von Walter Baier
08.02.2016: Ich habe mir mit diesem Kommentar Zeit gelassen, weil ich nicht glauben wollte, was mir die Intuition sagte. Die - konservativ geschätzten - 10.000 Flüchtlingskinder, die in Europa verschwunden sind, und von denen Europol vermutet, dass ein großer Teil von Menschenhändlern gekidnappt wurde, interessieren ... -- wen eigentlich? Die Massenmedien, genau zwei Tage lang. Keine Leitartikel, keine Talkshows, keine parlamentarischen Debatten. Auch keine dokumentierte Äußerung von Frau Schwarzer oder Herrn Sloterdijk.
Die 10.000 (Dunkelziffer unbekannt) wurden notabene bei ihrer Einreise registriert, haben sich also genau der Prozedur unterzogen, die mit Zäunen, Hotspots, Auffangräumen etc. erzwungen wird. Wozu das alles, wenn es nicht dazu dient, die Sicherheit und die Würde der am meisten Verwundbaren unter den Ankommenden zu schützen?
Und wer sind die Kriminellen, die diese Kinder versklaven? Wer streicht den Gewinn ein? Flüchtlinge? Jihadisten? Selbst, wenn man diese, allerdings nicht sehr plausiblen, Annahmen macht, wer sind dann die Bezieher der "Ware kleiner Mensch". Man wird nicht fehlgehen, wenn man einheimische, wohlsituierte, weiße Männer vermutet, darunter nicht wenige Stützen der Gesellschaft. Auf welchen Banken wird das Geld aus dem verbrecherischen Geschäft geparkt? Wer weiß etwas?
Welch breites Feld für journalistische Recherche und Aufklärung. Wer kann dieses Desinteresse, diesen Mangel an Empathie erklären?
Seit einigen Tagen gehen mir nicht mehr die letzten Zeilen des Brecht-Gedichts "Ein Pferd klagt an" aus dem Kopf:
"Da fragte ich mich: Was für eine Kälte
Muß über die Leute gekommen sein!
Wer schlägt da so auf sie ein
Daß sie jetzt so durch und durch erkaltet?
So helft ihnen doch!
Und tut das in Bälde!
Sonst passiert euch etwas, was ihr nicht für möglich haltet."
text: Walter Baier
foto: flickr|Metropolico