Aus Bewegungen und Parteien

31.05.2011: Unser Autor Fred Schmid schreibt über Hintergründe und Motive der Jugendbewegung. Seit dem 15. Mai ziehen jugendliche Demonstranten durch Spaniens Großstädte und besetzen zentrale Plätze. 'Indignados' nennen sie sich, die Empörten. Sie protestieren gegen Jugendarbeitslosigkeit und gegen Perspektivlosigkeit, gegen soziale Einschnitte und gegen jene, die ihnen all das eingebrockt haben: Banker, Rating-Agenturen, Politiker. Am 27. Mai versuchte die Polizei die Plaza de Catalunya in Barcelona unter Einsatz brutaler Gewalt (siehe Video und Fotos) zu räumen. Sie ging mit Schlagstöcken und mit Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor, die seit 14 Tagen auf dem Platz campiert hatten.

Aber die Bevölkerung von Barcelona solidarisierte sich mit der Protestbewegung, Tausende strömten zur Unterstützung auf den Platz. Daraufhin musste sich die Polizei zurück ziehen. Und Stunden später waren Tausende der 'Indignados' zurückgekehrt. In der Nacht auf Montag beschloss das oberste basisdemokratische Entscheidungsorgan in Madrid, die Vollversammlung, dass die Besetzung des Platzes Puerta del Sol bis auf Weiteres fortgesetzt wird.

Der Protest der Empörten ist inzwischen auch auf der Place de la Bastille in Paris angekommen. Ebenfalls in Griechenland: Am Wochenende versammelten sich Zehntausende Jugendlicher in Athen und in 60 anderen Städten Griechenlands auf 'Plätzen der Empörung'. Nachdem die bisherigen Proteste von Parteien und Gewerkschaften organisiert wurden, sind die nach spanischem Vorbild durchgeführten Aktionen für Griechenland etwas Neues. Diese Jugendaufstände markieren ein neues Kapitel im europäischen Kampf gegen die Wirtschaftskrise.

Fred Schmid über Hintergründe und Motive der Jugendbewegung:

"Generation Empörung"
"Yes, we camp" auf der Madrider Puerta del Sol und anderen zentralen Plätzen in 50 spanischen Städten ist vorerst beendet. Die 'Bewegung 15. Mai' mit dem Manifest 'Democrazia Real Ya' aber geht weiter. Sie hat die Herrschaftsclique alarmiert, nicht nur in Spanien. Die Gazetten des Kapitals reagierten irritiert. "Alarm für Europa" überschrieb die Financial Times Deutschland ihren Kommentar und stellt fest: "Das eigentlich Erstaunliche an den spanischen Massenprotesten ist, dass sie so spät kommen. 45 Prozent der Jugendlichen und 20 Prozent der Gesamtbevölkerung sind arbeitslos - da ist es kein Wunder, wenn das Volk unzufrieden ist und aufbegehrt."  Die FAZ wartet mit der Schlagzeile auf: "Belagerung der politischen Klasse" und schreibt weiter: "Seit fast einer Woche machen junge Spanier es den jungen Arabern nach. Zwar geht es bei ihrem Protest von der Basis nicht um Leben und Tod oder Freiheit und Diktatur, aber doch um ein paar andere vergleichbare Dinge: Arbeit, Wohnung, Lebenschancen, soziale Gerechtigkeit, Spekulation und Korruption. Die Sit-ins verwirren nicht nur die Soziologen, sondern vor allem die 'politische Klasse'." Und das Handelsblatt titelt 'Generation Empörung' und befürchtet: "Die Proteste spanischer Jugendlicher könnten der Vorbote ähnlicher Proteste in anderen Ländern sein. Ein Drittel der jungen Generation hat keine Chance auf einen Job". Die "Frage ist nicht, warum Spaniens junge Generation jetzt protestiert, sondern warum erst jetzt".

