Europa

16.02.1012:  Obwohl die politischen Parteien der griechischen Bourgeoisie, Neue Demokratie (ND), Sozialistische Partei (PASOK) und LAOS, Anfang dieser Woche im Bündnis mit EU, EZB und IWF weitere brutale und gegen die große Mehrheit der griechischen Nation gerichtete Sparmaßnahmen verabschiedete, spitzt sich die Krise Griechenlands weiter zu. Und was vor einiger Zeit noch undiskutabel und quasi ein Tabu war, wird zunehmend in den Kreisen des betroffenen Finanzkapitals und seiner politischen Vertreter als möglich behandelt: eine 'argentinische Lösung' für Griechenland.

Ein für den gestrigen Mittwoch geplantes Treffen der Euro-Finanzminister wurde abgesagt. Offenbar hielten es die Teilnehmer für sinnlos, über weitere Hilfen für Griechenland zu beraten, solange die bürgerlichen Parteiführer dort noch nicht alle Forderungen der 'Geldgeber' erfüllt haben. Zwar hatte der Führer der Sozialistischen Partei, Giorgos Papandreou, umgehend ein von der EU gefordertes Dokument mit der Zusage unterschrieben, dass seine Partei die Umsetzung aller verlangten Sparmaßnahmen nach den voraussichtlich im April angesetzten Parlamentswahlen aufrechterhalten werde. Der Führer der Nea Democratia, Antonis Samaras, jedoch hatte diese Unterschrift bis gestern zurück gehalten. Danach verständigten sich die EU-Finanzminister doch noch, allerdings lediglich in einer Telefonkonferenz.

Es wäre wohl falsch, zu glauben, dass es sich bei diesem Zögern von Samaras, bei dem Austritt der sechs Minister der LAOS aus der Regierung Ende letzter Woche und bei der Verweigerung der Zustimmung von 43 Abgeordneten zu dem Spardiktat der Regierung (sie wurden umgehend aus ihren Fraktionen ausgeschlossen) um eine Verteidigung nationaler Interessen Griechenlands im Widerspruch zur EU handle. Zutreffender dürfte sein, dass die bürgerlichen Führer dieser beiden Parteien der griechischen Bourgeoisie den Druck der sich weiter empörenden Volksmassen und eben zunehmend auch der eigenen Klientel spüren und darauf reagieren. Manche bürgerliche Politiker sehen die Gefahr einer 'Unregierbarkeit' Griechenlands angesichts der Zange von immer heftigeren Massenprotesten einerseits und Sparmaßnahmen zugunsten der EU und des internationalen Finanzkapitals.

Am letzten Donnerstag kam es kurzfristig zum zweiten Generalstreik, bei dem Tausende zum Syntagma Platz in Athen strömten und beim Versuch, das Parlament zu stürmen nicht vor harten Auseinandersetzungen mit der Polizei zurückschreckten. Am Wochenende dann erneut ein 48-Stunden Generalstreik mit über 100.000 Protestierenden auf dem Syntagma Platz, wo heftigste Auseinandersetzungen mit der Polizei stattfanden. Mehr als 47 Gebäude wurden in einer Orgie von Plünderungen in Brand gesetzt, bei der Dutzende Menschen verletzt wurden, als Demonstranten ihrer Wut auf die Übergangsregierung und die Zustimmung des Parlaments zu weiteren 3,3 Mrd. EUR Einsparungen durch Kürzungen von Löhnen und Renten und die Entlassung von weiteren Beschäftigten des öffentlichen Dienstes freien Lauf gaben. Beobachter beschrieben das Ergebnis des Einsatzes von Tränengassalven gegen Steinwürfe und Brandbomben der Geknechteten und Empörten als 'wie ein Schlachtfeld'. In einer gestern in der Sendung 'Anne Will' im Ersten TV-Programm ausgestrahlten Befragung zeigten viele Deutsche ihr Verständnis selbst für diese extremen Formen des Protestes.

Ein Führer oppositioneller Kräfte Griechenlands gab der Stimmung in seinem Lande Ausdruck, als er meinte: "Zur Umsetzung dieser [Spar-]Maßnahmen werden sie das Kriegsrecht ausrufen müssen. Das griechische Volk kann keine weiteren Sparprogramme ertragen." Und gegenüber der New York Times meinte die 82-jährige Überlebende des 2. Weltkrieges, Stella Papafagou, dass sie die "apokalyptischen Konsequenzen", die der griechische Ministerpräsident für den Fall einer Ablehnung der Sparvorschläge im Parlament an die Wand gemalt habe, nicht fürchte: "Wir haben mehrere Male für unsere Befreiung gekämpft. Aber diese jetzige Sklaverei ist schlimmer, als alles andere. Es ist heute schlimmer, als in den 1940er Jahren. Ich möchte lieber in Würde sterben, als mit gesenktem Haupt."

