Im Interview

FR Pierre-Laurent PCF03.03.2017: Die Wahlen in Frankreich stellen Weichen für Europa. Das nachfolgende Interview mit Pierre Laurent, Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei PCF, ermöglicht nicht nur einen genaueren Einblick in die Vorstellungen der Führung der französischen KommunistInnen zum aktuellen Stand des Präsidenten- und Parlamentswahlkampfs. Es vermittelt darüber hinaus auch generellere Informationen über die Entwicklung der innenpolitischen Kräftekonstellation in Frankreich und die Schwierigkeiten zur Zusammenführung der französischen Linkskräfte.

Frage: Stellt das an Donnerstag (23. Februar) vereinbarte Abkommen zwischen dem sozialistischen Kandidaten Benoît Hamon und Yannick Jadot (EELV, Grüne) eine erste Etappe der Zusammenführung der Linken dar, zu der Sie seit Ihrer Neujahrsansprache aufrufen?

Pierre Laurent: Eins ist sicher, und ich bin froh darüber, ein neues Klima ist in den letzten Wochen auf der Linken entstanden. Das ist möglich gemacht worden durch den Aufschwung des Willens zur Einheit auf der Grundlage von Programmen des Bruchs mit der von François Hollande betriebenen Politik bei den Wählerinnen und Wählern der Linken.

Das ist erfreulich, weil die Gefahren sehr groß sind. Die Initiative, die die PCF Anfang letzter Woche ergriffen hat mit ihrer Adresse an das französische Volk, in einem Augenblick, da die Zeitungen über die Beerdigung der Vereinigung der Linken titelten, hat eine außerordentlich positive Rolle gespielt. Die Diskussionen müssen sich ausweiten, um von einem Abkommen PS-EELV mit seinen positiven Seiten und seinen Beschränkungen zu einem Pakt für eine Mehrheit der ganzen Linken überzugehen, der es ermöglichen wird, zu regieren.

Manche Punkte dieses Abkommens (zwischen PS und EELV, Anm.) gehen in die richtige Richtung, besonders zur VI. Republik. Andere verdienten es, diskutiert zu werden, so das Entwicklungsmodell in Sachen Energie und Ökonomie. Die Frage der ökologischen Umstellung muss besser im Zusammenhang mit einer neuen Industrialisierung des Landes behandelt werden. Und vor allem sind andere Punkte zu schwach. Ein Mehrheitspakt der Linken muss ein großes Streben nach sozialem Fortschritt deutlich machen, mit zwei Säulen: der einer Absicherung von Beschäftigung und Bildung anstelle des El-Khomri-Gesetzes, und der eines Plans für einen starken Aufschwung der sozialen Sicherheiten in Sachen Gesundheit, Kinderbetreuung und Eigenständigkeit von älteren Menschen. Es muss auch mit viel mehr Kühnheit die Frage der öffentlichen Dienste und des Kampfes gegen die Finanzwelt und die Steuerflucht durch die Reform des Steuersystems. der Besteuerung des Kapitals und der öffentlichen Kontrolle der Banken gestellt werden. Wir haben Vorschläge, damit schneller neue Diskussionen dazu vorankommen.

Frage: Sie wirken seit einem Jahr dafür, die alternative Linke zusammenzuführen. Die PCF hat sich für diese Sammlung eingesetzt, indem sie dazu aufrief, bei der Präsidentenwahl für Jean-Luc Mélenchon zu stimmen. Sie haben ihn am Freitag (24.2.) getroffen. Wo steht man damit heute?

Pierre Laurent: Wir haben gemeinsam bekräftigt, dass die Tür zu Diskussionen offen ist. Ich agiere dafür, dass diese sich um einen soliden Pakt für eine Mehrheit drehen, der die Mittel zur (politischen) Veränderung zur Verfügung stellt und damit eine genügend starke Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler ermöglicht, um den Sieg möglich zu machen. Die PCF ist dazu bereit. Damit es klar ist: wir verlangen nicht ein Wahlschacher, sondern sehr wohl einen soliden Pakt, damit die Veränderung (der Politik, Anm.) diesmal gelingt. Wir wollen, dass diese Diskussionen in öffentlicher und transparenter Weise stattfinden.

In diesem Sinn haben wir die Gesamtheit der Kräfte der Linken eingeladen zu einer öffentlichen Zusammenkunft zu dem Thema. "Der Feind ist immer das Finanzkapital" (am 28. Februar in Paris, Anm.), das ein Hauptpunkt für das Scheitern der Fünf-Jahr-Amtszeit von Hollande ist. Ich freue mich, dass die Gesamtheit der Kräfte der Linken angenommen hat, daran teilzunehmen.

