Europa

Euro Fahne Geld29.03.2021: Das Konjunkturprogramm "Next Generation EU", das im Juli vergangenen Jahres wegen der Widerstände der "Fraktion der Geizigen" innerhalb der EU-Mitgliedstaaten nur mühsam auf den Weg gebracht wurde, ist blockiert. Das hat am Freitag (26.3.) das deutsche Bundesverfassungsgericht entschieden.

 

Die Europäische Union, die gerade von der Krise des Impfstoffmangels gebeutelt wird, muss nun einen weiteren, harten Schlag hinnehmen: der 750 Milliarden Corona-Wiederaufbauplan ist durch die Entscheidung des deutschen Bundeverfassungsgerichts in Karlsruhe aufgeschoben. Die Verfassungsrichter haben zwar kein endgültiges Urteil gefällt, sondern nur einen "Hängebeschluss" erlassen. Es soll Zeit gewonnen werden, damit die Richter in Ruhe klären können, ob das Hilfspaket dem Grundgesetz widerspricht.

Ende Juli 2020 hatten sich die Regierungschefs der EU-Staaten nach einem zähen Feilschen auf ein Wiederaufbauprogramm zur Bewältigung der Folgen der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise geeinigt: Neben den 1.074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen 2021 -2027 sollen 750 Milliarden Euro als Konjunkturprogramm die Wirtschaft ankurbeln und Investitionen in "grüne" Technologien fördern.

Geizige Vier

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Für dieses Programm werden erstmals im Namen der EU Schulden aufgenommen, das Geld umverteilt und ab 2028 gemeinsam über 30 Jahre getilgt. Dies wird als ein Schritt zu einer gemeinsamen Finanzpolitik gewertet - für deutsche Konservative und die Neoliberalen eine Horrorvorstellung.

Anfang Februar 2021 hat das Europäische Parlament dem Corona-Aufbaufonds zugestimmt, nachdem es vorher Änderungen verlangt hatte. Damit war die erste Hürde überwunden.

Das Programm trägt den Namen "Next Generation EU". Wichtigster Bestandteil ist der Aufbaufonds - im EU-Jargon "Aufbau- und Resilienzfaszilität", auf Englisch "Recovery and Resilience Facility" oder RRF. Über diesen sollen nun 672,5 Milliarden Euro direkt an die Mitgliedsstaaten verteilt werden, davon 312,5 Milliarden als Zuschüsse und bis zu 360 Milliarden Euro als Darlehen. Der Rest zum Gesamtumfang von 750 Milliarden wird über Programme im EU-Haushalt finanziert.

Die Milliarden sollen Wachstum und Jobs anstoßen, aber gleichzeitig die europäische Wirtschaft moderner und umweltfreundlicher machen. Deshalb sollen mindestens 37 Prozent der Mittel aus dem RRF für Klimaschutz ausgegeben werden und 20 Prozent für Digitalisierung. Die Mittel werden nicht mit der Gießkanne über die EU-Mitgliedsländer verteilt, sondern sollen vor allem den Ländern zugute kommen, die am stärksten von der Covid-Pandemie betroffen sind. Für Italien geht es z.B. um 200 Milliarden an Zuschüssen und Darlehen. Dort ist eine Regierung im Streit um die Verteilung der Mittel zerbrochen (siehe kommunisten.de: "Italien: Regierung der Banker und Konzernmanager")

Die EU-Länder haben grundsätzlich bis zum 30. April 2021 Zeit, ihre nationalen Reform- und Investitionspläne vorzulegen.

Kreditaufnahme erst, wenn alle Mitgliedsländer zugestimmt haben

Die EU-Kommission kann mit der Aufnahme der Kredite und der Auszahlung aber erst beginnen, wenn alle EU-Staaten den Beschluss ratifiziert haben. Bundestag und Bundesrat machten am Donnerstag vergangener Woche (25.3.) den Weg dafür frei, in dem sie dem Corona-Aufbaufonds zustimmten. Aber durch den Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts wird das Verfahren erstmal gestoppt. Eine Begründung für den Beschluss veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht zunächst nicht. Sie soll nachgereicht werden. Eine endgültige Entscheidung des Gerichts wird erst in einigen Wochen erwartet. Mindestens bis dahin wird sich auch das Inkrafttreten des Wiederaufbaufonds verzögern.

Geklagt hat eine Gruppe von Wirtschaftsprofessoren um Bernd Lucke, Mitbegründer der nationalistischen, anti-europäischen Partei AfD. Die Kläger wollen, dass statt der EU die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung Kredite aufnehmen, um die Folgen der Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen. Denn wer die Gelder anderer Staaten ausgeben dürfe, neige zu "Verschwendung, Ineffizienz und Über-Inanspruchnahme". Das führe letztlich zu einer Vergemeinschaftung der Schulden, also einer "Schuldenunion", so die Argumentation.

Bundesverfassungsgericht in nationalistischer Gefahrenzone

Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze kritisiert das deutsche Gericht scharf: "Wie schon im Mai letzten Jahres lässt sich das Gericht durch eine euroskeptische Minderheit in Deutschland instrumentalisieren. Es begibt sich in europäischen Grundrechtsfragen in eine nationalistische Gefahrenzone." [1]

Die Blockade durch des deutschen Gerichts ist nicht nur ein Schlag gegen EU-Kommission und EU-Parlament, sondern auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich für diesen Kompromiss stark gemacht hatte. In einer Zeit rapiden Vertrauensverlustes in die Bundesregierung wegen des Debakels im Umgang mit der Corona-Pandemie und krimineller Bereicherung von Unions-Abgeordneten wird nun Merkel zum Ende ihrer Amtszeit auch auf europäischer Ebene als "lahme Ente" vorgeführt.

 

Anmerkungen

[1] https://taz.de/Experte-ueber-gestoppte-Coronahilfen/!5758546/


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