomitees können lokal mobilisieren, ohne Zugang zum Internet oder zu größeren Straßen, die von den Sicherheitskräften gesperrt sind.

Wachsende Spannungen zwischen dem der zivilen und der militärischen Führung, ...

Der Staatsstreich am Montag erfolgte nach Wochen wachsender Spannungen zwischen der zivilen und der militärischen Führung des Sudan. Nach dem Sturz von al Bashir im Jahr 2019 wurde der Sudan von einer Übergangsregierung und einem Souveränitätsrat aus zivilen und militärischen Vertretern verwaltet, um den Übergang zu einer echten Zivilregierung zu organisieren. Ende 2022 sollen die Wahlen für eine neue Regierung stattfinden. Doch immer mehr Sudanes*innen haben den Eindruck, dass das Militär und der Sicherheitsapparat die Wahlen gerne auf unbestimmte Zeit verschieben würden. (zur Übergangsregierung siehe: "Sudans Kommunist*innen lehnen Übergangsverfassung ab")

Die Spannungen zwischen dem Militär und den Zivilist*innen in der Übergangsregierung nahmen unter anderem wegen der Frage zu, ob Ex-Diktator al Bashir und andere an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgeliefert werden sollen, wo sie wegen Kriegsverbrechen angeklagt sind. Aber an der Übergangsregierung sind immer noch die Generäle des Regimes von Omar al Bashir beteiligt, etwa Abdel Fattah al-Burhan oder Mohammed "Hemedti" Hamdan Dagalo, ein Jandjaweed-Milizenführer, der die Rapid Support Forces (RSF) befehligt, die aus den Jandjaweed hervorgegangen. Er und diese Milizen sind für schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur und anderswo verantwortlich.

... und innerhalb der der Bewegung "Kräfte für Freiheit und Wandel"

Zudem sind in jüngster Zeit auch innerhalb der Anti-Baschir-Bewegung die gegensätzlichen Standpunkte offen zutage getreten. Die Spannungen innerhalb der Bewegung "Kräfte für Freiheit und Wandel" (FCC) schwelten schon seit einiger Zeit, brachen aber nach einem gescheiterten Putschversuch am 21. September dieses Jahres offen aus und spalteten das Land entlang alter Linien - den konservativeren Islamisten, die die frühere Diktatur von Omar al-Bashir unterstützten und die jetzt eine Militärregierung wollen, und denjenigen, die al-Bashir vor mehr als zwei Jahren durch Massenproteste gestürzt haben und eine pluralistischen Demokratie befürworten. In den letzten Tagen sind beide Lager zu Demonstrationen auf die Straße gegangen.

Den Hintergrund für die wachsenden Spannungen in der Übergangsregierung bildet die tiefe Wirtschaftskrise mit einer Rekordinflation und einem Mangel an grundlegenden Gütern. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, und die Unterernährung von Kindern liegt nach Angaben der Vereinten Nationen bei 38 %. Mit Unterstützung der USA hatte die Übergangsregierung die Streichung Sudans von der US-Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen, und einen westlichen Schuldenerlass erwirkt. Die Regierung leitete harte Wirtschaftsreformen ein, die zu einer raschen Begleichung der Zahlungsrückstände und einem Schuldenerlass sowie zu einer erneuten Finanzierung durch die Weltbank und den IWF führten, aber die Wirtschaftskrise im Lande und die gesellschaftlichen Spannungen vertieften.

Wenig geändert hat sich bezüglich der Kleptokratie des Ex-Diktators al-Bashir und seiner Militärs. Neben der offensichtlichen Macht durch gut ausgebildete Männern mit Waffen üben die Militärs auch die Kontrolle über Schlüsselbereiche der sudanesischen Wirtschaft aus. Viele der sudanesischen Goldminen werden beispielsweise von den Rapid Support Forces kontrolliert, einer Miliz unter der Führung des stellvertretenden Vorsitzenden des regierenden Souveränitätsrates, Mohamed Hamdan Dagalo, auch bekannt als Hemeti.

Sudan Khartum 2021 10 21Am 21. Oktober demonstrierten Hunderttausende in der sudanesischen Hauptstadt Khartum mit der Forderung nach einer zivilen Regierung. Sie skandierten antimilitärische Slogans und trugen Transparente mit gegen das Militär gerichteten Losungen. Sie forderten auch die Zerschlagung des "tiefen Staates", der immer noch die Interessen des alten Regimes mit den Gefolgsleuten des ehemaligen Präsidenten Omar Al-Bashir vertrete. Sie forderten außerdem, dass der Vorsitz des Souveränen Rates gemäß der 2019 unterzeichneten Verfassungserklärung an die Zivilbevölkerung übergeben wird. Es war eine Machtdemonstration nach dem versuchten Staatsstreich einen Monat zuvor und einem pro-militärischen Sitzstreik vor dem Präsidentenpalast in Khartum. Für die Militärs war dies ein Alarmsignal.

Noch am Wochenende warnte ein Führungsmitglied der "Kräfte für Freiheit und Wandel" (FCC) während einer Pressekonferenz in Khartum, vor einem "schleichenden Putsch". Die Pressekonferenz wurde von einem Mob gestürmt und am Montag putschte das Militär. In seiner ersten Pressekonferenz sagte General Burhan am Dienstag, die Armee habe keine andere Wahl, als Politiker aus dem Weg zu räumen, die die Bevölkerung gegen die Streitkräfte aufstachelten.

Der Staatsstreich wurde weltweit verurteilt. Die Afrikanische Union erklärte, sie habe die Teilnahme des Sudan an allen Aktivitäten ausgesetzt, bis die zivil geführte Regierung wiederhergestellt sei. Die Weltbank hat am Mittwoch als Reaktion auf die Machtübernahme durch das Militär die Auszahlungen für den Sudan gestoppt. Der UN-Sicherheitsrat trat am Dienstag zusammen, um die Krise im Sudan zu erörtern. Doch die Sitzung endete wie häufig ohne eine gemeinsame Stellungnahme: Russland weigert sich, das Wort "Staatsstreich" zu verwenden und ist der Ansicht, dass die Proteste nicht friedlich sind, China und Russland haben Vorbehalte gegen die von Großbritannien erarbeitete Erklärung.

 
 
   

 


Sudan vom Beginn der Proteste über den Sturz von al Bashir bis zur Bildung der Übergangsregierung auf kommunisten.de