Frage: Rechtfertigt die Gefahr eines zweiten Wahlgangs zwischen Fillon oder Macron und Le Pen nicht allein schon die Notwendigkeit einer linken Vereinigung?

Pierre Laurent: Diese Gefahr zu bannen heißt doch gerade, ein solides Projekt zu entwickeln, das wirklich das Leben der Leute verändert. Das ist die Bedingung für eine siegversprechende Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger. Denn vergessen wir nicht, das Misstrauen ist massiv.

Fillon schlägt die Zerstörung der Sozialversicherung vor. Macron die des Arbeitsvertrags, und mit dem FN wäre das glattweg die Aufnahme der "nationalen Präferenz" ("Franzosen zuerst", Anm.) in die Verfassung, was die republikanischen Fundamente der Gleichheit unterhöhlen würde. Die Gefahr ist ernsthaft, man darf sich nicht kleinreden, und ihr ein mobilisierendes, ehrgeiziges und glaubwürdiges, klares und transparentes Projekt entgegenzustellen – das ist die Bedingung des Erfolgs.

Frage: Was ist konkret die nächste Etappe?

Pierre Laurent: Ich bin einverstanden mit einer Begegnung zu viert: Hamon, Mélenchon, Jadot und ich selbst. Der sozialistische Kandidat hat seinerseits bestätigt, dass er für dieses Prinzip ist. Ich meinerseits möchte, dass ein Treffen noch diese Woche stattfände.

Frage: Sie haben dazu aufgerufen, einen Pakt für eine linke Mehrheit abzuschließen, und dabei nicht verhandelbare Punkte erwähnt wie die Erhöhung der Löhne, der Sozialminima, oder die völlige Neuorientierung der Europa-Politik… Halten Sie diese Forderungen für vereinbar mit dem Programm von Benoît Hamon?

Pierre Laurent: Ich glaube in der Tat, dass man klar sein muss über diese Punkte, die im Mittelpunkt der Sorgen der Franzosen stehen. Die Linke kann nur gewinnen, wenn sie den (neo)liberalen Projekten die Förderung der sozialen Rechte in der Gemeinschaft und im Unternehmen entgegenstellt, und der Uberisation der Gesellschaft eine neue Konzeption der Arbeit mit einem hohen Niveau an Beschäftigungssicherheit und Bildung (Uberisation = abgeleitet von dem Unternehmen Uber, das durch äußerst flexiblen Einsatz moderner Kommunikationstechnologien [Internet, Smartphones usw.] in Verbindung mit extreme Deregulierung von Arbeitsbedingungen und Abwälzung aller Risiken auf die Beschäftigten gekennzeichnet ist, Anm.). Die französische Gesellschaft steht an einem Kreuzweg der Zivilisation. Dem Modell der neoliberalen Globalisierung geht die Puste aus. Die Linke muss ein neues Modell vorschlagen, ebenso sozial wie ökologisch, das die Fähigkeit hat, europäisch zu werden. Das ist unvereinbar mit der gegenwärtigen liberalen Logik der (EU-)Verträge. Frankreich muss diesen Kampf aufnehmen, um ihn zu gewinnen.

Frage: Bis wohin muss dieser Bruch mit der Amtszeit Hollandes gehen? Wäre die Unterstützung von Benoît Hamon für symbolträchtige Kandidaturen wie die von Myriam El Khomri oder Manuel Valls (bei der Parlamentswahl, Anm.) ein absolutes Hindernis?

Pierre Laurent: Niemand auf der Linken glaubt, dass man die Änderung durchführen kann mit Abgeordneten, die weiter mit Zähnen und Klauen die Bilanz dieser Amtszeit verteidigen. Wenn Myriam El Khomri sich den Wählern präsentieren will, werden wir sie schlagen, indem wir in ihrem Wahlkreis eine echte Linkskandidatur zum Sieg bringen. Die Frage wird durch die Wahl geregelt werden. Die Frage für mich ist nicht, zu dieser Art von Diskussion zurückzugehen. Die einzige Frage, die in diesem Augenblick zählt, ist der politische Pakt mit Verpflichtungen, die den großen Erwartungen in der Bevölkerung entsprechen. Bezüglich des El-Khomri-Gesetzes (Anm.: neues Arbeitsgesetz) ist das Wichtige, sich darüber einig zu werden, wodurch es ersetzt werden soll. Die kommunistischen Abgeordneten haben vor einigen Tagen in der Nationalversammlung einen alternativen Gesetzesvorschlag zur Beschäftigungssicherung und Bildung vorgelegt. Engagieren wir uns gemeinsam, ihn auf die Tagesordnung der nächsten Legislaturperiode zu setzen!