Die griechische Regierung versucht zwar weiterhin, die Forderungen der Troika (EU, EZB und IWF) nach volksfeindlichen Sparmaßnahmen anzugehen und durchzusetzen. Aber die Zeit für ihr politisches Manövrieren wird knapp. Denn es müssen am 20. März auch Tilgungen griechischer Staatsschulden in Höhe von 14 Mrd. EURO getätigt werden, die nach derzeitigem Stand nicht möglich sind. Und evtl. Schuldenschnitte müssten dazu bis Ende dieser Woche mit den Gläubigern vereinbart werden.

Gegenwärtig gibt der griechische Staat bereits über 70% seines Budgets für Schuldentilgungen aus. Im letzten Jahr brach die Wirtschaftsleistung des Landes um 6,5% ein, für dieses Jahr wird mit weiteren 4-6 Prozent Rückgang gerechnet. Die Verschuldung Griechenlands würde dann Ende 2012 bei etwa 180% des Bruttosozialprodukts liegen. Angesichts keiner Perspektive für irgendein Wirtschaftswachstum erscheint eine Tilgung solcher Schuldenberge wie eine Fata Morgana. Selbst eine einvernehmliche Schuldenstreichung von 50-70% bringt da nach Ansicht von Experten nichts, es müssten mindestens 85% der Schulden gestrichen werden, wozu die Gläubiger (z.B. vertreten durch das Institute for International Finance) jedoch freiwillig bis jetzt nicht bereit sind. Der einzige Ausweg wäre ein offizieller Staatsbankrott und in Folge dessen - der Austritt aus der EURO-Zone.

"Deutschland, Finnland und die Niederlande verlieren die Geduld", zitierte diesbezüglich die Financial Times vorgestern einen hohen Offiziellen aus der Euro-Zone. Vor allem die Länder mit der makellosen Finanzbewertung AAA glaubten immer weniger daran, dass die griechische Regierung ihre Zusagen einhalten werde. Die mächtigen Staaten Europas hätten zudem zunehmend weniger Angst vor einem Staatsbankrott Griechenlands, schreibt das Blatt weiter. Sie glaubten, dass die 'Brandschutzmauern' im Fall einer griechischen Pleite die Ausbreitung der Vertrauenskrise verhindern könnten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte vor zwei Tagen gesagt, sollte die Hilfe scheitern, wäre Europa besser vorbereitet als vor zwei Jahren. (SZ vom 15.2.)

Schon vorher hatten andere führende Politiker der EU über die Möglichkeit eines Staatsbankrotts Griechenlands und den Ausschluss des Landes zumindest aus der EURO-Zone 'laut nachgedacht'. Am letzten Freitag forderte z.B. Franz Fehrenbach, Vorstandsvorsitzender der Bosch AG, im Manager Magazin den Ausschluss Griechenlands aus der EURO-Zone und sogar aus der EU.

Poul Thomson, Leiter der IWF-Delegation in Athen, gab kürzlich zu, dass "die Anstrengungen" des IWF "zur finanziellen Konsolidierung Griechenlands nicht wirken" und dass "soziale Geduld und politische Unterstützung ihre Grenzen" hätten - um ungerührt weiter die Umsetzung der gleichen 'unwirksamen' Maßnahmen gegenüber Griechenland anzutreiben.

Am Donnerstag vor einer Woche verursachte die niederländische EU-Kommissarin Neelie Kroes einen Aufruhr, als sie meinte: "Wenn wir jemanden aus der EURO-Zone verlieren, bedeutet das absolut keine 'Mann über Bord'-Situation. Man behauptet immer, dass so etwas das ganze Systemgefüge zusammenbrechen lassen würde. Das ist einfach nicht wahr." Und obwohl EU-Kommissionspräsident Barroso umgehend widersprach, gibt es doch vermehrt andere Stimmen, die der Meinung von Frau Kroes nahestehen. Der niederländische Ministerpräsident Rutte hatte bereits vorher die Möglichkeit eines Austritts Griechenlands aus der EURO-Zone ausgesprochen.

