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I de Maio Gueterres 2022 05 1827.05.2022: ukrainisch-russische Verhandlungen Ende April abgebrochen ++ italienische Regierung legt Plan für eine Friedensregelung in der Ukraine vor ++ Ablehnung in Kiew ++ Kehrtwende von Selenskij ++ Russland skeptisch: Abkommen vom "Stand der Kampfhandlungen" abhängig

 

Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine führten Moskau und Kiew mehrere Gesprächsrunden über eine Beendigung des Krieges. Am effektivsten war ein Treffen in der Türkei Ende März. Damals bot die Ukraine den ständigen Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats an, ihre Sicherheit zu gewährleisten (mit der Garantie, nicht auf der Krim und in Teilen des Donbass tätig zu werden); im Gegenzug sollte Kiew einen neutralen und nicht-nuklearen Status akzeptieren und auf die Herstellung und den Einsatz aller Massenvernichtungswaffen verzichten.

UA Verhandlungsdelegationen IstanbulAm 3. April sagte der Chef der ukrainischen Verhandlungsdelegation, Davyd Arakhamia, dass die russische Seite bei den Verhandlungen in Istanbul mündlich den Vorschlägen der Ukraine für den Friedensvertrag zugestimmt habe. Russland sei angeblich mit allen Punkten einverstanden, außer dem der Krim-Frage. Kiew schlug bei den Gesprächen vor, die Verhandlungen über den Krim-Status für die nächsten 15 Jahre anzusetzen, wobei sich beide Seiten verpflichten, den Streit nicht mit militärischen Mitteln lösen zu wollen. Moskau bestehe auf der Anerkennung der Halbinsel als Teil Russlands.

Der Chef der russischen Verhandlungsdelegation, Wladimir Medinski, erklärte, nach seinem Eindruck verhalte sich Kiew jetzt bezüglich eines neutralen Status des Landes "realistischer". Die Einigung sei aber noch nicht fertig, um von den Staatschefs unterzeichnet zu werden. Die Delegationen und Experten würden die Arbeit am Text und konkreten Punkten des Vertrages fortsetzen.

Die wichtigsten Punkte des Friedensplans waren folgende:

  • die Ukraine verzichtet auf einen NATO-Beitritt und jegliche Atomwaffenambitionen;
  • das Land darf keine ausländischen Militärstützpunkte, Waffensysteme oder Kontingente auf seinem Territorium stationieren;
  • Kiew muss offiziell einen "dauerhaft neutralen Status" ausrufen und somit auf eine Mitgliedschaft in jeglichen Militärblocken verzichten;
  • Kiew muss auf jegliche militärische Rückeroberungsambitionen hinsichtlich des Donbass oder der Krim verzichten;
  • stattdessen erhält die Ukraine feste Sicherheitsgarantien, die von einer Reihe von Staaten gewährleistet werden;
  • das Land darf weiterhin einen EU-Beitritt anstreben;
  • russische Truppen müssen aus allen besetzten Gebieten abziehen, außer der Krim und des Donbass.

Der Friedensplan schien somit eine Kompromisslösung darzustellen, die beiden Seiten die Möglichkeit geben würde, sich als Sieger zu positionieren.

Verhandlungen abgebrochen

Kurz darauf erklärten die russischen Behörden jedoch mehrmals, dass die Verhandlungen "in eine Sackgasse" geraten seien. Das Massaker in Butscha setzte den Verhandlungen ein vorläufiges Ende. Andrei Rudenko, stellvertretender Leiter des russischen Außenministeriums, sagte der Nachrichtenagentur TASS: "Die Verhandlungen werden nicht fortgesetzt. Die Ukraine hat den Verhandlungsprozess faktisch abgebrochen."

Die Ukraine wiederum erklärt, die Gespräche seien wegen der Haltung Russlands ausgesetzt worden. Moskau mangele es am Verständnis für "das, was derzeit in der Welt geschieht, und für seine extrem negative Rolle“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij betonte, dass eine diplomatische Lösung des Konflikts nur möglich sei, wenn Russland das Feuer einstellt und die Truppen abzieht. (siehe kommunisten.de: "Ukrainisch-Russische Friedensverhandlungen: Warum ein Kompromiss derzeit kaum Chancen hat")

Vier-Phasen-Plan der italienischen Regierung

"Wenn es stimmt, dass der Krieg das Scheitern der Diplomatie ist, dann stimmt es auch, dass die Diplomatie Kriege beenden kann."
Luigi Di Maio, Außenminister Italiens