Frage: Dieser Mehrheitspakt betrifft auch die Parlamentswahl. Die Situation ist schon kompliziert mit "France Insoumise" (Anm.: der von Mélenchon gegründeten Bewegung für seine Eigenkandidatur), die darauf zählt, Kandidaten in allen Wahlkreisen aufzustellen, einschließlich solcher, wo kommunistische Abgeordnete zur Wiederwahl anstehen. Sind Sie mit Jean-Luc Mélenchon zu einer Abmachung gekommen?

Pierre Laurent: Für mich ist der Pakt eine Diskussion über einen programmatischen Sockel, um Frankreich zu regieren, nicht ein Wahl-Kuhhandel. Was die Frage der Parlamentswahl anbetrifft, ist das nicht eine Frage des Austauschens von Wahlkreisen. Wenn wir den Sieg der Linken wollen, muss man einen Präsidenten wählen und dann eine Parlamentsmehrheit, die notwendigerweise aus verschiedenen Familien der Linken zusammengesetzt sein muss. Sie müssen alle sich gegenüber den Wählern mit ihren Projekten und ihren Eigenqualitäten präsentieren können. Das haben wir die Absicht zu tun.

Wir sind der Ansicht, dass eine Parlamentsmehrheit nicht wirklich links sein kann, wenn sie nicht mehr kommunistische Abgeordnete und Abgeordnete der Linksfront aufweist, als es 2012 gab. Diese Abgeordneten können auf ihre Bilanz stolz sein. Sie sind die einzigen, die in allen Punkten fünf Jahren lang die Verpflichtungen gegenüber den Wählern eingehalten haben. Abgeordnete mit dieser Härtung braucht es so viel wie möglich.

Betreffs der aus dem gemeinsamen Aufbau der Linksfront hervorgegangenen Kräfte unterstützen wir denselben Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, wir werden gemeinsam am 18. März demonstrieren (Anm.: bei einem großen "Marsch für die VI. Republik" in Paris, zu dem Mélenchon und die PCF aufrufen). Wir meinen, dass es in dieser Situation inkonsequent wäre, dass unsere Kräfte miteinander in Konkurrenz treten, vor allem in den Wahlkreisen von Abgeordneten, die zur Wiederwahl anstehen oder in solchen, die zurückgewonnen werden können. Wir werden also weiterhin diese Forderung der Vernunft bei "France Insoumise" geltend machen.

Frage: Konkret, hat Jean-Luc Mélenchon begonnen, Gesten in diesem Sinn erkennen zu lassen?

Pierre Laurent: Diese Diskussion hat begonnen, Fortschritte zu machen, und es war Zeit, aber nur ein wenig in der letzten Woche. Man muss jetzt schneller vorangehen, um Probleme zu lösen, die, wenn sie nicht geregelt werden, weiter die Mobilisierung im Wahlkampf stören werden. Die Dinge beginnen sich zu bewegen, aber noch zu zaghaft.

Frage: Die PCF hat sich entschieden, einen autonomen politischen Wahlkampf zu führen. Welches sind die großen Themen und Vorschläge, die Sie während dieses Wahljahrs verfechten möchten?

Pierre Laurent: Ich habe gesprochen von unserem Ehrgeiz für sozialen Fortschritt und die Mobilisierung gegen die Finanzwelt. Ich würde auch an die Spitze unserer Prioritäten einen globalen und kohärenten Aktionsplan für die Autonomie und Emanzipation der Jugend und für die Gleichstellung von Frauen und Männern setzen. Ich habe ebenso die Frage Europa erwähnt, für das ein linkes Frankreich ein neues soziales und solidarisches Projekt vorbringen müsste. Ebenso in der Weltpolitik, stark durch seine Rolle im UNO-Sicherheitsrat. müsste Frankreich an die Spitze der Wiederentwicklung einer Politik des Friedens, der Abrüstung und der Zusammenarbeit für alle Völker treten.

In allen diesen Themen sind wir engagiert im Dienst des Wahlkampfs von Jean-Luc Mélenchon und im Dienst der öffentlichen Debatte über einen Mehrheitspakt. Wir werden zahlreiche nationale Zusammenkünfte abhalten, wie die in Port-de-Bouc über den sozialen Fortschritt (am 9. Februar), über die Finanzwelt morgen (28.2.) in Bellevilloise, über Europa am 17. März in Villerupt, über die neue Industrialisierung Frankreichs in der Region Grenoble am 29. März. Zum Thema der VI. Republik bereiten wir aktiv den Tag des 18. März (Anm.: Großdemo in Paris) vor, der ein markantes Moment des Wahlkampfs einen Monat vor dem ersten Wahlgang sein wird.

