Europa

ttip multisGeneraldirektion Handel der EU förderte aktiv die Mitwirkung von Unternehmerlobbys bei Erarbeitung der EU Positionen für die TTIP-Verhandlungen

20.07.2015: Wer hat die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) am meisten beeinflusst? Mit wem hat die Generaldirektion Handel der Brüsseler EU-Kommission, die bei den Verhandlungen federführend ist, am häufigsten geredet und sich beraten lassen?

Es kann eigentlich kaum jemanden verwundern: Von 597 nicht-öffentlichen Treffen, die Vertreter der Generaldirektion Handel der „Europäischen Kommission“ in der Zeit von Januar 2012 bis Februar 2014 mit Außenstehenden hinter verschlossenen Türen abhielten, waren 528 oder 88 Prozent Treffen mit Firmenvertretern (also fast jeden Tag eines). Mit Gewerkschaften oder Vertreter von Verbraucherorganisationen gab es im gleichen Zeitraum nur 53 Treffen oder 9 Prozent (etwas jede zweite Woche eines).

Diese Angaben sind das Ergebnis von Studien des in Brüssel ansässigen Forschungsteams „Corporate Europe Observatory“ (CEO), eines regierungs- und EU-unabhängigen Non-Profit-Unternehmens von 16 Wissenschaftlern aus verschiedenen EU Ländern, die sich die Überwachung und öffentliche Bekanntmachung der Lobby-Aktivitäten in der EU zur Aufgabe gemacht haben. Seine Tätigkeit wird von Sponsoren aus verschiedenen Vereinigungen und Gruppen der sozialen Bewegungen in den EU-Staaten finanziert. Die Studie stützt sich auf eine von der EU-Kommission zusammengestellte Liste der 597 untersuchten Zusammenkünfte der Generaldirektion Handel mit Lobbyisten, die von der EU-Kommission aufgrund von Forderungen von verschiedenen europäischen Nichtregierungsorganisationen unter Berufung auf das EU Informationsrecht freigegeben wurde.

Insgesamt hatte die Generaldirektion Handel der Brüsseler Kommission in den genannten zwei Jahren Zusammenkünfte mit 288 Lobby-Gruppen, davon 250 aus der Privatwirtschaft. Bei weitem die meisten Zusammenkünfte fanden mit „Business Europe“, dem Zusammenschluss der europäischen Unternehmerverbände, mit dem „Transatlantic Business Council“, einer Lobby-Vereinigung von mehr als 70 europäischen und US-amerikanischen Multis, mit ACEA, der Lobby der EU-Automobilindustrie (BMW, Ford, Renault u.a.), mit CEFIC, dem Europäischen Verband der Chemie-Industrie (BASF, Bayer, Dow usw.), dem „European Service Forum“, einer Lobby von verschiedenen Dienstleistungskonzernen (Deutsche Bank, Telefonica, City London), EFPIA, der Vereinigung der europäischen Pharma-Industrie (u.a. GlaxoSmithKline, Pfitzer, Novartis, Sanofi, Roche) sowie „FoodDrinkEurope“, der größten Lobbygruppe der Nahrungsmittelindustrie (Nestle, Coca Cola, Unilever) und der „US Chamber of Commerce“ (US-Handelskammer, Apple, Blackberry, IBM, Microsoft u.a.) statt.

„Es ist offenkundig, dass die Generaldirektion Handel die Einbeziehung von Konzern-Lobbyisten aktiv förderte, während die nervigen Gewerkschafter und andere Gruppen zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen in Schach gehalten wurden“, heißt es in dem Bericht der Forscher. Zum Beispiel habe die EU-Generaldirektion im Herbst 2012 die Pestizid-Lobbygruppe ECPA richtiggehend gedrängt, an den damaligen „Konsultationen“ über TTIP teilzunehmen.

In einer E-Mail der EU-Behörde an die ECPA hieß es, da „die europäische Pflanzenschutz/Pestizide-Industrie eine der Schlüsselbranchen ist“, würde ihr Beitrag „hoch willkommen sein“ und ein „substanzieller Beitrag von Ihrer Seite, idealerweise gesponsert von Ihrem US-Partner, würde von entscheidender Bedeutung sein, um die Möglichkeiten engerer Zusammenarbeit und vergrößerter Komptabilität zu identifizieren“. Wenige Wochen später antwortete der Firmenverbund zusammen mit seinem US-Partner mit der Forderung nach einer „Harmonisierung“ (Angleichung) der Vorschriften über Pestizid-Rückständen in Nahrungsmitteln. „Gewerkschafter, Umweltaktivisten und Verbraucherschützer bekamen keine solchen speziellen Einladungen“, stellen die Forscher fest.

In dem Bericht werden weitere Beispiele der Einflussnahme der Konzernlobbygruppen auf die TTIP-Verhandlungen genannt. So habe FoodDrinkEurope sich gegen eine verbraucherfreundliche Warenkennzeichnung engagiert. Die Chemie-Lobby bekämpfte eine EU Initiative für das Verbot von endokrin wirksamen chemischen Substanzen (Hormone). „Business Europe“ machte sich gegen die EU-Gesetzesvorhaben für die Sicherung von Geschlechtergleichheit in Firmenleitungen, für die Ausweitung des Mutterschaftsurlaubs, für die Verringerung der Luftverschmutzung sowie für eine Finanztransaktionssteuer stark.

Die enge Einbindung von Unternehmenslobbyisten in die Erarbeitung der EU Position für die TTIP-Verhandlungen „ist ein Ergebnis des privilegierten Zugangs, der diesen von der Generaldirektion Handel gewährt wurde“, heißt es in dem Bericht. Und diese Praxis habe sich trotz der entgegengesetzten Behauptungen in den PR-Aktivitäten der neuen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström seit ihrem Amtsantritt im November 2014 nicht substanziell geändert. In den ersten sechs Monaten seitdem hatten sie, ihr Büro und der Generaldirektor Handel 100 Zusammenkünfte mit Lobbyisten aus der Privatwirtschaft und nur 22 Treffen mit Vertretern von Gruppen zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen. Auf ein Treffen mit Gewerkschaftern, Umweltorganisationen usw. kamen fünf mit Konzernen und deren Lobbygruppen.

txt: G. Polikeit