Schon vor einiger Zeit hatte die griechische EU-Kommissarin Maria Damanaki erklärt, dass in Brüssel seitens der EU bereits Pläne für den Fall des Staatsbankrotts Griechenland und des Austritts aus der EURO-Zone vorlägen.

Das würde ganz dem entsprechen, was der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) altklug gestern zu der Absage des Treffens der EURO-Finanzminister in Washington sagte: "Ich wäre gerne vorbereitet für den Fall einer griechischen Pleite." Als deutscher Finanzminister hätte er seine Experten bereits "vor einem halben Jahr" angewiesen, einen 'Plan B' zu erarbeiten. Er macht damit allerdings auch deutlich, dass es der Troika und ihrem politischen Hintergrund nicht darum geht, das griechische Volk zu schützen, sondern nur das eigene System und das internationale Finanzkapital. Letzteres scheint - s.o. die Aussage von Finanzminister Schäuble - auf ein Misslingen der neoliberalen 'Sanierung' des griechischen Staates inzwischen vorbereitet zu sein und damit zu rechnen.

Seit Dezember 2011 erlaubt die EZB Kredite an private Banken zum Zinssatz von sagenhaft niedrigen 1%. Diese Banken können solche Gelder dann an besser bewertete europäische Staaten zu deutlich höheren Zinssätzen weitergeben - ein durchaus netter Profit zu Gunsten der Finanzinstitute. Viele Hedge-Fonds haben inzwischen ihre Kredite an Griechenland mit den berüchtigten Versicherungen für Spekulationsgeschäfte (CDS = Kreditausfall-Versicherungen) gegen einen möglichen Schuldenschnitt abgesichert. Sie würden in einem solchen Falle also kaum etwas verlieren oder sogar noch Gewinne erzielen. Warum also nicht gerade Griechenland in den Staatsbankrott treiben??

Selbst wenn die politische Führung der EU - und Markozy allen voran - noch Anstrengungen unternimmt, um ihre Form des Vereinten Europas zu retten, so bleibt es doch falsch und borniert, gegen die zuvor beschriebenen Widersprüche und Angriffe gegen das griechische Volk darauf zu orientieren, "dass die Strategie, EURO und EU radikal den Rücken zu kehren, die einzig wirkliche Alternative bleibt", wie ein Kommentator einer linken Tageszeitung gestern schrieb. Denn wenn man über Strategie im Interesse der breiten Volksmassen Griechenlands spricht, dann muss es i.w. darum gehen:

  1. Die Reichen Griechenlands müssen zahlen (vor allem die wenigen Tausende, die bereits über 500 Mrd. EUR Geldvermögen ins sichere Ausland - insb. die Schweiz - transferiert haben)
  2. Keinen Cent Griechenlands dem internationalen Finanzkapital zu schenken
  3. Massiv Programme zur deutlichen Erhöhung der Produktivität und Effizienz Griechenland aufzulegen (was u.a. auch ein drastisches Reduzieren der unproduktiven und im Vergleich extrem hohen Militärausgaben beinhalten muss)
  4. die durch und durch verfaulte griechische Bourgeoisie (bei 'Anne Will' gestern als seit langem fest im Sattel sitzende Kleptokratie bezeichnet) zu entmachten.


Wie gerade die letzte Perspektive die politische Führung in der EU ins Herz trifft, machte ebenfalls eine gestrige Anmerkung von Finanzminister Schäuble deutlich. Denn unter dem Eindruck eines derzeit massiven Wählerabfalls von der Sozialistischen Partei PASOK und der von Meinungsumfragen gestützten Aussicht, dass Parlamentswahlen im April eine Mehrheit für die nicht-bürgerliche Opposition (Syriza und KKE) der bisherigen drei Regierungsparteien ergeben könnte, plädierte Schäuble dafür, diese Wahlen zu verlegen - und ggf. erst 2013 abzuhalten. Ein beeindruckendes Beispiel bürgerlichen Demokratieverständnisses über Wahlen.

Das Beispiel Argentiniens vor fast genau 10 Jahren zeigt jedoch, dass auch ein Staatsbankrott Griechenlands (ebenso wie ein evtl. daraus resultierender Austritt aus der EURO-Zone) kein Automatismus für Politik im Interesse der Volksmassen ist. In Argentinien hat die Linke, auch die kommunistische jedenfalls keinen entscheidenden Vorteil daraus ziehen können.

Text: hth  /  Foto: JeromeRoos