Aber ich will eine Botschaft an die Aktiven senden. Über die unerlässlichen Großereignisse hinaus müssen die kommenden zwei Monate genutzt werden, um die öffentliche Debatte vor Ort zu verankern. Es gibt ein größeres Risiko, dass Millionen Bürger, die an der Veränderung interessiert sind, den zwei sich abzeichnenden großen Wähler-Konsultationen fern bleiben. Die Kandidaten, die wir für die Parlamentswahl nominieren, können eine große Rolle spielen, um dieses Risiko zurückzudrängen. Jean-Luc Mélenchon hat sich für eine neue Form des Wahlkampfs im Internet entschieden, die ihre Qualitäten hat, die hinsichtlich der Formen Neues bringt, aber die auf keinen Fall den Wahlkampf vor Ort ersetzen kann, den zu führen die Kommunisten in der Lage sind. Ohne diese wesentliche Mobilisierung glaube ich nicht, dass ein Ergebnis auf der Höhe der Situation erreicht werden könnte.

Frage: Die Kandidatin der Rechtsextremen wird als weit an der Spitze des ersten Wahlgangs der Präsidentenwahl liegend ausgegeben. Sie geben am 9. März eine Schrift heraus, um den Betrug des FN-Programms und die Gefahren des Programms der Rechten zu enthüllen. Sind Sie der Meinung, dass es ein echtes Risiko eines Sieges von Marine Le Pen gibt?

Pierre Laurent: Es wird größer und ich bin äußerst besorgt und manchmal aus der Fassung gebracht von der Gefälligkeit, von der die Kandidatin der extremen Rechten profitieren kann. Ich höre viele aufgeregte Kommentare über Donald Trump, sein Betragen, die Ernennung von Verantwortlichen für die amerikanische Administration und die ersten von ihm getroffenen Maßnahmen, aber niemand scheint sich zu beunruhigen, dass Marine Le Pen laut und stark auf dieses Modell Bezug nimmt. Sie schickt sich ebenfalls an, eine Politik von extremer Schwere in die Praxis umzusetzen, angefangen von der Aufnahme der "nationalen Präferenz" in die Verfassung, deren Konsequenzen dramatisch wären. Millionen Bürger unseres Landes wären betroffen von dieser verfassungsoffiziellen Diskriminierung. Also habe ich mich entschlossen, eine Schrift zu veröffentlichen, um den Betrug des Programms von Marine Le Pen und die Gefahren des Programms von François Fillon zu entlarven.

Frage: Angefangen mit dem Kandidaturverzicht von François Hollande, über das "Penelope-gate" (Anm.: Betrugsaffäre um Fillon und seine Frau) bis zu dem überraschenden Sieg von Benoît Hamon bei den Vorwahlen der PS scheint dieses Wahljahr unvorhersehbar. Wozu kann dieses politische Klima führen?

Pierre Laurent: Es kann viele Überraschungen hervorbringen. All jene, die versuchen, koste es, was es wolle, die Fortsetzung der liberalen Politik durchzusetzen, stoßen auf mehr und mehr unerwartete und heftige Reaktionen der Völker. Das kann sehr widersprüchliche politische Folgen haben. Es gibt jene, die den gleichen Antworten wie früher einen Anstrich von Modernität zu geben versuchen, wie Macron in Frankreich und Matteo Renzi in Italien. Es gibt jene, die Antworten durchzusetzen versuchen im rassistischen, fremdenfeindlichen, ultranationalistischen Modus wie Trump, Theresa May und Marine Le Pen. Und dann gibt es dieses starke Suchen auf der Linken, das die Sozialdemokratie in ganz Europa zu erschüttern beginnt und schon zu Überraschungen in der politischen Landschaft geführt hat.

Also diese Situation kann uns viele Überraschungen bringen, schlechte wie gute. Das ist das derzeitige Problem. Wir stehen im Zentrum dieser politischen Auseinandersetzung, und die Verantwortung, die uns zufällt, besteht darin, uns zu vereinigen, nicht um die Lücken einer Politik abzudichten oder auszuflicken, die gescheitert ist, sondern um den Weg zu neuen und kühnen Lösungen zu öffnen. Man sagt mir manchmal, es sei zu spät. Aber weil sich diese neue Hoffnung nur schwierig einen Weg durch den Schutt der von Hollande praktizierten Politik bahnt, muss man nicht aufhören, ihn mit Hartnäckigkeit weiter zu verfolgen.

Quelle: Humanité, 27. Februar 2017
Übersetzung: Georg Polikeit


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