Europa

Baltasar_Garzon_2005_www_ukberri_net15.02.2012: Es ist nur ein Symptom. Aber doch bezeichnend für die Rechtsentwicklung, die sich in Spanien – wie in anderen EU-Staaten – im Schatten der Euro-Krise und der EU-Spardiktate vollzieht. Am 9. Februar verhängte der Oberste Gerichtshof in Madrid ein elfjähriges Berufsverbot gegen den Untersuchungsrichter Baltasar Garzón. Dieser war 1998 durch einen Haftbefehl gegen den früheren chilenischen Diktator Pinochet international bekannt geworden, der dessen zeitweilige Festnahme in London erreichte. Die Rachegelüste der seit November 2011 wieder in Spanien regierenden rechten Volkspartei (Partido Popular – PP) und ihrer Verbündeten hat Garzón jedoch offenbar vor allem geweckt, weil er 2008 neue Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter dem Franco- Regime und ein Jahr später ein Verfahren wegen Korruptionsverdacht im Rahmen von Schmiergeld- und Parteispenden- Affären gegen hochrangige Funktionäre der PP eingeleitet hatte.

Garzón ist kein Linker, bestenfalls ein sich als 'unabhängiger Jurist' verstehender bürgerlicher Demokrat. 1993/94 hatte er kurzfristig als Abgeordneter der sozialdemokratischen PSOE im Parlament gesessen, doch bald seinen Rücktritt erklärt, weil die damalige PSOE-Regierung seiner Ansicht nach nicht konsequent genug gegen die Korruption vorging.

Begonnen hatte Garzón seine Karriere Anfang der 90er Jahre mit energischem juristischem Vorgehen gegen den Drogenhandel in Galicien. Danach leitete er als Untersuchungsrichter am Obersten Gerichtshof 1994/95 Ermittlungsverfahren gegen die illegalen „Antiterror-Befreiungsgruppen“ (GAL) ein, die in den 80er Jahren mit heimlicher Duldung des damaligen sozialdemokratischen Innenministers 28 Morde an mutmaßlichen Mitgliedern der baskischen Befreiungsbewegung ETA begangen hatten. Das hinderte ihn jedoch nicht, ab Ende der 90er Jahre auch gegen Mitglieder der ETA wegen „terroristischer Straftaten“ vorzugehen, was 2003 zum Verbot der baskischen Partei Batasuna beitrug.

Allerdings betätigte sich der umtriebige Jurist in den folgenden Jahren dann auch wieder als unerschrockener Vertreter des Rechts, auch gegenüber „großen Fischen“. 2001 beantragte er die Aufhebung der Immunität des italienischen Staatschefs Berlusconi beim Europa-Rat. Im Dezember des gleichen Jahres veranlasste er die Untersuchung der Auslandskonten der zweitgrößten spanischen Bank BBVA wegen Verdachts auf Geldwäsche. 2002 verfolgte er den Bauunternehmer und Ex-Bürgermeister von Marbella Jesus Gil, gleichzeitig Chef des Fußballclubs Atletico Madrid, wegen Korruptionsverdachts. 2003 betätigte er sich öffentlich als Kritiker des Irak-Krieges und des US-Gefangenenlagers Guantanamo. 2009 eröffnete er ein Verfahren wegen der dort praktizierten Folterpraktiken, in das hochrangige Beamte der Bush-Regierung einbezogen wurden.

Mit dem Verfahren wegen der Verbrechen des Franco-Regimes sollte u. a. das Schicksal zehntausender Opfer des spanischen Faschismus geklärt werden, die bis heute als „vermisst“ geführt werden. Dazu hatte Garzón auch die Öffnung von 19 Massengräbern aus der Franco-Zeit an verschiedenen Orten Spaniens sowie des Grabes des von den Faschisten ermordeten Dichters García Lorca angeordnet. Doch Aufklärung der Verbrechen der faschistischen Vergangenheit ist auch heute nicht erwünscht. Der Oberste Gerichtshof verfügte den Stopp aller eingeleiteten Untersuchungen. Eine rechtsextreme Beamtengewerkschaft und die in Spanien nach wie vor unbehelligt legal operierende Franco-Partei „Falange“ erreichten ein Verfahren gegen Garzón wegen „Rechtsbeugung“, weil er das 1977 erlassene „Amnestie-Gesetz“ missachtet habe. Garzón konnte allerdings darauf verweisen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit laut internationalen Menschenrechtsabkommen nicht verjähren.

Deshalb musste schnell ein weiteres Verfahren gegen den Untersuchungsrichter vorgezogen werden, das jetzt zur Begründung des Berufsverbots herhalten musste. In dem Verfahren gegen führende PP-Funktionäre wegen Korruption und Geldwäsche im Rahmen von Parteispenden-Affären soll Garzón unberechtigterweise das Abhören von Gesprächen zwischen Beschuldigten und Anwälten angeordnet haben. Garzóns Erwiderung, dass dies erforderlich war, weil die Anwälte selbst an den illegalen Geldtransaktionen beteiligt waren. wurde nicht anerkannt.

Text: Pierre Poulain (Vorabdruck aus der UZ vom 17.02.2012)  Foto: www_ukberri_net