Europa

alt10.03.2010:  Wie schon im letzten Jahr, so verbot die Stadtverwaltung von Riga auch diesmal Anfang März die öffentlichen Manifestationen der Veteranen der lettischen Waffen-SS am 16. März. An diesem Tag begehen schon seit 1994 die ehemaligen Unterstützer der deutschen Faschisten den sogenannten 'Tag der Legion'. Vor dem Freiheitsdenkmal, dass Mitte der 1930er Jahre in Riga erbaut wurde und übrigens selbst während der Zeit der Zugehörigkeit Lettlands zur Sowjetunion nicht angetastet wurde, finden dabei Fahnenprozessionen statt und es werden Blumen am Denkmal niedergelegt. Zur seelischen Abrundung und Freisprechung gibt es auch stets einen Gottesdienst im Dom von Riga. Ob dieser auch unter das diesjährige Verbot der Stadtverwaltung fallen wird, ist noch offen. Beantragt hatte die Aktionen in diesem Jahr die nationalistische Auffangorganisation der lettischen Waffen-SS 'Daugavas Vanagi'.

Wie auch bei uns der Umgang öffentlicher Stellen mit neofaschistischen Organisationen, so ist er auch in Lettland widersprüchlich, halbherzig, beschwichtigend und weitgehend unehrlich. So wurden von der Stadtverwaltung mit dem Umzug der Altfaschisten auch gleichzeitig zwei geplante Gegendemonstrationen verboten. Und gleich nach dem Stadtratsbeschluss kritisierte ihn die lettische Innenministerin Linda Murniece gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti: „Aus meiner Sicht sollte Rigas Parlament die für den 16. März geplanten Veranstaltungen nicht verbieten. Das war eine politische Entscheidung von Bürgermeister Nil Uschakow. Uns lagen keine Hinweise auf mögliche Provokationen vor.“ Als ob es um diesen Aspekt gehen würde. Aber auch der lettische Staatspräsident Valdis Zatlers hatte schon im März 2008 den faschistischen Kollaborateuren Absolution erteilt, als er bekundete, dass er "sie nicht für Nazis halte". Einen gleichen Persilschein erhielten die lettischen Kollaborateure der deutschen Faschisten schon 1950, als eine Kommission der USA befand, dass die lettische Waffen-SS nicht "als Feind der USA" angesehen werden könne. Ganz im Widerspruch dazu das Urteil in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, in denen die Waffen-SS als kriminelle Organisation eingestuft wurde und auch im Widerspruch dazu, dass die lettische Waffen-SS in den letzten Kriegsjahren gegen die Allianz der Alliierten kämpfte.

Die lettischen Grenadier-Divisionen der Waffen-SS wurden ab August 1942 als Teil des SS Freiwilligen-Korps auf Veranlassung von Heinrich Himmler aufgebaut. Sie wurden von deutschen Offizieren geführt, kämpften im Auftrag der deutschen Faschisten gegen die Rote Armee, gegen antifaschistische Partisanen und beteiligten sich auch an Massenmorden von Juden und Menschen anderer Nationalitäten in ihrem Einsatzgebiet im baltischen Raum. Ihre Kampfeinsatz an der Seite der Wehrmacht war weit entfernt von einem Freiheitskampf für Lettland, wie die SS-Veteranen heute der Öffentlichkeit weiss machen wollen. Nichts lag den deutschen Faschisten ferner, als in Osteuropa selbständige, freie Nationen und Völker zu akzeptieren. Dafür gab es keinen Platz im Konzept der 'Eroberung von Lebensraum' im Osten. Der Tag einer erfolgreichen Schlacht gegen die Rote Armee, der 16. März 1944, wurde dessen ungeachtet nach 1990 von den lettischen Waffen-SS'lern zum Gedenktag erhoben, war sogar von 1998 bis 2000 staatlicher Feiertag, der dann aber unter Druck aus dem Ausland, auch von vielen antifaschistischen Organisationen, aufgehoben wurde.

Schon im letzten Jahr hatte der Stadtrat von Riga ebenfalls eine Genehmigung der Gedenkfeiern der Altfaschisten verweigert. Damals war der russisch-sprachige Uschakow noch nicht Bürgermeister. Dem Stadtrat geht es offenbar auch vor allem um das Erscheinungsbild im Ausland. Zudem haben die Feierlichkeiten der Ehemaligen der Waffen-SS neben der Leugnung der verbrecherischen Seite ihres Einsatzes auch ein starkes antirussisches Element in sich. Und so ist es weiter keine Überraschung, dass Bürgermeister Uschakow am gestrigen Dienstag bekräftigte, was vorher schon seine Sprecherin Anna Kononowa dargelegt hatte. Die Beschlussfassung der Stadtratskommission habe alle Gesichtspunkte berücksichtigt, und er habe nicht die Absicht, eine Revision einzufordern - wie es die Innenministerin gefordert hatte.

