Aus Bewegungen und Parteien

Dessau Demo Oury Jalloh 070114 hf 107.01.2014: Vor neun Jahren, am 7. Januar 2005, verbrannte Oury Jalloh aus Sierra Leone innerhalb 25 Minuten bei lebendigem Leib in einer Dessauer Polizeizelle. Der von Polizisten willkürlich seiner Freiheit Beraubte war an Händen und Füßen an Wand und Matratze fixiert. Am 7. Januar 2014 protestierten deshalb über 600 in Dessau lebende schwarzafrikanische Flüchtlinge gemeinsam mit Vertretern des Berliner Refugeecamps vom Oranienplatz und der Hamburger „Lampedusa“- Flüchtlinge, mit AntirassistInnen, AntifaschistInnen und mit Men-schenrechtsaktivistInnen gegen den institutionalisierten Rassismus innerhalb der Bundesrepublik und der EU.

Ein im Auftrag der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. neu erstelltes Brandgutachten legt nahe, dass sein Feuertod bewusst herbeigeführt und offenbar noch mit Benzin beschleunigt wurde. Darüber berichten Medien in der Bundesrepublik, den USA und in Großbritannien. Die offizielle, von Anfang an verbreitete „Selbstentzündungs“hypothese durch das Opfer wird zur behördlichen Deckung der Tat „in einem Gewahrsam“ selbst bis heute aufrechterhalten. Der Generalbundesanwalt hat schon zweimal rechtsfehlerhafte Gerichtsverfahren in Sachsen-Anhalt beanstandet. Allerdings wird der zurückverweisende Bundesgerichtshof beim Anstrengen eines neuerlichen Revisionsverfahrens im selben Bundesland wohl nicht dazu aufrufen, den tatsächlichen Tathergang anhand bisher vernachlässigter Mord-Indizien aufzuklären. Eine Anzeige der Oury Jalloh Initiative gegen unbekannte Polizeibeamte, die sich in diesem Fall des Totschlags oder Mordes schuldig gemacht hätten, lässt Generalbundesanwalt Harald Range seit rund sieben Wochen unbeantwortet. Auch er hinterfragt die äußerst zweifelhafte „Sebstentzündungs“hypothese nicht im Ansatz.

Dessau Demo Oury Jalloh 070114 hf 2Anders als bei der Dessauer Demonstration im Jahr 2012 zum Gedenken an Oury Jalloh, als Polizisten wegen des rechtlich zulässigen Slogans „Oury Jalloh – das war Mord!“ brutal gegen Demoteilnehmer vorgingen und Aktivisten wie Moucta Bah schwer verletzten und mit Strafanzeigen überzogen, nahmen die Behörden diesmal bei den Zwischenkundgebungen auch demonstrative „Schämt Euch!“-Sprechchöre hin. Zu sprichwörtlichem Fingerzeigen wurden sie vor der Staatsanwaltschaft der Stadt sowie vor dem Amtsgericht Dessau-Roßlau skandiert (s. Foto). Auch bei der Ankunft des Zuges vor dem Polizeirevier in der Wolfgangstraße, in dem der Mord unter Aufsicht geschah, gab es diesmal keine Zwischenfälle. Kurz zuvor hatten das Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus und das Netzwerk für Gelebte Demokratie an dieser Stelle ein „Stilles Gedenken“ abgehalten. Unter den 40 Demonstranten war auch der parteilose Bürgermeister der Stadt, nachdem die Polizei immerhin einem Dutzend Neonazis den Zugang verwehren musste.

Auch in München und in Köln war an diesem Tag zu Solidaritätskundgebungen im Gedenken neun Jahre nach Oury Jallohs Ermordung aufgerufen worden. In Konstanz wies eine antirassistische Initiative darauf hin, dass sich „staatlicher Rassismus” nicht auf die neuen Bundesländer beschränke, sondern tagtäglich Praxis in eigentlich jeder „Ausländerbehörde” sei. Sie wies insbesondere auf die diskriminierende Gutscheinpraxis für Asylbewerber hin, wie sie im Landkreis Konstanz immer noch stattfindet.

Text/Fotos: Hilmar Franz