Internationales

02.11.2009: Nun hat die Wahlfarce in Afghanistan unter Schirmherrschaft der USA doch noch einen weiteren Höhepunkt erfahren. Der offizielle Gegenkandidat von Präsident Karsai, Abdullah Abdullah, gab am Wochenende seinen Verzicht auf die Stichwahl am nächsten Wochenende bekannt. Mit knapp 39% offiziell genannter Wahlbeteiligung und knapp 50% der Stimmen im ersten Wahlgang wurde jetzt der Marionettenpräsident im Amt bestätigt.

Spannend und aufschlussreich, aber ebenso abstoßend ist die diplomatische Begleitmusik aus den USA und aus den Kreisen der neuen Bundesregierung. Denn der Schein der neuen Demokratie in Afghanistan muss wohl um jeden Preis aufrecht erhalten werden, und man spürt förmlich das Glückgefühl über die entfallene Stichwahl bei den ausländischen Auftraggebern der neuen afghanischen Zentralregierung. Ein durchaus berührendes Gegenbeispiel dazu bietet das nachstehende Rücktrittsgesuch des hohen amerikanischen Diplomaten Metthew Hoh. Die Nachricht über diesen Rücktritt war schon vor einigen Tagen in unseren Zeitungen als Kurznachricht zu finden. Jetzt ist auch der vollständige Text des Briefes zugänglich:

Botschafter Nancy J. Powell
Generaldirektor des Diplomatischen Dienstes und Personaldirektor
U.S. Außenministerium
2201 C Straße NW
Washington, D.C. 20520


Sehr geehrter Herr Botschafter Powell,

Mit großem Bedauern und mit Enttäuschung erkläre ich hiermit meinen Rücktritt von meiner Beauftragung als Politischer Offizier im Diplomatischen Dienst und von meinem Posten als Leitender Zivilvertreter für die US-Regierung in der Provinz Kabul. Ich habe in den letzten zehn Jahren sechs Jahre lang unserem  Land in Übersee gedient, darunter als Beamter der US-Marine und als Zivilist des Verteidigungsministeriums in den Flußregionen von Euphrat und Tigris im Irak von 2004-2005 und von 2006-2007. Ich trat in diese Position nicht unernst oder mit irgendwelchen übermäßigen Erwartungen ein, noch glaubte ich, dass mein Auftrag ohne Opfer, Elend oder Schwierigkeiten sein würde. Im Laufe meines fünfmonatigen Dienstes in Afghanistan und in den beiden Regionalkommandos Ost und Süd habe ich jedoch Verständnis und Vertrauen in die strategischen Zwecke der Anwesenheit der Vereinigten Staaten in Afghanistan verloren. Ich habe Zweifel und Bedenken über unsere gegenwärtige und für die Zukunft geplante Strategie, mein Rücktritt begründet sich jedoch nicht daraus, wie wir diesen Krieg führen, sondern warum und zu welchem Ende wir ihn führen. Um es deutlich zu sagen: ich kann keinen Sinn und Zweck in fortgesetzten US-Opfern und den Ausgaben für Unterstützungsleistungen an die afghanische Regierung bei dem sehen, was ehrlich gesagt ein 35-jähriger Bürgerkrieg ist.

Dieser Herbst bedeutet auch das achte Jahr des US-Kampfes und der Operationen zur Machtsicherung und zur Entwicklung in Afghanistan. Im nächsten Herbst wird die US-Besatzung so lange dauern, wie die physische Anwesenheit der Sowjetunion in Afghanistan. Wie die Sowjetunion setzen wir die Sicherung und die Stärkung eines erfolglosen Staates fort und fördern eine Ideologie und ein Regierungssystem, das beim eigenen Volk unbekannt und unbeliebt ist.

