Deutschland

Seehofer 69Abschiebungen12.07.2018: Am Dienstag freute sich Seehofer noch, dass am Tag seines 69. Geburtstages 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben wurden ++ Gestern erhängte sich einer der Abgeschobenen ++ Rücktritt von Seehofer verlangt ++ CSU im Bayerischen Landtag: Retter sind Helfer von Schleppern ++ Claudia Stamm (MdL, mut) kritisiert den "herzlosen und inhumanen Antrag" (Rede im Wortlaut)

Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte am Dienstag sichtlich erfreut verkündet, dass am 4. Juli - dem Tag seines 69. Geburtstages - 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben worden sind.

»Der Bundesinnenminister redet gut eine Stunde, bis er die umstrittene Bemerkung macht. "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag", sagt Seehofer und setzt ein Grinsen auf, "sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden." Der Satz ist wohl als Witz gemeint. Im Saal aber, so zeigen es Fernsehaufnahmen, lacht niemand«, schrieb die Süddeutsche Zeitung.

Seehofer hatte an diesem Dienstagmorgen ins Bundesinnenministerium geladen, um seinen umstrittenen "Masterplan Migration" (Anlage) vorzustellen. Einer der Punkte heißt "Ausreisepflichtige müssen unser Land zeitnah verlassen." Darauf bezog sich Seehofer und meinte zu den 69 Abschiebungen: "Das liegt weit über dem, was bisher üblich war."

Bis gestern wurde ihm diese Bemerkung »nur« als Geschmacklosigkeit ausgelegt.

Inzwischen wurde jedoch bekannt, dass sich einer der 69 Abgeschobenen, der 23-jährige Jamal Naser Mahmodi, in Kabul erhängt hat. Er wurde nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Spinsar-Hotel gefunden. Dort gewährt die IOM rückkehrenden Flüchtlingen, die nicht wissen wohin, für einige Tage Unterkunft.

Nach dem Selbstmord des jungen Afghanen, der vor seiner Abschiebung acht Jahre lang in Deutschland gelebt hatte, werden Forderungen nach einem Rücktritt von Bundesinnenminister Horst Seehofer laut.

Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert twitterte, Seehofer sei ein "erbärmlicher Zyniker und dem Amt charakterlich nicht gewachsen". Sein Rücktritt sei überfällig.

"Allein in diesem Jahr hat Europa über 1.400 schiffbrüchige Migranten im Mittelmeer ertrinken lassen, obwohl die Mitgliedsstaaten die Mittel und die Möglichkeiten gehabt hätten, einen großen Teil von ihnen zu retten. Und das Sterben wird weitergehen: weil die Regierungen Rettungsschiffe an ihren Missionen hindern und weil ein wachsender Teil in der Bevölkerung gegen Seenotrettung ist, um ein Zeichen gegen die libyschen Schleuser zu setzen – und damit Tote hinnimmt."
Kommentar von Vanessa Vu in Zeit Online
   

 

"Ein Innenminister, der sich öffentlich darüber freut, dass Menschen in ein Kriegsland zurückgeschickt werden, hat offensichtlich nicht nur ein eklatantes Defizit an Mitmenschlichkeit, sondern auch an Qualifikation für sein Amt", sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. "Aus meiner Sicht gehört Seehofer entlassen."

Die frühere Bundesministerin und Bundestags-Vizepräsidentin Renate Schmidt (SPD) schrieb in einem Brief an Seehofer, bei ihm sei offenbar "jeder Anflug von Humanität auf der Strecke geblieben". Sie gibt ihm eine Mitschuld am Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer: "Ab sofort sind die bisher 1.400 Toten im Mittelmeer auch ihre Toten", schrieb sie.

Nächstenliebe, Barmherzigkeit,
hört man nur noch von der Linken

Nächstenliebe sei eine Kategorie der Linken geworden, sagt Hans Maier, langjähriger CSU-Minister und Strauß-Gefährte. "Wenn man sich christlich nennt und plötzlich verschwimmt alles Christliche, wo ist denn dann die Glaubwürdigkeit? Begriffe wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit, die hört man ja heute nur noch von der Linken", meint er in einem Interview mit der taz.

CSU: Seenotretter, die Helfer von Schleppern

Heute (12.7.) wurde im bayerischen Landtag ein Antrag der CSU zur Seenotrettung debattiert, in dem engagierte Retter als Helfer von Schleppern diskreditiert werden. Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzender Seehofer hatte vor einigen Tagen die Aufnahme von Flüchtlingen, die vom Rettungsschiff »Lifeline« gerettet wurden, abgelehnt. Zwischen Libyen und Südeuropa dürfe es kein "Shuttle" geben, sagte Seehofer. In einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses sagte er Mitgliedern zufolge darüber hinaus, dass die deutsche Crew der »Lifeline« zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Inzwischen sind alle Schiffe von NGO-Hilfsorganisationen durch Italien und Malta beschlagnahmt, Aufklärungsflugzeugen ist der Start verboten.

