Europa

euro_davide-dodo-oliva05.03.2012:  Dies sei kein Krisengipfel gewesen, sondern ein "eher unspektakulärer" EU Gipfel, der die Rückkehr zur Normalität anzeige. So lautete die von den EU-Oberen ausgegebene, von dem Medien fast einmütig übernommene Sprachregelung zum jüngsten EU Gipfeltreff am 1. und 2. März in Brüssel. Es solle nicht mehr über die Krise, sondern über Wachstum geredet werden, hieß die Parole von EU-Ratspräsident van Rompuy und EU-Kommissionschef Barroso.

In Wirklichkeit wurde nur eine zeitweilige und voraussichtlich kurzzeitige Krisenpause genutzt, um die seit Monaten beratene Vorhaben zur 'Stabilisierung' des Euro und zur verschärften Überwachung, Kontrolle und Steuerung der EU Staaten durch zentrale EU- und Euro-Gremien endlich formell unter Dach und Fach zu bringen.

Der 'ruhige Verlauf' der jüngsten EU Ratstagung wurde durch zwei Umstände ermöglicht. Zum einen gab es diesmal keinen akuten neuen Beratungsbedarf in Sachen Griechenland. Den Griechen war schon in den Wochen zuvor ein weiteres rigoroses Spar- und Privatisierungsdiktat aufs Auge gedrückt worden, das die Parlamentsmehrheit von Konservativen und Sozialdemokraten trotz der großen Massenproteste auch brav abgenickt hat. Jetzt konnte man nur darauf warten, ob die Verhandlungen mit den einzelnen privaten Gläubigerbanken und Hedgefonds über den im Prinzip vereinbarten Schuldenschnitt tatsächlich das vorgesehene Ergebnis bringen werden. Das stellt sich aber erst in den nächsten Tagen heraus. Deshalb gab es unmittelbar Anfang März hier keinen neuen Handlungsbedarf.

Zugleich hatte die Europäische Zentralbank (EZB) einen Weg gefunden, um 'Schuldenstaaten' wie Italien und Spanien mit neuem Geld zu versorgen, obwohl die EZB nach ihrem Gründungsstatut einzelne Staaten nicht direkt finanzieren darf. Der Umweg bestand darin, dass die EZB mehrere hundert private Banken der Euro-Zone mit riesigen Geldmengen versorgte, die sie mit dreijähriger Laufzeit für den sensationell niedrigen Zinssatz von nur 1 Prozent erhielten, insgesamt seit Dezember 2011 mehr als 1 Billion €. Mit diesem Geld konnten die Banken die als risikobeladen geltenden italienischen und spanischen Staatsanleihen aufkaufen. So wurde erreicht, dass die Zinssätze für diese neuen Staatsschulden von über sieben auf als 'tragbar' geltende fünf Prozent absanken. Bei einem Beschaffungszins von 1 Prozent und einem Ausleihzins von rd. 5 Prozent für die Banken ein nettes Geschäft.

Fiskalpakt unterzeichnet

Die vorübergehende Aufhellung des Krisenszenariums hinderte die EU Chefs aber nicht, die Instrumente zur Durchsetzung von weiteren Maßnahmen zum Abbau der Haushaltsdefizite und Staatsschulden in der gesamten EU weiter auszubauen. Kommissionschef Barroso verkündete zwar: „Wir müssen jetzt umstellen von Krise auf Wachstum“. Das Abschlussprotokoll des jüngsten Gipfels bot dazu zwar die sprachschöpferische Leistung, dass es um eine „wachstumsfördernden Haushaltskonsolidierung“ gehen müsse. Doch das klingt eher nach der Quadratur des Kreises. Woher soll Wachstum kommen, wenn alle EU Staaten dazu gedrängt werden, ihre Staatsausgaben weiter einzuschränken und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst weiter abzubauen?

Der wichtigste – aber nicht der einzige - Schritt zum weiteren Anziehen der Daumenschrauben in der EU gegenüber den Mitgliedsstaaten war die Unterzeichnung des im Dezember vereinbarten „Fiskalpaktes“, mit offiziellem Titel „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ genannt. Weil ihn Großbritannien und Tschechien nicht mitunterzeichnet haben, ist es juristisch kein „EU-Vertrag“, sondern ein gesondertes internationales Abkommen der 25 Unterzeichnerstaaten außerhalb der EU. Deshalb konnten EU Ratspräsident van Rompuy und EU-Kommissionschef Barroso diesen Vertrag auch nicht mitunterzeichnen. Er muss nun in allen Unterzeichnerstaaten noch ratifiziert werden, bevor er endgültig in Kraft treten kann. Dies soll bereits am 1. Januar .2013 der Fall sein, wenn ihn 12 Euro-Staaten bis dahin ratifiziert haben. Die irische Regierung hat mitgeteilt, dass sie diesen Vertrag einer Volksabstimmung unterwerfen will, was zweifeln lässt, ob sich Irland letztlich anschließen wird. In anderen Staaten, vor allem in Frankreich, wird gleichfalls die Forderung nach einem Referendum über diesen Vertrag erhoben, vor allem von der Linksfront im Rahmen des derzeitigen Präsidentenwahlkampfs.