Betrachtet man die Geschichte Afghanistans als eine große Theaterbühne, so sind die Vereinigten Staaten nicht mehr als einer von mehreren voran-gegangenen Nebendarstellern in einer Tragödie, in der nicht nur Stämme, Täler, Verwandtschaftsgruppen, Dörfer und Familien gegeneinander gehetzt wurden, sondern in der zumindest seit Ende der Herrschaft von König Zahir Schah das städtische, weltliche, gebildete und moderne Afghanistan gewalttätig und wild gegen das ländliche, religiöse, ungebildete und traditionsverhaftete Afghanistan kämpfen. Es ist diese zweite Kraft, die die paschtunischen Aufständischen bildet und unterstützt. Der Aufstand der Paschtunen, der aus vielfältigen, scheinbar unerschöpflichen Gruppen gebildet wird, speist sich aus dem, was die Paschtunen als fortwährenden und anhaltenden Angriff wahrnehmen, der seit Jahrhunderten durch interne und externe Feinde auf das eigene Gebiet, die Kultur, die Traditionen und die eigene Religion statt findet. Die US- und Nato-Truppen und deren Operationen in paschtunischen Tälern und Dörfern und ebenso die afghanischen Armee- und Polizeieinheiten werden aus nicht-paschtunischen Soldaten und Polizisten gebildet und von diesen geführt. Sie bilden eine Besatzungsarmee, gegen die der Aufstand gerechtfertigt ist. Sowohl im Regionalkommando Ost, als auch im Regionalkommando Süd habe ich festgestellt, dass die Mehrheit der Aufständischen nicht unter dem weißen Banner der Taliban kämpft. Vielmehr kämpfen sie gegen die Anwesenheit ausländischer Soldaten und gegen Steuern, die ihnen von einer Regierung in Kabul auferlegt werden, die sie nicht vertritt.

Die militärische USA-Anwesenheit in Afghanistan liefert eine außerordentliche Rechtfertigung und strategische Botschaft an die paschtunischen Aufständischen. Und auf gleiche Weise trennt unsere Stützung der afghanischen Regierung in der gegenwärtigen Form die Regierung vom Volk. Die Mängel der afghanischen Regierung, besonders im Vergleich mit dem Opfer amerikanischer Leben und Dollar, erscheinen Legion und wie ein Krebsgeschwür:

  • blühende Bestechung und unverfrorenes Raffen
  • ein Präsident, dessen Vertraute und Berater aus Rauschgiftbossen und Kriegsverbrechern bestehen, die sich über unsere Gesetzlichkeit und Drogenbekämpfung lustig machen.
  • ein System von Provinz- und Kreis-Führern, das sich zusammensetzt aus lokalen Machthabern, Opportunisten und ‚Männern fürs Grobe’, die mit den Vereinigten Staaten nur insofern verbunden sind, wie der Wert unserer USAID- und CERP-Verträge ausreicht. Deren eige-ne ökonomische und politischen Geschäfte zudem jedem positiven und echten Bemühen um Versöhnung im Wege stehen.
  • das neuerliche Wahlverfahren, das von Schwindel beherrscht und durch eine extrem niedrige Wahlbeteiligung entwertet wird. Dies verschaffte unserem Gegner einen bedeutenden Sieg, so dass er jetzt einen populären Boykott fordert und weltweit die militärische, wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung unserer Regierung für eine unwerte und rechtswidrige afghanische Regierung in Zweifel ziehen wird.

Unsere Unterstützung für diese Art der Regierung, die mit einem Unverständnis der wahren Natur des Aufstands verbunden ist, erinnert mich furchtbar an unsere Verbandelung mit Südvietnam; eine unpopuläre und korrupte Regierung, die wir auf Kosten des eigenen inneren Friedens un-serer Nation gegen einen Aufstand unterstützten, dessen Nationalismus wir arrogant und unwissend mit einem Rivalen unserer eigenen Ideologie des Kalten Kriegs verwechselten.

Ich finde die Gründe scheinheilig, mit denen wir Blutvergießen und Opfer von unseren jungen Männern und Frauen in Afghanistan fordern. Wenn wir ehrlich wären, würde unsere erklärte Strategie zur Sicherung von Afghanistan und zur Verhinderung eines Wiederauflebens oder der Reorganisation von Al-Qaida auch von uns erfordern, in Pakistan, Somalia, Sudan, Jemen usw. einzufallen und diese Länder zu besetzen. Unsere Anwesenheit in Afghanistan hat bereits in Pakistan Instabilität und Aufstand ausgeweitet. Und zu Recht fürchten wir, dass eine gestürzte oder geschwächte pakistanische Regierung die Kontrolle über die Atomwaffen verlieren könnte. Gemäß der Logik unserer erklärten Zielsetzungen müssten wir Pakistan besetzen, nicht jedoch Afghanistan. Ferner ist festzuhalten, dass die Anschläge des 11. September und ebenso die Bombenanschläge in Madrid und London hauptsächlich in Westeuropa geplant und organisiert wurden, was darauf hinweist, dass diese Bedrohungen nicht an traditionelle geografische und politische Grenzen gebunden sind. Wenn es letztendlich aber um unsere Fürsorge für einen gescheiterten Staat geht, der durch Korruption und Armut geschlagen und von Kriminellen und Drogen-Bossen angegriffen wird, und wenn wir unsere militärischen und finanziellen Hilfeleistungen an Afghanistan betrachten, dann müssten wir auch unsere Verpflichtungen und unsere Bindungen an Mexiko neu bewerten und erhöhen.

