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MX Zocalo 2019 12 0104.12.2019: 250.000 Mexikaner*innen waren am Sonntag (1.12.) auf den zentralen Platz von Mexiko-Stadt, den Zócalo, gekommen, um den Rechenschaftsbericht von Präsident Andrés Manuel López Obrador über sein erstes Amtsjahr zu hören.

Der 66-jährige Präsident kann nach dem ersten seiner sechs Amtsjahre auf eine Popularitätsrate von 60% bis 70% bauen, die allerdings in den letzten Monaten durch die Verschärfung der mit dem Drogenhandel verbundenen Gewalt und einer stagnierenden Wirtschaft etwas gesunken ist.  "Die Verringerung der Kriminalität ist unsere größte Herausforderung, aber wir sind sicher, dass wir Mexiko mit Unterstützung der Bevölkerung beruhigen werden", sagte er in seiner Rede.

In diesem ersten Regierungsjahr hat der Vorsitzende der linken Movimiento Regeneración Nacional (Morena) mit öffentlichen Debatten, Konsultationsprozessen mit der Bevölkerung und einem harten Anti-Korruptionsdiskurs eine neue Regierungsform geprägt, gleichzeitg aber auch einen starken Personalismus und wenig Toleranz gegenüber Kritik an den Tag gelegt.

Mit den tägliche Pressekonferenz von Montag bis Freitag um sieben Uhr morgens, in der er sich zwei Stunden lang den Fragen stellt, hat er es verstanden, "sich mit Menschen zu verbinden, dank einer gemeinsamen Sprache, die für ein Gespräch im Taxi oder auf dem Markt typisch ist", sagt Efe Oscar Casillas, Experte für politische Kommunikation an der Nationalen Autonomen Universität von Mexico (UNAM).

 Die vierte Transformation

MX AMLO Zocalo 2019 12 01AMLO, wie Andrés Manuel López Obrador populär genannt wird, begann seine 90-minütige Rede mit einer Auflistung der wichtigsten Reformen, die im ersten Amtsjahr bereits beschlossen wurden.

"Die Veränderung, die wir vornehmen, ist ersichtlich. In der neoliberalen Zeit wurden Gesetze gemacht, ohne das öffentliche Interesse zu berücksichtigen. Jetzt haben die Verfassungsreformen den Zweck, die Entwicklung des Landes und das Wohlergehen der Menschen zu gewährleisten", so AMLO bevor er die wesentlichen Reformen und Gesetze aufzählte: Bekämpfung der Korruption, Demokratisierung, Kampf gegen Steuerhinterziehung, Wahlbetrug und Straffreiheit, neues Arbeitsgesetz, Erhöhung der Renten für ältere Erwachsene und Menschen mit Behinderungen sowie Stipendien für arme Schüler*innen und Studierende, Verbot des Steuernachlasses für große Wirtschafts- und Finanzgesellschaften, Erhöhung des Gesundheitsbudgets, "um so schnell wie möglich Medikamente, klinische Analysen, kostenlose medizinische und Krankenhausversorgung und Qualität für alle Einwohner Mexikos zu gewährleisten", … .

"... wir wenden eine neue Produktionspolitik an"

AMLO: "Die Strategie zur Beendigung der Korruption und zur Senkung der Regierungskosten ermöglicht es uns, den Haushalt zu finanzieren, ohne die Steuern zu erhöhen, ohne die Kraftstoffpreise zu erhöhen und ohne das Land zu verschulden.
Die Mittel zur Finanzierung von Sozialprogrammen stammen aus dem, was durch den Kampf gegen die Korruption und die Beseitigung von Luxus und hohen Ausgaben, die in der Regierung überflüssig sind, eingespart wird.
Wir wenden eine neue Produktionspolitik an, um die volkseigene Wirtschaft (economía popular) zu unterstützen, den Binnenmarkt zu stärken, Projekte zur regionalen Entwicklung zu fördern, die Beteiligung privater Initiativen zu stimulieren und die Attraktivität für ausländische Investitionen zu erhöhen."

MX Apoyo AMLODer Präsident hob hervor, dass im Unterschied zu früheren neoliberalen Regierungen keine öffentlichen Güter oder Unternehmen privatisiert wurden. Zum Schutz der natürlichen Umwelt wurde die Verwendung von gentechnisch verändertem Mais und Fracking zur Gewinnung von Gas und Öl verboten.

Ein Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik liegt in der Förderung des ländlichen Raumes mit der Verteilung von Boden, günstigen Krediten für Bauern und Kleinunternehmer*innen, garantierten Preisen für Lebensmittel, etc.. Zu dieser Förderung des ländlichen Raumes zählt auch der Bau von Straßen.