Jetzt hat die italienische Regierung einen Plan für eine Friedensregelung in der Ukraine ausgearbeitet. Italiens Außenminister Luigi Di Maio fordert mehr diplomatische Bemühungen für eine Waffenruhe und eine Friedenskonferenz für die Ukraine. "Die grundlegende Frage ist die Diplomatie. Gerade wenn sich die Parteien weigern, auf diplomatischem Wege zu arbeiten, müssen wir die Anstrengungen erhöhen", so Di Maio. "Wir müssen eine Friedenskonferenz fördern, der ein Waffenstillstand vorausgeht." "Unser Ziel ist eine diplomatische Lösung des Konflikts, wobei wir den Kanal mit Moskau für eine Deeskalation offen lassen und einen Waffenstillstand erreichen wollen", sagte Di Maio.

Derzeit versuchten nur einzelne Staaten zu vermitteln, kritisierte der Italiener. Nun wolle man alle relevanten internationalen Organisationen dazu bringen, mitzuarbeiten. Ein erstes Ziel sei, lokale Kampfpausen zu erreichen, danach solle ein Waffenstillstand, die Arbeit an der Neutralität und am Ende ein Friedensabkommen folgen.

Am 18. Mai übermittelte Italiens Außenminister Luigi Di Maio die Vorschläge Roms an UN-Generalsekretär António Guterres. (Foto oben) Der Plan sei von Diplomaten und der italienischen Regierung entwickelt und den Unterhändlern der sieben wichtigsten Industrienationen (G7) vorgelegt worden, sagte Di Maio.

Der Plan umfasst vier Phasen:

  • Waffenstillstand in der Ukraine und Entmilitarisierung der Frontlinie unter UN-Aufsicht.
  • Verhandlungen über den Status der Ukraine, die einen Beitritt des Landes zur EU, aber keinen Beitritt zur NATO vorsehen. Als offenkundigen Anreiz für die Ukraine, gegebenenfalls auf Teile ihres bisherigen Territoriums zu verzichten, sieht der Plan ein beschleunigtes Aufnahmeverfahren für das Land in die EU vor.
  • ein bilaterales Abkommen zwischen der Ukraine und Russland über die Krim und den Donbass: Auf Vorschlag der italienischen Regierung sollen die "umstrittenen Gebiete" volle Autonomie erhalten und das Recht haben, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen, während Kiew die Souveränität über die Regionen behält.
  • Ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa, das Abrüstung und Rüstungskontrolle, Konfliktprävention und vertrauensbildende Maßnahmen umfasst.

Danach soll der Abzug der russischen Truppen aus dem ukrainischen Gebiet erfolgen.

Italien schlägt außerdem die Einrichtung einer internationalen Gruppe vor, die die Einhaltung des Plans überwachen soll. Die vollständige Liste der Länder, die einbezogen werden könnten, steht noch nicht fest, aber sie umfasst Italien, Deutschland, Frankreich, die Türkei, die USA, China, Kanada, Großbritannien, Polen und Israel. Die EU, die UNO und andere internationale Organisationen sollten ebenfalls in den Prozess einbezogen werden.

Di Maio äußerte sich aber pessimistisch zur aktuellen Verhandlungslage mit Russland: "Ich will nicht wie ein Schwarzmaler wirken, aber ich sehe keine Verhandlung an irgendeinem Tisch“, sagte er. Er habe nicht den Eindruck, dass der Krieg bald beendet werden könne. "Aber vieles hängt davon ab, wie sehr wir uns als internationale Gemeinschaft und die EU engagieren", erklärte der italienische Außenminister. "Wenn es stimmt, dass der Krieg das Scheitern der Diplomatie ist, dann stimmt es auch, dass die Diplomatie Kriege beenden kann. Sie enden alle früher oder später, und man muss Pläne für die Nachkriegszeit bereithalten."

Reaktionen

Von westlicher Seite – auch von der deutschen Regierung – blieb die Unterstützung für den italienischen Vorschlag bisher aus.

In Kiew überwog die Ablehnung. Selenskijs Berater Mychailo Podoljak schloss eine unmittelbare Kampfpause aus, wie sie von der italienischen Regierung ins Gespräch gebracht worden war.