Die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, Ko-Vorsitzende von mut, kritisierte den "herzlosen und inhumanen Antrag, der nur Mitleid heuchelt" und "engagierte Retter als Helfer von Schleppern diskreditiert".

Rede von Claudia Stamm (MdL, mut) im Wortlaut:

Claudia Stamm Landtag»Die CSU Fraktion hat einen Antrag eingereicht, in der sie die "andere Seite“ der Seenotrettung beleuchtet und dabei engagierte Retter als Helfer von Schleppern diskreditiert.

Sie reden in Ihrem Antrag davon, Fluchtursachen zu bekämpfen!

Ich erzähle Ihnen von Menschen, in deren Heimat zerbombt wurde – mit Waffen aus dem Westen, in deren Ländern täglich Bomben hochgehen - sie sitzen jetzt in den Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer, zusammen mit den Fischern z.B. aus dem Senegal, deren Fischrechte die Regierungen ihrer Heimatländer an die großen Fangflotten - vor allem aus Europa - verkauft haben.

Übrigens: Was macht der Senegal mit dem Geld aus dem Verkauf der Fangrechte? Er bildet Fischer zu Bauern aus, damit sie dann lernen, dass sie mit den billigen Importen einer fehl-geleiteten deutschen und auch bayerischen Landwirtschaft nicht mithalten können.

Diese Missstände sind seit langem bekannt.

Und trotzdem wagt es Herr Seehofer in seinen Masterplan zu schreiben, man wolle Hilfe vor Ort leisten durch eine Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit.
Herr Seehofer schreibt von Fördern und Fordern.

Ich übersetze Ihnen das einmal – was das bisher heißt: Ihr gebt uns billig euren Fisch und dafür bekommt ihr unsren Hähnchen-Fleisch-Abfall.

Wenn sie was tun wollen, dann bauen Sie doch eine Fangflotte im Senegal für die Senegalesen auf. Genau das aber tun wir nicht.

Und ich verrate Ihnen auch warum:

Wir fördern nicht, wir haben Afrika und Teile Asiens- und Latein- und Südamerikas einfach nur als billige Rohstoff-Lieferanten in unser Wirtschaftssystem integriert.

Die Folge davon ist Flucht und Migration.

Sie warnen im Namen der Humanität davor,
dass Menschen auf hoher See gerettet werden!

Und dann kommen Sie, meine Damen und Herren von der CSU und warnen im Namen der Humanität Seenotretter davor, sich zum Werkzeug von Schleppern zu machen.

Das muss man sich schon noch mal klar und deutlich vor Augen führen: Sie warnen im Namen der Humanität davor, dass Menschen auf hoher See gerettet werden!

Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft bezeichnet sich als die größte Wasserrettungsorganisation der Welt. Leitsatz: „Wir haben uns der Verhinderung von Ertrinkungsfällen verpflichtet und tragen verantwortlich dazu bei, die Sicherheit der Menschen im, am und auf dem Wasser zu gewährleisten.“

Erster Grundsatz des Roten Kreuzes ist es Leben und Gesundheit zu schützen und der Würde der Menschen Achtung zu verschaffen.

Sehr geehrte Kolleginnen in der CSU – viele von Ihnen haben einen Posten genau in diesen Organisationen.Sie alle wissen was Humanität bedeutet, Sie haben sich dazu verpflichtet und dann verstecken Sie sich hier hinter diesem herzlosen und inhumanen Antrag, der nur Mitleid heuchelt, wenn er bedauert, dass Menschen sich – ich zitiere – „auf das Mittelmeer hinauswagen, was sie leider nicht selten mit ihrem Leben bezahlen müssen.“

Das müssen Sie nicht, schicken Sie die DLRG, die Wasserwacht, meinetwegen auch die bayerische Grenzpolizei, dann tut sie wenigstens etwas Sinnvolles.
Wenn Sie dem „gelebten Ehrenamt“ Respekt zollen wollen, dann muss dieser zuvorderst den Menschen gelten, die auf dem Mittelmeer andere Menschen retten.

So einfach ist das!«

Quelle: https://www.facebook.com/ClaudiaStammbewegt/posts/1467618963344897


mehr zum Thema