"So verwurzeln wir die jungen Bauern auf dem Land, wir reduzieren die Migration, wir werden Holz, Obst und Lebensmittel produzieren, wir sanieren den Dschungel, den Wald und wir retten und schützen die einheimische Flora und Fauna, kurz gesagt, das Leben wird gesät", so AMLO.

"Auf der anderen Seite versuchen wir, den Binnenmarkt durch eine Politik der Lohnerhöhung und eine Strategie der massiven Schaffung produktiver Arbeitsplätze zu stärken" betonte AMLO und verwies auf den um 16% gestiegenen Mindestlohn und die mehr als eineinhalb Millionen neuen Arbeitsplätze.

"Das von uns angestrebte Wirtschaftswachstum ist noch nicht erreicht, aber es gibt eine bessere Verteilung des Reichtums. Der öffentliche Haushalt fließt nicht mehr wie früher in die Händen einiger weniger, sondern erreicht die Mehrheit der Menschen", bilanzierte er seine Wirtschafts- und Sozialpolitik.

"... den Pazifischen Ozean mit dem Atlantik verbinden"

Mit großen Investitionen werden die Verkehrswege ausgebaut und modernisiert. So wird bereits an der Erweiterung der Häfen von Salina Cruz an der Pazifikseite des Isthmus von Tehuantepec sowie von Coatzacoalcos an der Atlantikseite gearbeitet. Begonnen wurde auch bereits mit dem Gleisbau für eine Container-Güterzug zwischen den zwei Hafenstädten, der den Pazifik mit dem Atlantik verbinden wird.

     
   
     



"… Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit"

In seinem Rechenschaftsbericht betonte AMLO auch den "Paradigmenwechsel" in der Sicherheitspolitik.

Zwischen 2006 und 2018 hätten die Regierungen versucht, die kriminelle Gewalt durch militärische und polizeiliche Aktionen zu lösen, ohne die Ursache des Problems anzugehen. Im sog. "Krieg gegen den Drogenhandel" führte das Militär einen "frontalen Kampf gegen die organisierte Kriminalität, mit Hinrichtungen, Massakern oder Vernichtung", so AMLO. "Das Ergebnis war katastrophal, und diese Strategie hinterließ eine erschreckende Zahl von Toten, Verschwundenen und Verletzten, eine Krise der Menschenrechte, einen beispiellosen institutionellen Zerfall und schwere Schäden am gesellschaftlichen Gefüge. Das Land leidet immer noch unter den Folgen dieser falschen Politik", kritisierte AMLO die Politik seiner Vorgänger.

Die neue Sicherheitspolitik gehe davon aus, dass die "Streitkräfte nie wieder dazu benutzt werden, Exzesse zu begehen und illegale und unmenschliche Befehle auszuführen", so AMLO und führte das Vorgehen der Sicherheitskräfte am 17. Oktober in Culiacán [2] als Beweis für die neue Sicherheitspolitik an.

AMLO:"Unsere Gegner mögen sagen, dass wir Schwäche zeigen, aber nichts ist mehr wert als das Leben der Menschen. Die Begründung für diese neue Strategie ist im Entwicklungsplan enthalten, aber ich wiederhole, dass zu den wichtigsten Maßnahmen zur Erreichung des Friedens die Schaffung besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen gehört, um die eigentlichen Ursachen der Gewalt anzugehen.
Was sind das für Ursachen?
Arbeitslosigkeit, Armut, Marginalisierung, Mangel an Arbeitsplätzen und mangelnde Möglichkeiten für junge Menschen, Möglichkeiten für Arbeit und Studium zu haben. Das ist es, was wir tun.
Die neue Strategie für die öffentliche Sicherheit umfasst auch die Nulltoleranz gegenüber Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen. Wir widmen Zeit und Ressourcen der Suche nach denjenigen, die durch Gewalt verschwunden sind. Wir werden nicht ruhen, bis wir den Aufenthaltsort der jungen Menschen von Ayotzinapa kennen."

"… Migration ist optional und nicht durch Hunger oder Gewalt erzwungen"

Auch in der Migrationspolitik habe die Regierung einen radikalen Wandel vollzogen. "Unser Ziel ist es nun, dass kein mexikanischer Bürger gezwungen wird, sein Zuhause, in dem er geboren wurde, wegen Armut, Ausgrenzung oder Unsicherheit zu verlassen." Die Regierung versuche, USA und die Schwesterländer Mittelamerikas in eine Lösung einzubeziehen, "um gemeinsam am Aufbau von Mechanismen zur wirtschaftlichen Reaktivierung, zum Wohlbefinden und zur Entwicklung mitzuwirken, mit dem Ziel, sicherzustellen, dass alle Menschen dort arbeiten, studieren, Gesundheit und Wohlbefinden haben und glücklich sein können, wo sie geboren wurden. Die Migration ist optional und nicht durch Hunger oder Gewalt erzwungen."

