Europa

Gemeinsame Erklärung der Bürgermeister von Barcelona, Lampedusa und Lesbos

SpyrosGalinos-AdaColau-GiusepinnaNicolini AYUNTAMIENTO DE BARCELONA18.03.2016: Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona, Giuseppina Nicoli, Bürgermeisterin von Lampedusa und Spyros Galinos, Bürgermeister von Lesbos wenden sich in einem gemeinsamen Aufruf an den EU-Türkei-Gipfel. Sie protestieren gegen den "verabscheuungswürdigen Deal mit der Türkei" und schreiben: "Während Regierungen außer Stande sind, über ihren nationalen Rahmen hinaus zu denken, werden die Stadträte von Barcelona und Athen zusammenarbeiten, um die Regierungen unter Druck zu setzen, damit diese ihren moralischen und gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen." Diese Allianz ermöglicht die Kooperation zwischen Städten, die sich nicht mit einem "entmenschlichten Europa" abfinden, sagte Ada Colau.

"Wir können nicht mehr auf die Regierungen warten"

Ada Colau erklärte während der Pressekonferenz, dass jetzt die BürgerInnen das tun, "was die europäischen Staaten machen müssten. Wir können nicht mehr auf die Regierungen warten, wir müssen uns jetzt als Städte aktiv werden". Für Barcelona, der "Stadt der Flüchtenden" gelte es jetzt, die "Menschenrechte zu schützen". Diese Allianz ermögliche die Kooperation zwischen Städten, die sich nicht mit einem "entmenschlichten Europa" abfinden, sagte das Stadtoberhaupt von Barcelona. Deshalb sei auch beabsichtigt, viele andere europäische Städte mit einzubeziehen.

Colau kündigte an, dass Barcelona mit vier anderen Städten - Madrid, Athen, Amsterdam und Helsinki – ausgewählt worden ist, eine Arbeitsgruppe über Strategien zur Integration von Flüchtlingen und Migranten zu bilden. Barcelona werde dabei auch die Stimme von Städten wie Lesbos und Lampedusa in der EU zur Gehör bringen. Barcelona habe jetzt 200.000 Euro zusätzlich für die Unterstützung der Transitzonen bereitgestellt.

Die Vereinbarung zwischen Barcelona. Lampedusa und Lesbos sei der Beginn einer Zusammenarbeit, "um die Stimmen einiger Städte zu erheben, angesichts der Gefahr, das Mittelmeer in einen riesigen Friedhof zu verwandeln". Das Mittelmeer müsse ein "gemeinsamer Raum der Kultur, Kunst, Wissenschaft und Begegnung sein", erklärte die Bürgermeisterin der Hauptstadt Kataloniens.  Deshalb werden auch andere Städte zur Mitarbeit eingeladen. Sie kündigte ein Treffen mit dem Bürgermeister von Athen an, um mit ihm zu besprechen, wie zwischen den Städten der Mechanismus der Umsiedelung von Flüchtlingen organisiert werden kann.

Das Mittelmeer zu einem Treffpunkt fliehender Menschen machen

Giuseppina Nicoli, Bürgermeisterin von Lampedusa, bekräftigte ebenfalls, dass das Mittelmeer "kein Friedhof, sondern gemeinsamer Raum" sein müsse, "wo es nicht Grenzen, sondern Treffpunkte für fliehende Menschen gibt". Es gelte, "Kräfte zu vereinen und den Grundstein einer Allianz mediterraner Städte zu legen". "Mit vielen Städten werden wir eine neue Vision des Mittelmeerraumes aufbauen – verschieden von den von der EU verbreiteten Vorstellungen", sagte die Bürgermeisterin der süditalienischen Hafenstadt.

Das Problem sind die Bomben

Auch Spyros Galinos, Bürgermeister von Lesbos, betonte, dass aus dem "Mittelmeer ein Ort der Solidarität und Humanität" gemacht werden muss. Er appellierte an die europäischen Regierungen, "die Mafia, die mit der Not der Flüchtlinge handeln" zu bremsen und der anwachsenden Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten.
Galinos verwies darauf, dass er einen Aufruf an die Inselbevölkerung gemacht habe, damit die Menschen "keine Syndrome von Fremdenfeindlichkeit" bekommen. Mit Erfolg. Mit der Ankunft der Flüchtenden habe weder die Insel ihre Schönheit noch ihre Bürger ihren inneren Reichtum verloren, betonte er und forderte die Verantwortlichen auf: "Die Politiker sollten das Problem sehen, das man lösen muss. Das Problem sind die Bomben, die den Menschen auf die Köpfe fallen".


 

Beschämen Sie uns nicht, Europäer zu sein!

Gemeinsame Erklärung der Bürgermeister von Barcelona, Lampedusa und Lesbos zur Flüchtlingskrise und zur Haltung der Europäischen Union

Vor 2.500 Jahren waren die Inseln des Östlichen Mittelmeeres die Wiege der Wissenschaft, der Künste und Demokratie. Heute steht dort das Überleben Europas auf dem Spiel. Wir stehen einer harten Entscheidung gegenüber: Entweder übernehmen wir unsere universale Verantwortung und stärken die Kernprinzipien des europäischen Projektes, oder wir erlauben, es unrettbar zu zerstören.

