Deutschland

17.10.2014: Es war wohl mehr ein Versehen, dass Wirtschaftsminister Gabriel im Wirtschaftsausschuss des Bundestags die Höhe der Schadenersatzforderung über die Lippen rutschte. 4,7 Mrd. Euro fordert der schwedische Energiekonzern Vattenfall wegen des Atomausstiegs von Deutschland. Weit mehr als bisher vermutet. Bislang hatte das Wirtschaftsministerium jede Auskunft abgelehnt. Streng geheim. Vattenfall klagt bereits das zweite Mal gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Entschädigung für entgangene Gewinne. »Investorenschutz« nennt sich das in den internationalen Verträgen.


Im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, einem großen Glas- und Betonkasten an der Spree, können Abgeordnete Einblick in Akten erhalten, die auf keine Fall an die Öffentlichkeit dringen dürfen. Dort hat die Geheimschutzstelle des Bundestags ihren Sitz. Die Abgeordneten dürfen natürlich nichts darüber sagen, was sie in diesen Akten lesen konnten. Dort befinden sich nicht nur Akten zum NSU-Terror, sondern auch die Unterlagen zur Klage des schwedischen Energieriesen Vattenfall gegen Deutschland. Der Konzern verlangt Entschädigung für die Stilllegung seiner Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümel. Vattenfall hat die Bundesregierung vor einem nichtöffentlichen internationalen Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington verklagt, das zur Weltbank gehört.

Bisher wurden Presseanfragen nach der Höhe der Forderung abgeschmettert, Anfragen der Linksfraktion nach verwertbaren Antworten lapidar abgewiesen. „Die Schiedsverfahren nach der ICSID-Konvention sind vertraulich“, teilte das Wirtschaftsministerium mit. Auch Vattenfall erteilte keine Auskunft. Aber nun besteht Klarheit. Der Konzern will 4,7 Mrd. Euro vom deutschen Steuerzahler. Weit mehr als die bisher vermuteten 3,8 Mrd. Euro.

Investorenschutz

Wie kann es sein, dass Deutschland wegen einer demokratisch getroffenen, umweltpolitischen Entscheidung in ein dubioses internationales Verfahren gezwungen wird? Der Grund dafür ist ein sogenanntes Investitionsschutzabkommen. Knapp 140 bilaterale Handelsabkommen mit Investorenschutz hat Deutschland mit anderen Ländern abgeschlossen. Dazu kommt noch die »Energie-Charta«, die 1998 in Kraft trat, und an der vor allem europäische Länder beteiligt sind. Auch diese enthält Klauseln zum Schutz ausländischer Investitionen und zu Schiedsgerichten.

Auf diese Energie-Charta beruft sich Vattenfall. Mit dem im Juni 2011 beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft würden Investitionen entwertet und erwartete Gewinne entgehen. Indirekte Enteignung, wird das in den einschlägigen Verträgen genannt. (siehe auch die Analyse von CETA)

Wiederholungstäter

Es ist nicht das erste Mal, dass Vattenfall vor einem Schiedsgericht klagt. 1,4 Mrd. Entschädigung verlangten die Schweden im Jahr 2009 von der Hansestadt Hamburg. Grund waren die Auflagen, die die Hamburger Umweltbehörde bei der Betriebsgenehmigung für das Kohlekraftwerk Moorburg machte. Sie zielten darauf ab, eine Beeinträchtigung der Wasserqualität der Elbe durch die geplante Entnahme von Kühlwasser und die Einleitung von Abflutwasser zu vermeiden. Vattenfall aber behauptete, durch die Auflagen würde die Investition unwirtschaftlich. Die Klage stützte Vattenfall ebenfalls auf die von Deutschland unterzeichnete Energie-Charta. Daraufhin wurden die ursprünglichen Auflagen zugunsten des Betreibers aufgeweicht.

An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass Investoren gar nicht unbedingt ein Urteil benötigen, um ihre Interessen durchzusetzen. Schon die Einreichung einer Klage auf Entschädigung in Milliardenhöhe kann Regierungen oder Kommunen dazu nötigen, auf notwendige Regulierungen zu verzichten.