Ob das alles ausreicht, die Altfaschisten und extremen Nationalisten aus der Öffentlichkeit Rigas zu verbannen, ist jedoch nicht sicher. Derzeit machen die bürgerlich, nationalistischen Parteien öffentlich Druck auf die Stadtverwaltung Riga, um das Verbot zu kippen. So am Wochenende die Partei 'Neue Zeit' und am gestrigen Dienstag die in der Regierung mit Verteidigungsminister Imants Liegis vertretene Partei 'Zivilunion'. Zudem könnten noch Gerichtsurteile gegen das Auftrittsverbot erwirkt werden. Und dann könnte das Verbot des Stadtrates so wie im letzten Jahr von den ehemaligen Waffen-SS'lern und ihren jüngeren Anhängern einfach ignoriert werden - mit stillschweigender Duldung der lettischen Polizei. Janis Atis Krumins, Leiter der Organisation 'Daugavas Vanagi', bekundete am Montag solche Pläne. Aber erfreulicherweise bereiten sich auf diese Möglichkeit auch antifaschistische Organisationen und Vereinigungen in Lettland vor ...

Die von den Veteranen der Waffen-SS geplanten Feierlichkeiten am 16. März dienen aber nicht nur dazu, von der eigentlichen Rolle bei der Unterstützung der deutschen Faschisten abzulenken und diese zu verschleiern. Sie enthalten auch ein stark antirussisches Element und stützen damit und befördern die extrem nationalistischen, je rassistischen Strömungen im Lande. Lettland hat einen außerordentlich hohen Anteil von Menschen russischer Nationalität - 28 Prozent, bei 2,3 Mio. in Lettland lebenden Menschen. Der Anteil der russisch-sprachigen Menschen in Lettland ist noch höher. Er beträgt 44%. Trotzdem hat Russisch nur den Status einer Fremdsprache, mehr als 350.000 russische Bürger in Lettland haben auch nach 20 Jahren der Unabhängigkeit und des Lebens in dem neuen Staat keinen lettischen Pass - sprich: keine lettische Staatsbürgerschaft - erhalten. Sie gelten als Nichtbürger und werden von Letten (59% der Bevölkerung) im Alltag verächtlich "Neger" genannt. Die Nichtbürger - dazu gehören auch ihre Nachkommen - werden durch ihren Status mit etwa 80 gewichtigen Ungleichheiten benachteiligt. Einer dieser Nachteile ist, dass die Nichtbürger Lettlands kein Wahlrecht haben.

Auf dieser Grundlage der institutionellen Diskriminierung kommt es zu fast pogromartigen Schikanen und Verfolgungen von Russen in Lettland. Auf einer Internetseite haben lettische Nationalisten Anfang Februar eine Auflistung 'unloyaler Autofahrer' mit Autokennzeichen und Personalien veröffentlicht. Dort wurde aufgefordert, die durch Bänder oder Fähnchen als Freunde Russlands Erkannten zu bespucken und mit Steinen zu bewerfen. Offen forderten die Nationalisten auf der Internetseite die Vertreibung der 'unloyalen' Russen. Bis zum 1. März stimmten fast 8.500 Letten im Internet diesem Aufruf zu.

Die Regierungsparteien ebenso wie die offiziellen EU-Stellen schauen diesem Treiben und der gesetzlich gegründete Russenfeindlichkeit weitgehend inaktiv zu. Da ist auch die kürzliche Äußerung des lettischen Justizministers Marek Seglins am 18. Februar in einem Interview mit dem Radiosender Baltcom zumindest vorerst nur ein kleiner Lichtblick: „Hier leben viele Russen. Die meisten von ihnen sind hier geboren. Sie haben das gleiche Heimatland, wie ich, und sie werden hier weiter leben und nicht auswandern. Wir müssen gut nebeneinander leben. Es kommt darauf an, dass sich diese Menschen, welcher Nationalität auch immer, in ihrem Heimatland nicht fremd fühlen."

Text: hth  / Foto: Wikipedia (vor dem Freiheitsdenkmal in Riga)