Aus Bewegungen und Parteien

09.02.2011: Am kommenden Sonntag, den 13. Februar, sind mindestens 650 000 wahlberechtigte Berliner dazu aufgerufen, im eigenständig herbeigeführten Volksentscheid zur vollständigen Offenlegung von Geheimverträgen den gültigen Schlusspunkt zu setzen: "Wir wollen unser Wasser zurück!". Anträge zur Briefabstimmung können noch bis 11. Februar an die Wahlämter gestellt werden, auch elektronisch. Die Abstimmungsbeteiligung kann nicht dem Selbstlauf überlassen werden. Deshalb sind ungezählte Privatisierungsgegner im Netzwerk des Trägers "Berliner Wassertisch" noch einmal voll aktiv - für Straßen- Plakatierungen und Einblendungen ins elektronische "Berliner Fenster" auf den U-Bahn-Linien, beim Stecken von Anwohnerinfos und bei Verteilaktionen in Fußgängerzonen.

In ausgewählten Kinos mehren sich Diskussionsveranstaltungen anhand professioneller Filme wie "Wasser unterm Hammer" und "Water Makes Money" von Leslie Franke und Hermann Lorenz. Das sind tatsachenkritische Durchleuchtungen des Systems privater Aneignung von zentralen gesellschaftlichen Ressourcen und seiner sozialen Folgen. ImWeb tragen zusätzlich Videoclips den speziellen Aufklärungsbedarf über das Berliner Modell in die Breite. Sehr konkret widmen sie sich auf den Websites des attac- Ablegers "Gemeingut in Bürgerinnenhand" mehr als 100 offenen Fragen (http://www.wollt-ihr-wissen.de/, http://blog.gemeingut.org/). Die bisherigen Dokumenten-Veröffentlichungen zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, die der SPD-/Partei "Die Linke"-Senat im Einverständnis mit den privaten Vertragspartnern RWE und Veolia veranlasste, bedürfen Einordnungshilfen im breiteren öffentlichen Verständnis. Der Katalog "Wollt ihr wissen?" soll den Blick schärfen - etwa für Konsequenzen aus einem (möglichen) Börsengang der Holding, oder zur berechtigten Frage, ob die 1999 vollzogene Teilprivatisierung der Wasserbetriebe gegen offizielles EU-Recht verstößt.

Die DKP hat sich im Berliner Wahljahr 2011 eigenständig eingereiht, um die Bürger im Gespräch oder schriftlich für Hintergrundinformationen und grundsätzliche Einsichten zu interessieren: Da der Kampf gegen Privatisierung im Kern keine juristische Frage, sondern eine politische ist, soll der Volksentscheid zugleich die Abwehrfront gegen die Ausrichtung öffentlichen Eigentums an Profitinteressen stärken. Das Einschalten des Bundeskartellamts zur möglichen Senkung der hohen Wasserpreise durch Wirtschaftssenator Harald Wolf (Partei "Die Linke") wird an der grundsätzlichen Profitabsicherung für die privaten Minderheitseigner nichts ändern. Gesetzt den Fall, die Entscheidung beendete das stillschweigende gemeinschaftliche Schröpfen der Verbraucher - seit 2004 mit dem Senat als Dritten -, können die Privaten auf den vertraglich festgezurrten "Schadensausgleich" für entgangene Gewinne pochen. Was dann wohl mit weiteren Kürzungen aus dem Sozial-, Wohnungs- und Bildungsetat zu "bezahlen" wäre. Deshalb kann es nur heißen: Gemeinsam für das Volksgesetz! Mit ihm wird nichtig, was aus Paragrafen und Nebenabreden des geheimen Vertragswerks nicht rechtzeitig und bedingungslos offengelegt wird.

Berliner Sumpf: Intransparenz und Bestechung

Viel Besucherinteresse erntete am 28. Januar eine kostenfreie Wassertisch-Veranstaltung besonderer Art, im Foyer des traditionsreichen Deutschen Theaters in der Schumannstraße. Durch den buchstäblichen Berliner Sumpf der 90er Jahre wanderten mit dem Historiker Claus Kittsteiner die Vertrauenspersonen der Bürgerinitiative Gerlinde Schermer, vormalige SPD-Abgeordnete, also Zeitzeugin des parlamentarischen Teilprivatisierungsprozesses von 1999, und Rainer Heinrich, Gewerkschafter und Wirtschaftswissenschaftler.