Der Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenskij, sagte, die Ukraine werde nie auf ein "Minsk-3" eingehen und sich "alles zurückholen", was sie durch den Krieg verloren habe. In einer Fernsehansprache (19.5.) kündigte Selenskyj an, zunächst den Süden des Landes zu befreien, einschließlich der gerade verlorenen Stadt Mariupol. Er bereitete die Bevölkerung auf einen längeren Krieg vor. "Cherson, Melitopol, Berdjansk, Enerhodar, Mariupol und alle unsere Städte und Gemeinden, die unter Besatzung, unter vorübergehender Besatzung sind, sollen wissen, dass die Ukraine zurückkehren wird", sagte er. Wie lange dies dauern werde, hänge von der Lage auf dem Schlachtfeld ab.

Auf der Beraterebene Selenskijs folgten alsbald Forderungen nach mehr schweren Waffen aus den USA, unter anderem Antischiffsraketen, Mehrfachraketenwerfern und Patriot-Flugabwehrsystemen.

"Die Ukraine kann diesen Krieg gewinnen."
Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär

Am 21. Mai legte Selenskij nochmal nach: Die Ukraine habe der russischen Armee "das Rückgrat gebrochen", sagte er in einem Fernsehinterview. "Sie werden die nächsten Jahre nicht mehr auf die Beine kommen." Angefeuert wurde er u.a. durch den NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der erklärte: "Die Ukraine kann diesen Krieg gewinnen."

Erstaunliche Erklärungen, denn in Mariupol hat die Ukraine gerade ihre bisher schwerste Niederlage erlitten – auch wenn die ukrainische Propaganda das Gegenteil behauptet. Auch im Donbass kommt Russland voran. In der Region Luhansk werden inzwischen nur noch die durch einen Fluss getrennten Städte Sewerodonezk und Lyssytschansk von der Ukraine kontrolliert. Russland besetzt inzwischen über 20% des ukrainischen Territoriums (größer als die Fläche Österreichs); am 23. Februar 2022 waren nur 7% des ukrainischen Territoriums unter russischer Kontrolle.

Zudem gibt es nun keinen Zweifel mehr, dass die Ukraine pleite ist und ohne westliche Hilfe nicht überleben kann. Das Land benötigt in etwa 15 Milliarden Euro, um in den nächsten drei Monaten liquide zu bleiben.

Doch nun, angefeuert und ausgerüstet von den USA und der EU, preschten die Hardliner vor und brachten die NATO-Mitgliedschaft wieder ins Gespräch: “Klar ist: Wir wollen schnell in die Nato. Das kann genauso rasch gehen wie im Fall von Schweden oder Finnland. Es bräuchte nur eine rein politische Entscheidung, um die Ukraine zügig ins Bündnis zu integrieren“, sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk.

Kehrtwende von Selenskij

Ob mit der schweren Lage im Donbass verbunden oder wegen des Falls von Marioupol, hat Selenskij zuletzt überraschend erklärt, dass der Konflikt nun doch nur mit Diplomatie gelöst werden könne. Es werde zwar weitere heftige und blutige Kämpfe geben, "aber endgültig enden wird er nur durch Diplomatie", so Selenskij. "Es gibt Dinge, die wir nur am Verhandlungstisch erreichen können." Die Ergebnisse der Verhandlungen müssten für die Ukraine aber "gerecht" sein. Allerdings schränkte Selenskij gegenüber dem japanischem TV ein, dass vor Verhandlungen mit Moskau die russischen Truppen hinter die Linie vom 24. Februar zurückgedrängt werden müssten.

Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats Dmitri Medwedew kommentierte den italienischen Vorschlag einer Friedenslösung des Ukraine-Konflikts wie folgt: "Die Donbassrepubliken haben ihr eigenes Schicksal endgültig entschieden und werden nicht zurückkehren. Dies ist für alle, die sich an das Schicksal der Minsker Abkommen und an die Morde an Zivilisten der Donezker und Lugansker Volksrepubliken erinnern, nicht hinnehmbar." Laut Medwedew sollte ein Friedensplan die "tatsächliche Lage" und nicht ausschließlich die "Interessen der NATO und der westlichen Weltordnung" berücksichtigen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, die "Rahmenbedingungen" einer solchen Vereinbarung würden vom "Stand der Kampfhandlungen" abhängen, die zum Zeitpunkt des "Realwerdens des Abkommens stattgefunden haben werden".

Das bedeutet: Der Krieg, das Morden und das Sterben gehen vorerst weiter.


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