Es gibt Gründe für die Hoffnung. Während der zurückliegenden Monate haben wir Tausende von Bürgern, Freiwilligen und Helfern gesehen, die Leben retten, indem sie denjenigen helfen, die vor dem Krieg fliehen. Wir haben Gemeinden, die eigentlich kein Vermögen und keine Macht haben, gesehen, wie sie in einer Herkulesarbeit die Flüchtenden aufnehmen und dabei Ressourcen einsetzen, die von den Regierungen verweigert werden.

Jedoch haben wir auch mit Trauer das Versagen der europäischen Regierungen gesehen, eine anständige Lösung der humanitären Krise zu finden, wie auch bei der Schließung der Transitwege; von der verstärkten Kontrolle und Repression an Grenzübergängen bis zum verabscheuungswürdigen Deal mit der Türkei, mit dem alle internationalen Abkommen über Asyl und Grundrechte verletzt werden.

Der Mangel an Gefühl, den die europäischen Regierungen zeigen, steht im Gegensatz zu den lokalen Initiativen. Während Regierungen über Quoten schachern, führen wir in den Städten Planungen durch, wie wir mit den gegebenen Mitteln mehr Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen schaffen können.

Wo sich die Regierungen nur über repressive Maßnahmen einigen können, vernetzen wir uns in den Städten und Gemeinden, um Abmachungen - wie die zwischen Lesbos, Lampedusa und Barcelona - zu schaffen, die den Austausch von know-how, Ressourcen und Solidarität erlauben. Während Regierungen außer Stande sind, über ihren nationalen Rahmen hinaus zu denken, werden die Stadträte von Barcelona und Athen zusammenarbeiten, um die Regierungen unter Druck zu setzen, damit diese ihren moralischen und gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen.

Wir mediterranen Städte appellieren dringend an andere europäische Städte, die unmenschliche Politik der Regierungen zu stoppen und sie zu zwingen, ihren Kurs angesichts der größten humanitären Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu ändern. Die Familien, die ihre Häuser verloren haben, werden in ihrer Suche nach einem Platz an dem sie in Frieden leben können nicht anhalten, egal wie viele Hindernisse ihnen in den Weg gelegt werden. Jedes neue Hindernis bringt nur zusätzliche Gefahren für ihr Leben und einen weiteren Anreiz für die Netze, die vom Menschenhandel profitieren.

Wir fordern, dass die Abmachung mit der Türkei, die gegen das internationale Recht und die grundlegenden Menschenrechte verstößt, nicht ratifiziert wird. Menschliche Leben können nicht in Devisen für wirtschaftliche und Handelsgeschäfte umgewandelt werden. Das Recht auf das Asyl ist ein grundlegendes Menschenrecht, das kein Gegenstand von Geschacher und Discount-Angeboten sein darf. Ebenso fordern wir ein Ende der Kriminalisierung von Flüchtlingen und der Helfer und Freiwilligen, die beim Empfang von Flüchtenden zusammenarbeiten. Ihre Arbeit sollte eine Sache sein, auf die man stolz ist und die von den Institutionen unterstützt und gefördert wird.

Die Ereignisse dieser Tage an der Grenze der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedoniens, die fremdenfeindlichen Demonstrationen in verschiedenen europäischen Ländern und ihr nachfolgender Gebrauch in Wahlkämpfen, sind eine Schmach, für den wir uns als europäische Bürger und als Menschen schämen sollten.

In Anbetracht all dessen, lasst uns gemeinsam handeln, um die Europäische Union zu zwingen, eine gemeinsame Asylpolitik zu entwickeln, die Enge des Blickwinkels des Mitgliedstaates zu überwinden und in Übereinstimmung mit den Städten zu handeln, die ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufnahme von Flüchtlingen demonstriert haben, und diese mit Mitteln auszustatten. Zu diesem Zweck sollten die Staaten ihre Verantwortungen annehmen und Abmachungen über die Aufnahme und die Umsiedelung von Flüchtlingen umsetzen. Für die Flüchtenden die unterwegs sind, müssen sichere Fluchtwege garantiert werden, so dass sie sich bewegen können, ohne ihr Leben oder ihre Sicherheit in Gefahr zu bringen.

Tausende von Menschen, viele von ihnen Kinder oder Alte, treiben auf den Straßen Europas. Sie haben Namen, Vorgeschichten und Lebensgeschichten. Sie benötigen Hilfe, Unterstützung und Schutz - eine Aufforderung an uns, um zu handeln.

Die Gründungswerte Europas stehen auf dem Spiel, und die Entscheidungen die jetzt getroffen werden, werden die Zukunft der Europäischen Union gestalten. Wir fordern deshalb die Regierungen auf, keine Entscheidung in unserem Namen zu treffen, die ein Grund zur Scham wäre, sondern dass sie das Netzwerk der Städte in ihrer Aufgabe unterstützen, das Mittelmeer wieder zu einer Brücke der Zivilisation, Demokratie und Hoffnung zu machen.

15. März 2016
Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona (Katalonien/Spanien); Giuseppina Nicoli, Bürgermeister von Lampedusa (Italien); Spyros Galinos, Bürgermeister von Lesbos (Griechenland)

 

eigene Übersetzung
foto: AYUNTAMIENTO DE BARCELONA


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