Die Jugendarbeitslosigkeit (15 bis 24 Jahre) hat sich in Spanien in den Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise mehr als verdoppelt. Sie stieg von 19 % Ende 2007 auf 44,6 % im März 2011. Das Problem ist, dass auch die Gesamtarbeitslosigkeit mit dem Platzen der Immobilienblase und dem Zusammenbruch der Baubranche von 8,6 % Ende 2007 auf 20,6 % 2011 gestiegen ist. Viele Eltern, die früher ihre arbeitslosen Kinder alimentiert haben - 54 % der Jüngeren erhalten Geld von den Eltern, um durchzukommen - stehen selbst nicht mehr in Lohn und Brot. Hinzu kommen Spardiktat und Anpassungsprogramme von EU-Kommission und IWF. Den Regionalregierungen, die in der Vergangenheit viele staatliche Jobs geschaffen haben, fehlt heute das Geld. Staatliche Sozialprogramme wurden auf Druck der Finanzmärkte und ihrer politischen Vollstrecker gestutzt.

Die junge Generation in der EU ist die Hauptverliererin der Finanz- und Wirtschaftskrise. "Generation null" - null Chance. Im EU-Durchschnitt ist die Jugendarbeitslosigkeit um 43 % nach oben geschnellt, von 14,5 % (Ende 2007) auf 20,9 % (Dezember 2010). Jeder fünfte Jugendliche ist arbeitslos, EU-weit 5,2 Millionen junge Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch wie die Gesamt-Arbeitslosenrate.

Besonders stark ist die Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern, die durch das Krisenkarussell an die Peripherie geschleudert wurden, den so genannten PIIGS-Staaten. In Griechenland war Ende 2010 mehr als jeder dritte Jugendliche arbeitslos: 36,1 % (+ 64 %), in Italien waren es 28,4 (+ 33 %), in Portugal 21,6 (+ 36 %), in Irland hat sie sich mehr als verdreifacht von 9,5 % auf 31,3 %. Und das alles binnen drei Jahren. Deshalb auch die Angst der Herrschenden vor einer Ausbreitung der Protestwelle entlang des "Krisenbogens von Irland, über Belgien, Frankreich und Italien bis nach Griechenland" (Handelsblatt).

"Spanish Revolution" - "Finanzmärkte nicht mehr die größte Gefahr"
Zu ersten Reaktionen auf der iberischen Halbinsel kam es in Portugal, wo sich die Jugendlichen im März in der Bewegung "Geracao à rasca" (Generation in Not) bemerkbar machte. In Spanien demonstrierte die "Juventud Sin Futuro" (Jugend ohne Zukunft) gegen die unsozialen Zustände, aber auch gegen Korruption und eine politische Klasse, von der nichts mehr zu erwarten war. Zur gleichen Zeit veröffentlichten eine Reihe namhafter Intellektueller das Manifest "Reagiere - Zehn Gründe warum du etwas im Angesicht der Krise tun sollst". Das Vorwort schrieb der frühere französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel, der im vergangenen Oktober seinen französischen Landsleuten in einer Schrift, die zum Bestseller wurde, zugerufen hatte: "Empört euch!".

Die spanischen Jugendlichen nahmen den Appell auf: 'Indignados', die Empörten, nennen sich Zehntausende Jugendliche, die durch Spaniens Städte demonstrierten. Als die Plattform 'Democracia Real Ya' (Wirkliche Demokratie Jetzt) für den 15. Mai Demonstrationen in mehr als 50 Städten anmeldete und dann Zehntausende demonstrierten, wurden sie endlich wahrgenommen.

Unter dem Slogan "Yes, we camp" besetzten sie den bekannteste Platz Spaniens, die Puerta del Sol und Plätze in anderen Städten. Zu den Parolen gehörten: "Das ist keine Krise. Das ist ein Überfall" oder: "Ihr lasst uns nicht träumen, wir lassen euch nicht schlafen". Als die Proteste sich zunehmend gegen die Finanzmärkte richteten, schreckte das die richtig Mächtigen auf: "Wir sind keine Ware in den Händen der Politiker und Bankiers." Und: "Auf die globalen Märkte reagieren wir mit globalem Zorn."

"Die Proteste sind Zeichen einer gefährlichen Entwicklung", sorgte sich die Financial Times Deutschland: "Wenn die spanischen Systemzweifel auf andere Länder übergreifen, dann sind die Finanzmärkte nicht mehr die größte Gefahr für die Euro-Zone."

 

 

 

txt: Fred Schmid
foto: María-Salgado

Bilder aus Barcelona von Stefan Natke

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