"... Wir akzeptieren keinen Typ von Intervention, wir sind ein freies und souveränes Land"

Mexicos Präsident widmete auch der Außenpolitik einen großen Raum. Er betonte, dass Mexico mit seiner die "beispielhaften Tradition, politisch Verfolgten aus der ganzen Welt Zuflucht zu gewähren", beschlossen habe, "dem Präsidenten Boliviens, Evo Morales, und seinem Vizepräsidenten, Álvaro García Linera, humanitäres und politisches Asyl zu gewähren".
AMLO: "Evo ist nicht nur unser Bruder, der mit Würde die Mehrheit der indigenen Bevölkerung Boliviens vertritt, Evo war das Opfer eines Staatsstreichs und aus Mexiko bekunden wir für die Welt: Demokratie ja, Militarismus nein."

In Bezug auf das Verhältnis zum Imperium im Norden sagte er, dass diese Beziehung gekennzeichnet ist "durch eine Geschichte von Invasionen, territorialer Enteignung und Interventionen, aber auch durch einen intensiven wirtschaftlichen, kulturellen und demographischen Austausch".

Er versicherte, dass seine Regierung für eine Beziehung kämpft, die auf gegenseitigem Respekt, Entwicklungszusammenarbeit und einer Verhandlungslösung für die Vielfalt der gemeinsamen Probleme wie Migration, transnationale Kriminalität, Menschenhandel, Waffenschmuggel und illegalem Drogen- und Devisenhandel basiert.

Er bekräftigte, dass seine Regierung die Rechte der in die USA emigrierten Mexikaner*innnen "unter voller Achtung der Souveränität dieses Landes und mit allen verfügbaren Rechtsinstrumenten" verteidigen werde. Er verwies auf den Massenmord in El Paso (Texas) [1] als ein "durch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit motiviertes Hassverbrechen" und forderte, "dass die für diese abscheuliche Aggression verantwortliche Person gesetzeskonform bestraft wird".

AMLO äußerte, dass seine Beziehung zu seinem amerikanischen Amtskollegen Donald Trump von Respekt geprägt sei und dankte Donald Trump für dessen Solidarität "in der Gewaltkrise in Culiacán [2] und nach den traurigen und schmerzhaften Ereignissen, bei denen drei Frauen und sechs Kinder der mexikanisch-amerikanischen Familien LeBarón und Langford ihr Leben verloren haben". [3]

Trump habe Hilfe angeboten, dafür sei ihm zu danken, so AMLO. Dann setze er hinzu: "Wir akzeptieren keine Art von Intervention, wir sind ein freies und souveränes Land."

"… das Alte ist noch nicht gestorben und das Neue noch nicht geboren"

Wie bereits in seiner Regierungserklärung vor einem Jahr bekräftigte AMLO, dass der eingeleitete Reformprozess auf eine politische und systematische Transformation des Landes abziele - friedlich und radikal.

"Diese Änderungen bilden eine neue Verfassung, die die Forderungen und den Willen der Menschen widerspiegelt, die beschlossen haben, die Vierte Transformation [3] des Landes auf legale, demokratische und friedliche Weise durchzuführen."

AMLO sagte, dass von den 100 Verpflichtungen, die er vor einem Jahr eingegangen ist, 89 erfüllt seien und setzte hinzu, dass, obwohl viele Fortschritte erzielt wurden, "wir uns immer noch in einem Übergangsprozess befinden. Das Alte ist noch nicht gestorben und das Neue noch nicht geboren".

"Vor einem Jahr bin ich an gleicher Stelle 100 Verpflichtungen gegenüber dem mexikanischen Volk eingegangen. Sie sind veröffentlicht, sie können sie nachlesen. 100 Verpflichtungen gegenüber dem mexikanischen Volk. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, dass wir 89 erfüllt haben und nur 11 ausstehen. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir in diesen ersten 12 Monaten ein großes Stück vorangekommen sind, aber wir befinden uns immer noch in einem Übergangsprozess, das Alte ist noch nicht gestorben und das Neue noch nicht geboren.
Aber wahr ist, wir spielen nicht, wir simulieren nicht.
Eine neue Art der Gestaltung von Politik ist im Gange, ein Systemwechsel."

Und er versprach: "Ich denke, dass wir uns im Dezember des kommenden Jahre hier wieder treffen und dass im Jahr 2020 die Grundlagen für den Aufbau einer neuen Heimat bereits gelegt sein werden."

