Europa

22.11.2010: „Wir werden bleiben bis der Job getan ist“, lautet die Botschaft, die NATO-Generalsekretär Rasmussen denen zu verkünden hat, die noch die vage Hoffnung auf einen baldigen Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan hegten.

Ansonsten gab es auf dem NATO-Gipfel am Wochenende in Lissabon jede Menge wolkige Versprechungen. 2011 solle mit dem Abzug der NATO-Truppen begonnen werden, hieß es. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die US-Armee erstmals schwere Kampfpanzer in den Süden und Südwesten Afghanistans verlegt.

2014, so wurde versprochen, soll die afghanische Armee die „Sicherheitsverantwortung“ im Lande selber übernehmen. Gleichzeitig sagen NATO-Militärs ganz offen, dass die eigenen Truppen länger im Land bleiben werden. ISAF-Einheiten, die in einer Provinz „abgezogen“ werden, könnten einfach in andere, umkämpfte Gebiete verlegt werden. Bundeskanzlerin Merkel erklärte: „Es wird auch nach 2014 noch Soldaten in Afghanistan geben.“ Offensichtlich ist damit auch die Bundeswehr gemeint. Wehrminister Guttenberg jedenfalls will von Abzugsplänen überhaupt nichts wissen. Im Februar 2011 soll das Bundeswehrmandat erneut verlängert werden. Außenminister Westerwelle kündigt erst für 2012 den „Beginn“ eines Abzuges an. Ursprünglich sollte in Lissabon demonstrativ zumindest eine afghanische Provinz genannt werden, in der die afghanischen Hilfstruppen 2011 das Kommando übernehmen werden. Stattdessen denken die NATO-Generale sogar über neue Truppenverstärkungen nach, weil sich die militärische Lage weiter zu ihren Ungunsten entwickelt. Besonders im für den Nachschub wichtigen Norden, wo Deutschland das Oberkommando hat. Die Bundeswehr verlegt derzeit weitere fünf Schützenpanzer Marder nach Masar-i-Scharif und bereitet sich auf harte Kämpfe in den kommenden Monaten vor.

Schon vor Monaten hatten US-Militärs und auch „Verteidigungs“minister Guttenberg laut über sogenannte „Nachsorgeoperationen“ in Afghanistan nachgedacht. Darunter verstehen sie eine Fortführung des Krieges mit verdeckten Mitteln: Einsatz von Spezialkommandos, Geheimdienstoperationen, gezielte Tötungen, Drohnen. In Lissabon wurde ein langfristiges „Partnerschaftsabkommen“ zwischen der NATO und Afghanistan angekündigt, das die Intervention für die Zukunft legitimieren soll.

Lissabon war der Gipfel der großen Erklärungen. So wurde erneut die Vision von einer atomwaffenfreien Welt beschworen und gleichzeitig jedem Gedanken an eigene Abrüstungsschritte eine Absage erteilt. Auch die in Europa gelagerten US-Atomwaffen bleiben hier. Die NATO gab ihre Unterstützung der EU-Militarisierung zu Protokoll und will die militärische Kumpanei künftig ausbauen. In Paris und Berlin sieht man das als Signal, um endlich ein eigenes Hauptquartier für EU-Militäreinsätze aufzubauen. Eine entsprechende Initiative soll während der polnischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2011 ergriffen werden.

Mit großem Pomp wurde auf dem Lissabonner Gipfel wieder einmal der Kalte Krieg für endgültig beendet erklärt. Die NATO sprach eine „Einladung“ an Russland aus, an einem sogenannten Raketenabwehrschirm mitzuarbeiten. Der russische Präsident Medwedew machte allerdings klar, dass es ihm vor allem um die Wahrung des atomaren Gleichgewichts geht. „Wenn wir an die Raketenabwehr denken, müssen wir immer unter die Lupe nehmen, wie das europäische Raketenabwehrsystem sich auf unser Atompotential auswirken wird.“ Eine russische Teilnahme ohne Gleichberechtigung komme daher nicht in Frage. „Entweder sind wir ein gleichberechtigter Partner (...) oder wir bleiben außen vor. Wenn wir aber außen vor bleiben, werden wir uns aus verständlichen Gründen verteidigen müssen.“ In der „International Herald Tribune“ hat der NATO-Botschafter der USA, Ivo Daadler, dagegen erklärt, dass der NATO- Raketenschirm „auf andere Länder, darunter auch auf Russland, ausgedehnt werden“ könnte, nachdem „das System das Stadium der vollen operativen Bereitschaft erreicht hat“. Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit sieht anders aus.

Das in Lissabon beschlossene strategische Konzept der NATO fordert, dass die Mitgliedstaaten „die Kapazitäten entwickeln, um zur Energiesicherheit beizutragen, einschließlich dem Schutz kritischer Infrastrukturen und Transitgebiete und -routen.“ Die von Generalsekretär Rasmussen verkündete „NATO 3.0" soll daher “Fett abschneiden und Muskeln aufbauen und sich künftig „auf verlegbare Truppen konzentrieren“.

Dass die NATO nicht nur der globale Friedensfeind Nummer eins ist, sondern auch ein Problem mit der Demokratie hat, zeigt die Art und Weise, wie das neue Strategiekonzept zustande kam. Bis zum Vorabend des Gipfels hatte kein Parlament der Mitgliedstaaten die Möglichkeit gehabt, den Inhalt zu diskutieren.

„Paz sim! NATO não!“ (Frieden ja – Nato nein!)

Schon im Januar hat sich in Vorbereitung auf den NATO Gipfel in Portugal ein Aktionsbündnis aus über 100 Organisationen gebildet, zu dem der „Portugiesischen Rat für Frieden und Zusammenarbeit“ (CPPC), der 700 000 Mitglieder zählende Gewerkschaftsverband CGTP-Intersindical, viele Einzelgewerkschaften, Jugend- und Frauenorganisationen, christliche Vereine und Gruppen ebenso gehören wie die Portugiesische Kommunistische Partei und die Partei der Grünen.

Diese Bewegung hat unter der Losung „Paz sim! NATO não!“ (Frieden ja – Nato nein!) in den vergangenen Monaten eine umfangreiche Palette von Veranstaltungen organisiert, auf denen diese zentralen Themen behandelt wurden:

  • Rückführung aller portugiesischen Truppen aus den NATO-Missionen,
  • Schließung aller Militäreinrichtungen der NATO im Land und Abzug aller NATO-Soldaten
  • Abrüstung und Beseitigung aller Atom- und Massenvernichtungswaffen
  • Auflösung der NATO.

Höhepunkt der Kampagne war die große Anti-NATO-Demonstration am Samstag im Zentrum von Lissabon, bei der 30.000 Menschen ihre Ablehnung des Kriegspakts zum Ausdruck brachten.

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Die internationalen Bewegung "NEIN zur NATO - NEIN zum KRIEG". in dem mehr als 650 Organisationen zusammenarbeiten, hatte als Protest gegen den NATO-Gipfel in Lissabon einen Gegengipfel durchgeführt.

Klarstellung der Kampagne «Paz sim! NATO não!»

Text: Arno Neuber (aus UZ vom 26.11.2010)   Fotos: Paz sim! NATO não!

siehe auch:

IMI-Analyse 2010/040 - Anmerkungen zur neuen NATO-Strategie

Das neue Strategische Konzept der NATO (englische Version) - AG Friedensforschung
 “For the Defence and Security of The Members of the NATO