Der Hauptinhalt dieses neuen Vertrags lässt sich in folgende Punkte zusammenfassen:

  • Alle beteiligten Staaten verpflichten sich, in ihren Verfassungen bzw. mit ähnlicher rechtlicher Verbindlichkeit eine „Schuldenbremse“ nach deutschem Vorbild einzuführen. Der Europäische Gerichtshof bekommt das Recht, die Umsetzung dieser Vorschrift in nationales Recht zu kontrollieren und bei nicht ausreichender Umsetzung Strafzahlungen zu verhängen.
  • Mit der „Schuldenbremse“ verpflichten sich die beteiligten Staaten, nach einer begrenzten Übergangsperiode künftig nur noch „ausgeglichene Haushalte“ oder Haushaltspläne mit einem Überschuss vorzulegen. Es ist lediglich eine Abweichung von 0,5 Prozent des BIP zulässig. (Im bisherigen EU Stabilitätspakt war ein zulässiges Defizit von 3 Prozent vorgesehen, das jedoch von den meisten EU Staaten nicht eingehalten wurde).
  • Wenn ein Staat die Vorschrift vom ausgeglichenen Haushalt nicht einhält, tritt ein automatischer Korrekturmechanismus in Kraft, der die Regierungen und Parlamente zu Korrekturen am Haushalt zwingt. Der betreffende Staat muss ein „Haushalts- und Wirtschaftspartnerprogramm“ mit „detaillierter Beschreibung der Strukturreformen“ vorlegen, die zu einer „wirksamen und dauerhaften Korrektur“ des Defizits führen sollen. Inhalt und Form dieser Programme werden „dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission im Rahmen der bestehenden Überwachungsverfahren zur Genehmigung vorgelegt“, und ihre Durchführung wird von diesen Instanzen auch überwacht.

Spaltung der EU durch Verselbständigung der Euro-Zone

In einem gesonderten Kapitel des „Fiskalpakts“ wird außerdem die Abhaltung gesonderter „Euro-Gipfel-Tagungen der 17 EU Staaten, die den Euro als Währung haben, und damit eine gewisse Verselbständigung der Euro-Zone gegenüber den restlichen EU-Staaten vorgesehen. Die separaten Euro-Gipfel sollen mindestens zweimal im Jahr stattfinden und u. a. die „Steuerung des Euro-Währungsgebiets“ sowie „strategische Orientierungen für die Steuerung der Wirtschaftspolitik und größere Konvergenz im Euro-Währungsgebiet“ zu beraten. Die Euro-Gipfel wählen auch einen eigenen Präsidenten. Dementsprechend wurde von der jetzigen Ratstagung der EU Ratsvorsitzende van Rompuy in Personalunion zugleich zum Euro-Präsidenten gewählt. Der bisherige Vorsitzende der Euro-Gruppe, der luxemburgische Regierungschef Junker, verkündete dazu passend, dass er ab Mitte des Jahres nicht mehr als „Eurogruppen-Chef zur Verfügung stehe.

„Europäische Semester“ – Empfehlungen zu weiterem Sozialabbau

Neben der Unterzeichnung des Fiskalpakts beschloss der jüngste EU Gipfel noch weitere Maßnahmen zur „wirtschaftspolitischen Steuerung“ der EU-Staaten. Dazu gehört die Einleitung einer neuen Runde des „Europäischen Semesters“, des „Euro-Plus-Pakts“ und der „Six-Pack“-Direktiven. Damit werden die EU-Staaten verpflichtet, bis April ihre Haushaltsplanungen und „Reformvorhaben zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ bei der EU Kommission vorzulegen. Diese wird diese nationalen Planungen einer Kontrolle und Bewertung unterziehen und danach „länderspezifische Empfehlungen“ zu diesen Planungen erlassen, zu deren Einhaltung die Mitgliedsstaaten verpflichtet sind.

Zu den im Brüsseler Schlussprotokoll erwähnten Maßnahmen zur „Förderung von Wachstum“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ gehört insbesondere die „Senkung der Arbeitskosten“ und die „Erleichterung der Abgabenbelastung“ auf Arbeit, also die Senkung der Lohn- und sogenannten „Lohnnebenkosten“. Außerdem wird darin wörtlich auch die „Überprüfung des Lohnfestsetzungsmechanismus“ in den EU Staaten verlangt. Insbesondere die in manchen EU-Staaten noch geltende Koppelung der Löhne an die Inflationsraten (Indexierung) soll gekippt werden. Zu den „Lohnfestsetzungsmechanismen“ gehört aber auch die gesamte bisherige Art von Tarifvertragsvereinbarungen. In mehreren EU Staaten sind derzeit bereits Bestrebungen im Gang, die Gültigkeit von Tarifvertragen für ganze Branchen und Regionen massiv einzuschränken und die Möglichkeit ihrer „Flexibilisierung“ durch betriebliche „Öffnungsklauseln“ generell zuzulassen. Außerdem wird in dem Gipfeltext erneut auf die Erhöhung des Renteneintrittsalters in allen EU-Staaten gedrängt.

Text: G. Polikeit   Foto: davide-dodo-oliva