Europa

marseille_front_de_gauche_140412_Sylvain_Lefeuvre18.04.2012: Wenn sich in der letzten Woche vor dem ersten Wahlgang zur französischen Präsidentenwahl am kommenden Sonntag (22. April) nicht noch ein plötzlicher Stimmungsumschwung ergibt, ist das Ergebnis absehbar: Der bisherigen Staatschef Sarkozy kann zwar vielleicht aus dem 1. Wahlgang noch als der Kandidat mit den meisten Stimmen hervorgehen, aber im 2. Wahlgang wird er die Präsidentschaft verlieren. Von den sieben führenden französischen Meinungsforschungsinstituten sahen in den letzten veröffentlichten Umfragen vor der Wahl nur drei Sarkozy mit 28 - 29 Prozent vorn, vier stuften ihn auf dem 2. Platz nach seinem sozialdemokratischen Herausforderer Hollande ein. Für den zweiten Wahlgang, der für den 6. Mai angesetzt ist, prognostizieren alle sieben Institute einen klaren Sieg von Hollande mit 53 - 56 Prozent, während Sarkozy nur auf 43 - 47 Prozent kommt.

In den letzten Wochen hatte Sarkozy mit vielen öffentlichen Auftritten etwas aufholen können. Seine Wahlkampfstrategie zielte hauptsächlich darauf ab, sich in der Krise als der „Retter der Nation“ vor einem wirtschaftlichen Niedergang und in der Welt anerkannter einflussreicher Staatsmann zu präsentieren. De facto hatte er allerdings, in viele kosmetisch geschönte Begriffe verpackt, nichts als die Ankündigung eines weiteren rigiden Sparkurses und neuer Belastungen für die große Mehrheit der Bevölkerung zu bieten. Zugleich versuchte er mit ultrarechten Parolen zu Themen wie „Terrorismus“, „innere Sicherheit“ und „Immigration“ Bürgerängste auszubeuten und rechtsextremistische Wähler auf sich zu orientieren. Dem entsprach die systematische Herabsetzung seines „sozialistischen“ Gegenkandidaten Hollande als „unerfahren“ in Regierungsarbeit und das Spielen auf dem altbekannten Klavier, dass „Machtübernahme der Sozialisten“ in Frankreich eine wirtschaftliche Katastrophe wäre. Richtig durchschlagend scheint diese Wahlkampfführung allerdings nicht gewirkt zu haben.

Der „sozialistische“ Gegenkandidat Hollande war allerdings tatsächlich während des ganzen Wahlkampfs ziemlich farblos geblieben. Dass ihn dennoch viele wählen wollen, beruht in erster Linie auf der Abneigung gegen eine weitere Präsidentschaft Sarkozys. Ein authentisch „linkes“ Profil wollte der Sozialdemokrat Hollande sich nicht zulegen und sich eher als „Präsident der Mitte“ darstellen. So blieben nur einige wenige „Fanfarentöne“, mit denen er sich dem linken Lager als Kandidat empfahl. Dazu gehörte die Ankündigung einer „Reichensteuer“ für Vermögen über eine Million Euro und die Erklärung, sich für eine „Neuverhandlung“ des von Merkel-Sarkozy durchgesetzten EU-Fiskalpakts einsetzen zu wollen. Ein dynamischer Aufwärtstrend in der Wählerstimmung konnte mit diesem „zurückhaltenden“ und eher bürgerlich-liberalen Auftreten nicht erzeugt werden.

Das eigentliche Ereignis dieses Wahlkampfs war – im deutlichen Kontrast zu Hollande – der unwahrscheinliche Aufstieg des Kandidaten der „Linksfront“, Jean-Luc Mélenchon. Von Umfragewerten bei 6 Prozent noch im November stieg die Zustimmung mittlerweile je nach Institut bis auf 14, 16 und 17 %. Die von Kommunisten, Linkssozialisten und anderen Linken gebildete Sammlungsbewegung ist erheblich über die ursprüngliche Breite des Bündnisses hinausgewachsen. Darin widerspiegelt sich einerseits die tiefe Unzufriedenheit vieler Menschen mit den Ergebnissen der Sarkozy- Herrschaft und die im Wahlkampf gewachsene Hoffnung, diesem Regime ein Ende machen zu können. Zugleich zeigt sich darin, was eine kämpferische Wahlkampfführung an Dynamik zu erzeugen vermag – und wie sehr viele Franzosen sich nicht mehr mit der „halblinken“ Politik der „Sozialisten“ zufrieden geben, sondern eine „Linke links von den Sozialisten“ stärken wollen, um nicht nur einen Personenwechsel zu erreichen, sondern dem Verlangen nach einem echten politischen Kurswechsel Gewicht zu verleihen. Es gelang der Linksfront unter Mélenchon offensichtlich, nicht nur frühere linke Wähler wieder zu motivieren, sondern auch bei traditionellen Nichtwählern und sogar bei manchen in der „Sozialistischen Partei“, die mit Hollandes weichgespültem Wahlkampf unzufrieden waren, Zustimmung zu gewinnen. Zugleich hat die offensive Kampfansage Mélenchons gegen die Rechtsextremistin Le Pen offenbar dazu geführt, dass sich selbst ein Teil der Arbeiterwähler, die von früheren Linksregierungen enttäuscht in das rechtsextremistische Lager der „Front National“ abgewandert waren, jetzt wieder der Linksfront zuwandten. Die Linksfront hatte unbestritten die bestbesuchten Wahlversammlungen vor Ort und die größten Wahlkundgebungen aller Parteien, die höchsten Zuschauerzahlen bei Fernsehauftritten ihres Kandidaten und die meisten Zugriffe auf ihre sehr wirkungsvolle und populäre Wahlkampagne im Internet.

Der jüngste Höhepunkt war am vergangenen Samstag in Marseille eine Großkundgebung mit 120 000 Teilnehmern am „Strand des Prado“, auf der neben Mélenchon der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei, Pierre Laurent, und die linke Feministin Clementine Autain von der „Föderation für eine soziale und ökologische Alternative“ (FASE) sprachen. Schon am 18. März hatten sich mehr als 100 000 Teilnehmer zu einer Demonstration und Kundgebung der Linksfront in Paris zusammengefunden, die ebenso wie die Riesenkundgebung in Marseille traditionsgerecht mit dem Gesang der Internationale und der Marseillaise beendet worden war.

Am Sonntag wird sich zeigen, ob die auch in den bürgerlichen Medien wahrgenommene Dynamik der Linksfront auch ausgereicht hat, nicht nur den Liberalen Bayrou, sondern auch die Rechtsextremistin Marine Le Pen vom dritten Platz hinter Hollande und Sarkozy zu verdrängen. In den Umfragen lag Le Pen zuletzt wieder um 1 - 2 % vor Mélenchon, die letzte allerdings verkündete einen „Gleichstand“ von je 16 Prozent.

Text: Pierre Poulain    Foto: Front de Gauche (Sylvain Lefeuvre)