Aus einem Vertragsvorlauf- und -gestaltungskonvolut von schätzungsweise 180 Ordnern liegt bisher ein einziger offen. Auf die einleitende Schätzung folgte ein entstehungsgeschichtlicher Abriss, ein "Who is Who" vielfältig verquickter Akteure aus Treuhand-Verwaltungsrat, Privatkanzleien, Investmentgesellschaften, Stadtkämmereien und neoliberalem Politiker- Filz beispielsweise um den damaligen SPD-Landesvorsitzenden Dittmar Staffelt.

Rainer Heinrich kann genau benennen, auf wen eingangs der neunziger Jahre die SPD- und CDU-Pläne zur Privatisierung kommunaler Betriebe zurückgehen und wer aus Karrieregründen den zeitweise heftigen gewerkschaftlichen Widerstand verriet. In einer ersten Weichenstellung wurden die landeseigenen Wasserbetriebe strukturell in eine möglichst melkbare "Anstalt öffentlichen Rechts" umgewandelt. Versuche, über Firmenaufkäufe und Beteiligungen im In- und Ausland Wellen zu schlagen, endeten meist desaströs. Der zur Vollprivatisierung vorgesehene Betrieb kam zunächst unters Dach der Aktiengesellschaft Berlinwasser International und dann - unterm abwiegelnden "Zugeständnis" einer Teilprivatisierung - in eine privatwirtschaftliche Holding. Schon die Erbmasse wurde nach dem Prinzip verteilt "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren". Dass dieses spezifisch für Berlin entwickelte Modell nach dem Beispiel der korruptionsgeschüttelten Berliner Bankgesellschaft funktionieren sollte, erleichtert hoffentlich die jetzt anstehende Abstimmungsentscheidung.

"Hier fand hinter meinem Rücken als Abgeordnete ein gefährliches Zusammenspiel von Politikern mit einflussreichen Wirtschaftsvertretern statt", so Gerlinde Schermer. "Es besteht der Verdacht, dass bis zum heutigen Tag die Gesetze zur Durchführung des bisher größten PPP-Projekts in Deutschland von den Konzernvertretern diktiert wurden und werden. Das ist ein politischer Skandal!" Die Wasserprivatisierung ist eine andauernde Kriminalgeschichte ersten Ranges. Mit Kapiteln aus seinem faktenreichen Politkrimi "Fremde Wasser" unterstrich das der aus Stuttgart angereiste Autor Wolfgang Schorlau. Filmemacherin Leslie Franke, die zuletzt mit ihrem Team auf den Korruptionsspuren der weltgrößten Wasserkonzerne Veolia und Suez recherchierte, baut auf breite Solidarität, um "Water Makes Money" weiterhin zeigen zu können. Derzeit klagt Veolia Environnement in Paris gegen das Hamburger "Kernfilm"-Team wegen "Verleumdung". Leslie Franke: "Das System der privaten Wasserwirtschaft funktioniert mit buchhalterischen Tricks, mit bewusster Intransparenz und Bestechung. Das haben wir belegt - auch mit Beispielen aus dem Bericht der Pariser Kommission gegen Korruption." Die Konzernstrategie von "Veolia Wasser" Berlin, sich unter Berufung auf den Geheimvertrag auch die Anteile der verkaufswilligen RWE zu sichern, kann nur starker öffentlicher Druck durchkreuzen. Leslie Franke schlägt vor, dafür nach französischem Vorbild ein Audit (öffentliches Gutachten) durchzusetzen. Harald Wolf will nämlich als Aufsichtsratsvorsitzender der Wasserbetriebe nicht ausschließen, dass die geschäftsführende "Veolia Wasser" demnächst 49,8 Prozent der Anteile hält. Als Spitzenkandidat der Partei "Die Linke" für die Berliner Wahlen 2011 hält Wolf den Volksentscheid natürlich für überflüssig. (Vertrauens-)Selig sind die Bekloppten.

Text: Hilmar Franz  (UZ vom 4.Februar)  Plakat: DKP-Berlin

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Berliner Wassertisch

DKP-Berlin/Volksbegehren Wasser