Europa

Lufthansa check in duesseldorf cc metropollco22.04.2016: Während die Republik in der vergangenen Woche mit der Frage „Was darf Satire?“ beschäftigt war, wurde fast unbemerkt im EU-Parlament ein neues Überwachungsinstrument beschlossen, das es in sich hat. Die Rede ist von der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Passagierdaten (Passenger Name Record – PNR). Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, bei allen Flügen aus der und in die EU pro Passagier und Flugbuchung bis zu 60 Einzeldaten für jeweils fünf Jahre in zentralisierten Datenbanken zu speichern. Bei innereuropäischen Flügen ist die Speicherung zwar ins Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt, die EU-Innenminister haben aber bereits im Dezember 2015 geschlossen die Teilnahme an dem System verabredet.

Konkret handelt es sich bei den zu speichernden Daten u.a. um Kreditkarteninformationen, Essenswünsche und Angaben über den gesundheitlichen Zustand von Reisenden sowie Daten über Mitreisende. Als besonders belastend können sich zudem Einträge in ein vorgesehenes Freifeld auswirken, in welchem Airline-MitarbeiterInnen ungeprüft eigene Beobachtungen oder Einschätzungen über die Fluggäste vermerken können.

Die erhobenen Daten werden für fünf Jahre auf Vorrat gespeichert. Sechs Monate stehen sie den Ermittlungsbehörden uneingeschränkt zur Verfügung, danach werden sie „depersonalisiert“ und können nur durch einen Richterbeschluss vollständig zugänglich gemacht werden. Die „depersonaliserten“ Daten können jedoch in dieser Zeit weiterhin für das Generieren neuer „Verdächtiger“ durch Profiling-Vorgänge genutzt werden.

Die Daten werden bei jeder Flugbuchung erhoben und gespeichert, ohne dass es dafür eines besonderen Anlasses oder des Verdachts eines Fehlverhaltens bedarf. Schlichtweg alle Reisenden werden stets wie potenzielle Straftäter und Terroristen behandelt.

„Anlasslose Rasterfahndung"

Dieses Vorgehen des anlasslosen Speicherns persönlicher Daten erinnert nicht zufällig an die Vorratsdatenspeicherung. Deren europäische Richtlinie hatte der Europäische Gerichtshof im Jahr 2014 eigentlich gekippt. Was mit dieser Richtlinie nun aber umgesetzt werden solle, sei nicht bloß eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung sondern eine "anlasslose Rasterfahndung", so Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter der Grünen. Die Daten sollen nämlich dazu genutzt werden, Muster zu entdecken und werden mit anderen Datenbanken abgeglichen. Und das praktisch ab dem Moment, ab dem ein Bürger einen Flug bucht.

Cornelia Ernst, innenpolitische Sprecherin von DIE LINKE im Europaparlament: "Welche Garantien gibt es, dass wir in einem Jahr nicht hier stehen und über eine Zuggastdatenspeicherung sprechen? Eine überstürzte, von der Mehrheit der Großparteien durchgedrückte Vorratsdatenspeicherung des Reiseverkehrs birgt unabsehbare Risiken für die Grundrechte der Einzelnen: Die Speicherung von Fluggastdaten ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre und wird vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen müssen, genauso wie auch sein großer Bruder, die EU-USA-Fluggastdatenspeicherung.

Darüber hinaus fehlt bislang jedweder Beleg, dass eine Fluggastdatenspeicherung auch nur irgendeinen Effekt auf eine erfolgreiche Terrorismusprävention nimmt. Im Gegenteil zeigt das schnelle Durchwinken der Richtlinie im Windschatten der Terroranschläge von Paris und Brüssel den hilflosen Aktionismus der Abgeordneten: Alle Terroristen waren den Sicherheitsbehörden bereits bekannt.“

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club schreibt in der FAZ vom 18.4.16: „Damit wird die langjährige Aufrüstungsspirale der Überwachung fortgesetzt, die einseitig eine vermeintliche Sicherheit auf Kosten der Freiheit der EU-Bürger vorzieht.“ Und sie macht zu Recht darauf aufmerksam, dass mit dem eu-weit beständig vorangetriebenen Ausbau der Überwachungsinstrumente gleichzeitig von der Verquickung grenzübergreifender staatlicher Stellen in terroristische Strukturen abgelenkt werden soll und diese wohlweislich ausgeblendet bleiben. „Wenn die linke Hand des Staates gar nicht weiß, dass die rechte Hand über Zuträger und Geldflüsse über die Logistik der Attentäter bestens informiert und sogar darin involviert sind, bleibt eine effektive Terrorprävention eine Illusion. Polizeiliche und geheimdienstliche Spitzel, die mittelbar Anschlagsvorbereitungen unterstützen, sind nichts Neues.“

Wie geht es nach dem EU-Parlamentsbeschluss weiter?

Nach der Zustimmung des Parlaments muss nun noch der Europäische Rat (d.h. die Staats- und Regierungschefs der 28 EU Mitgliedstaaten) die Richtlinie absegnen, was in Kürze geschehen dürfte. Die EU-Staaten haben anschließend zwei Jahre Zeit, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen. In der Praxis jedoch probt die EU bereits jetzt den Tausch von Fluggastdaten in sog. „Pilotprojekten“; eines davon wird vom Bundeskriminalamt geleitet.

Die Gegner der Speicherung hoffen nun noch auf ein laufendes Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Dort geht es derzeit um ein Abkommen zum Austausch von Fluggastdaten mit Kanada. Sollte der EuGH dieses Abkommen für unrechtmäßig erklären, könnte das Signalwirkung haben.

Text: gst         Foto: Metropolico.org