Acht Jahre sind wir jetzt im Krieg und keine Nation hat jemals hingebungsvollere, besser ausgebildete, erfahrenere und diszipliniertere Soldaten gekannt, als die US-Streitkräfte. Ich glaube nicht, dass irgendeine Streitmacht mit so einer komplexen, undurchsichtigen und Sisyphosarbeit beauftragt wurde, wie das US-Militär in Afghanistan. Die taktischen Kenntnisse und Leistungen unserer Soldaten, Matrosen, Flieger und Marinesoldaten sind unvergleichlich und unbezweifelt. Jedoch ist das nicht die europäische oder pazifische Theaterbühne des Zweiten Weltkriegs, es ist eher ein Krieg, auf den sich unsere Führer, Uniformierte, Bürger und Parlamentarier unzulänglich vorbereitet und unsere Männer und Frauen unzureichend ausgestattet haben. Unsere Streitkräfte, ergeben und treu, sind auf unklare und ungeplante Weise in einen Konflikt geschickt worden, der jetzt zu einem rücksichtslosen, politisch zweckdienlichen, naiven Missgeschick geworden ist. Genauso haben die Vereinigten Staaten einen Kader von hingebungsvollen, fähigen Zivilisten, sowohl Regierungsangestellte, wie auch Vertragsmitarbeiter, die an ihren Auftrag glauben und sich dafür aufopfern. Aber sie sind unzureichend ausgebildet und von Absichten und Anleitungen geführt, die mehr durch das politische Klima in Washington D.C. geformt wurden, als durch das in afghanischen Städten, Dörfern, Bergen und Tälern.

"Wir zahlen hier bis zum Abwinken" weist ein sehr talentierter und intelligenter Kommandant, einer der besten Amerikas, jeden Besucher, jede Delegation und jeden Offizier ein. Wir verpfänden die Wirtschaft unserer Nation auf einen Krieg, der sogar mit noch vergrößertem Engagement, ein Unentschieden für die kommenden Jahren bleiben wird. Erfolg und Sieg, was auch immer, wird nach Ausgabe vieler weiterer Milliarden nicht nach Jahren, sondern nach Jahrzehnten und nach Generationen zustande kommen. Auch die Vereinigten Staaten haben kein nationales Finanzministerium für solchen Erfolg oder Sieg.

Ich bemerke meine Emotionen und den Tonfall meines Briefes und bitte, jede eventuelle Kränkung zu entschuldigen. Ich vertraue darauf, dass Sie die Natur dieses Krieges und die Opfer verstehen, die von so vielen Tausenden von Familien erbracht werden, die von ihren Lieben getrennt worden sind, die zum Schutze von unserer Nation entsandt wurden. Familien, deren Häuser die Brüche, Umstürze und Narben von vielfachen und umfangreichen Einsätzen beherbergen. Tausende von unseren Männern und Frauen sind nach Hause mit physischen und geistigen Wunden zurück gekehrt, einige davon werden nie heilen oder mit der Zeit noch verschlechtern. Die Toten kommen nur in körperlicher Form zu ihren Familien zurück, denen man Gewissheit geben muss, dass ihre Toten einem Zweck geopfert worden, der eine verlorene Zukunft, eine verschwundene Liebe und unerfüllte Träume wert war. Ich habe das Vertrauen verloren, dass solche Zusicherungen noch gemacht werden können. Deshalb erkläre ich meinen Rücktritt.

Hochachtungsvoll,
Matthew P. Hoh
Senior Civilian Representative
Kabul Province, Afghanistan

Cc: Mr. Frank Ruggiero
Ms. Dawn Liberi
Botschafter Anthony Wayne
Botschafter Karl Eikenberry

Es erübrigt sich in diesem Zusammenhang und hinsichtlich des Kerns dieser Stellungnahme jede Anmerkung und Kommentierung.

Text und Übersetzung: hth