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Logo Meinungsfreiheit27.10.2022: Klammheimlich hat der Bundestag den Paragraphen 130 (StGB) gegen Volksverhetzung ausgeweitet. Die Leugnung und Verharmlosung von Kriegsverbrechen und Völkermorden ist jetzt als "Volksverhetzung" strafbar ++ Die Neuregelung öffnet der Gesinnungsjustiz Tür und Tor, Strafbarkeit ist vom Gutdünken der Gerichte abhängig.

 

 

Klammheimlich, ohne große Bundestagsdebatte und ohne jede öffentliche Anhörung hat der Bundestag am vergangenen Donnerstag (20.10.) den Paragraphen 130 (StGB) gegen Volksverhetzung ausgeweitet. Einen Tag vorher hatte der Rechtsausschuss des Bundestages die brisante Gesetzesänderung in einem harmlosen Gesetz zum Bundeszentralregister versteckt. So konnte auf eine erste Lesung verzichtet werden. Und schon einen Tag später hat der Bundestag die Änderung abschließend beschlossen – als letzten Tagesordnungspunkt kurz vor 23 Uhr. Dafür stimmten die Abgeordneten der Ampel-Koalition und die von CDU/CSU, dagegen AfD und Linksfraktion.

Bislang durfte man falsche Behauptungen über politische Entscheidungen oder historische Ereignisse verbreiten, ohne dass es die Gerichte interessiert hätte. Eine Ausnahme gab es: das Leugnen des Holocausts. Die Leugnung und Verharmlosung des Holocausts (Paragraf 130 Absatz 3) sowie die Billigung von Straftaten aller Art (Paragraf 140 Strafgesetzbuch) sind strafbar. Bereits jetzt ist nach Paragraf 140 nicht nur das Billigen bereits geschehener Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar, sondern auch das künftiger.

Nun wurde in Paragraf 130 ein neuer Absatz 5 eingefügt, nachdem "das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach deutschem Recht strafbar ist, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören".[1] Darunter können auch Äußerungen fallen, die während einer Versammlung, etwa im Rahmen einer Demonstration, getätigt werden.

Kürzlich verurteilte das Hamburger Amtsgericht einen Mann wegen Billigung von Straftaten zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 50 Euro, weil er im März 2022 mit einem DIN-A4-großen Blatt mit einem aufgemalten »Z« an der Heckscheibe seines Autos umhergefahren ist. Das Gericht wertete das Zeigen des von russischen Truppen in der Ukraine als Erkennungszeichen verwendeten Z-Symbols als Unterstützung von Moskaus Angriffskrieg. Zukünftig könnte er auch wegen Volksverhetzung verurteilt werden – nicht nur zu einer Geld-, sondern auch einer Haftstrafe bis zu drei Jahren. Denn offensichtlich ist, dass das Gesetz auf die Leugnung und Verharmlosung von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine abzielt. Auch wenn der Berichterstatter des Rechtsausschusses, Thorsten Lieb (FDP) versichert, dass es sich nicht um eine "Lex Putin" handele.

Abgesehen von der nicht nachzuvollziehenden Eile und der "Geheimhaltung", mit der die Gesetzesänderung durchgezogen wurde, "drängt sich der Bezug zum Ukraine-Krieg auf, womit allerdings der Bezug zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verdrängt wird", meinte Helmut Pollähne vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) gegenüber der Zeitung junge welt.

Prof. Armin Engländer, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, antwortet in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung auf die Frage, ob man sich strafbar macht, wenn man "beispielsweise russische Kriegsverbrechen in Butscha leugnet": "Wenn die Leugnung oder gröbliche Verharmlosung öffentlich oder in einer Versammlung geschieht, dann kann das künftig tatsächlich bestraft werden. Eine entsprechende Äußerung beim Essen mit Freunden fällt dagegen nicht darunter." [2]

Strafbarkeit vom Gutdünken der Gerichte abhängig

Die Bundesregierung beruft sich bei der Begründung der Gesetzesverschärfung auf einen Rahmenbeschluss der EU "zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" aus dem Jahr 2008. Aus Sicht der EU-Kommission hat Deutschland den Beschluss bisher nicht ausreichend umgesetzt und drohte mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Deswegen habe der Gesetzgeber jetzt handeln müssen, heißt es aus dem Justizministerium.

Doch im Rahmenbeschluss wird die Strafbarkeit daran geknüpft, dass eine Handlung "wahrscheinlich" zu Gewalt und Hass aufstachelt und nicht nur – wie in der jetzt beschlossenen Gesetzesänderung – lediglich dazu "geeignet" ist.

Zudem sieht der Rahmenbeschluss der EU die Möglichkeit vor, dass der jeweilige Mitgliedstaat die Strafbarkeit wegen des öffentlichen Billigens, Leugnens oder Verharmlosens der genannten Verbrechen davon abhängig macht, dass nationale oder internationale Gerichte die Verbrechen bereits endgültig festgestellt haben.

"Ich hätte die Strafbarkeit daran geknüpft, dass nationale oder internationale Gerichte die Verbrechen bereits endgültig festgestellt haben müssen", sagt der Rechtswissenschaftler Armin Engländer.

"Über politische Wahrheit dürfen nicht Amtsgerichte entscheiden"

In der vom Bundestag beschlossenen Fassung haben es nun die Strafverfolgungsbehörden in der Hand, gegen Personen oder Versammlungen vorzugehen, die aus ihrer Sicht Kriegsverbrechen leugnen oder gröblich verharmlosen würden. Einschränkend heißt es zwar, die Äußerung müsse "geeignet" sein, den öffentlichen Frieden zu stören und zu Hass oder Gewalt aufzustacheln. Letztlich entscheiden bei so unbestimmten Begriffen aber die Staatsanwaltschaften, welche Äußerungen verfolgt werden.

Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass die Strafverfolgungsbehörden aktiv werden, wenn jemand die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam, Irak, Afghanistan, …, die Kriegsverbrechen des NATO-Partners Türkei im kurdisch besiedelten Teil der Türkei, in Syrien und im Irak, oder den Völkermord an den Armenier:innen "leugnet oder gröblich verharmlost".

Dass dieser große Ermessensspielraum für die Strafverfolgungsbehörden von diesen zur Verfolgung politischer Opponent:innen genutzt wird, zeigte sich in den zahlreichen Verfahren wegen des Zeigens der Fahnen der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ. Erst nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen konnte der Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaften gestoppt werden.

Mit dem neuen Paragrafen eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Unterdrückung unliebsamer Meinungen und oppositioneller Bestrebungen. Die Neufassung der Volksverhetzung in § 130 bedroht die kritische Auseinandersetzung, kritisiert denn auch Elisa Hoven, Strafrechtsprofessorin an der Uni Leipzig. Über die politische Wahrheit dürften nicht Amtsgerichte entscheiden.

Afrin Demo Bln YPG YPJ Ohrfeige für Bundesinnenministerium und Freistaat Bayern.
Oberstes Landesgericht beendet Verfolgung von YPG/YPJ-Symbolen in Bayern
  
   
Kerem YPJ

 

YPG/YPJ-Verfahren gegen Kerem Schamberger eingestellt

 

Anmerkungen

[1] Deutscher Bundestag, Drucksache 20/4085, 19.10.2022
https://dserver.bundestag.de/btd/20/040/2004085.pdf

[2] Neue Zürcher Zeitung, 26.10.2022: Verschärfter Paragraf gegen Volksverhetzung: «Das Gesetz ist nicht gut gemacht»
https://www.nzz.ch/international/leugnung-von-kriegsverbrechen-deutschland-verschaerft-das-strafrecht-ld.1709118


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