Zur gleichen Zeit, in der sich auf dem Zócalo die Anhänger*innen der linksgerichteten Regierung versammelten, demonstrierte die Rechte gegen die Regierung. Auf der Paseo de la Reforma versammelten sich laut Polizei rund 10.000 Menschen unter Slogans wie "Genug!", "Rücktritt AMLO" oder "AMLO Diktator".

   MX AMLO Video 2019 12 01  
  Video: https://twitter.com/lopezobrador_/status/1201197661304442880  

voller Wortlaut der Rede in spanischer Sprache: https://regeneracion.mx/pueblo-de-mexico-angel-guardian-amlo-discurso-integro-en-el-zocalo/

 

Fußnoten:

[1] Anfang August hat ein 21jähriger weißer Rassist in einem von vor allem von Lateinamerikaner*innen besuchten Einkaufszentrum 22 Menschen erschossen, rund zwei Dutzend weitere wurden verletzt. Acht der Opfer waren mexikanische Staatsbürger*innen. Nach eigener Aussage hat er gezielt Mexikaner töten wollen. "Die Attacke ist eine Reaktion auf die hispanische Invasion in Texas."

[2] In der Stadt Culiacán, Hauptstadt des Bundesstaates Sinaloa, war es Mitte Oktober bei der versuchten Gefangennahme von Ovidio Guzmán, dem Sohn von Joaquín "El Chapo" Guzmán, zu einem Chaos mit Geiselnahmen gekommen. Die schwer bewaffneten Mitglieder des Sinaloa-Drogenkartells griffen Polizisten und Soldaten an, nahmen elf von ihnen als Geiseln und drangen in Wohnungen von deren Familienangehörigen ein. Sie blockierten Straßen und befreiten 55 Insassen einer Haftanstalt. Der Regierung zufolge gab es acht Tote und 19 Verletzte. Ovidio Guzmán wurde im Zuge der Kämpfe wieder freigelassen, "um ein Massaker zu vermeiden, bei dem Hunderte von Menschen ihr Leben verloren hätten, die meisten davon Zivilisten", erklärte López Obrador.

[3] Am 4. November 2019 wurden im Bundesstaat Sonora neun Mitglieder der Familie LeBarón und Langford-Miller ermordet, drei Frauen und sechs Kinder. Die Angehörigen einer mormonischen Gemeinschaft hatten mexikanische und us-amerikanische Staatsbürgerschaft. Ungeklärt ist, ob sie zwischen die Fronten rivalisierender Drogenkartelle kamen, oder ob es sich um eine Operation unter "falscher Flagge" handelte, die darauf abzielt, die Regierung von Andrés Manuel López Obrador zu destabilisieren und bessere Bedingungen für eine militärisch-polizeiliche Intervention der USA in Mexiko zu schaffen.

Donald Trump twitterte am 5. November, dass die Vereinigten Staaten helfen könnten, "diese Monster (die Drogenhändler) schnell und effektiv von der Erdoberfläche zu tilgen". In einem Leitartikel im Wall Street Journal wurde der US-Justiz vorgeschlagen, ihren "langen Arm" (extraterritorial) zu verlängern, um US-Bürger*innen in beiden Ländern zu "schützen", ohne eine einseitige "Militäroperation" auszuschließen. Die US-Regierung hat inzwischen angekündigt, dass sie die "mexikanischen Drogenkartelle" als "ausländische Terrororganisationen" listen will.

AMLO erklärte in einer Pressekonferenz, dass er es trotz der Erklärungen des US-Präsidenten, die mexikanischen Drogenkartelle als Terroristen einstufen zu wollen, für sehr unwahrscheinlich halte, dass die USA in Mexico intervenieren würden. Um sofort hinzuzusetzen, wenn es zu Maßnahmen kommen sollte, die eine ausländische Intervention bedeuteten, würde die Regierung Mexicos auf der Grundlage des Völkerrechts handeln. "Wir werden nicht zulassen, dass bewaffnete Menschen in unserem Territorium handeln, bewaffnete Ausländer können nicht auf unserem Territorium eingreifen.Wir wollen keinen Interventionismus", stellte er klar.

[3] Nach dieser Periodisierung befindet sich Mexico in der vierten Transformation in der Geschichte des Landes - nach der Unabhängigkeit Mexikos (1810-1821) "die für die Abschaffung der Sklaverei und die Erlangung der Souveränität kämpfte"; der Periode der Reformen (1858-1866) "in der die Zivilmacht vorherrschte und die Republik wiederhergestellt wurde"; und der Revolution (1910-1921) "in der für Gerechtigkeit und Demokratie gekämpft wurde".


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