Intransparente Verfahren gegen demokratische Entscheidungen

Dabei sind diese Schiedsverfahren völlig intransparent. Vorangetrieben werden sie von einem engen Zirkel internationaler Anwaltskanzleien, die in den Verfahren eine Schlüsselrolle einnehmen und aus den Verträgen ein boomendes Millionengeschäft gemacht haben. Dementsprechend hat die Zahl der ISDS-Verfahren weltweit in den letzten Jahren stark zugenommen.

Anfang der 1990er-Jahre gab es nur etwa zehn bekannte Fälle, 2012 zählte die Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD 514 laufende Verfahren, 2013 sind nochmals 58 neu dazugekommen. Doch die Dunkelziffer ist höher. Während beim ICSID wenigstens noch grob über die Fälle unterrichtet wird, finden viele Verfahren ohne Wissen der Öffentlichkeit statt, weil andere Schiedsorte vereinbart wurden, über die wiederum Stillschweigen herrscht.

Meist werden Entwicklungs- und Schwellenländer von Konzernen aus den Industrieländern verklagt und in zwei Dritteln der Fälle auch zu Schadensersatz verurteilt. Doch neuerdings gibt es auf der vermeintlichen Einbahnstraße auch Gegenverkehr. Die Multis klagen auch gegen Kanada und europäische Staaten. Wie bei den Klagen gegen arme Länder geht es auch bei diesen Klagen nicht um den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung, sondern die Investoren sollen vor der Veränderung rechtlicher Rahmenbedingungen (Umwelt-, Sozialgesetzgebung, Arbeits- und Verbraucherrecht, Steuern) geschützt werden, die ihren Gewinn schmälern würden.

  • Weil die kanadische Regierung zwei Patente nicht anerkennt, klagt das Pharmaunternehmen Eli Lilly auf 500 Millionen Dollar Schadensersatz.
  • Das Unternehmen Lone Pine will von Kanada 250 Millionen Euro Entschädigung für entgangene Gewinne, weil die Provinzregierung im kanadischen Quebec am St. James Fluss ein Fracking- Moratorium verhängte und einzelne Bohrlizenzen widerrief.
  • Krisengeschüttelte Euro-Länder werden von ausländischen Investoren attackiert. Allein gegen Zypern und Spanien wurden vor internationalen Schiedsgerichten Entschädigungsklagen über mehr als 1,7 Milliarden Euro wegen entgangener Gewinne durch Bankabwicklungen und Schuldenschnitt eingereicht.

  • Gegen Belgien klagt der chinesische Finanzinvestor Ping An. Als größter Einzelinvestor hatte er 2,3 Mrd. USD verloren, als die Pleitebank Fortis im Jahr 2008 im Zuge der Bankenkrise teilweise verstaatlicht und aufgespalten wurde. Jetzt klagt er gegen die belgische Regierung auf Entschädigung.
  • Vor dem Hintergrund, dass der Dienstleistungs-Multi Veolia gegen Ägypten klagt, weil dort der gesetzliche Mindestlohn erhöht worden ist und dadurch die Gewinnerwartungen beeinträchtigt werden, fragte die Linksfraktion bei der Bundesregierung an, wie verhindert werden soll, „dass künftige Verbesserungen im Bereich des Arbeitsschutzes, des Kündigungsschutzes, des Mutterschutzes sowie des Schutzes bei Krankheit und auch die Verbesserung der sozialen und allgemeinen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte durch die potentielle Forderung nach Investitionsschutz und einer Klage vor einem Schiedsgericht verhindert bzw. unterlassen werden?“.

    Die Bundesregierung äußert sich in der schriftlichen Stellungnahme so:
    Die aufgeführten potentiellen Verbesserungen in den genannten Bereichen stellten … sofern sie verhältnismäßig sind, keine Verletzungen von Investitionsschutzkriterien dar.“ (Drucksache 18/432)

    Ob eine soziale Verbesserung "verhältnismäßig" ist, das werden dann wohl künftig Schiedsgerichte entscheiden.


Sonderjustiz zugunsten der Konzerne - ein Riesengeschäft

Die »Prozesse« vor Schiedsgerichten sind eine Karikatur eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Ein Gericht gibt es nicht, sondern lediglich Schiedssprecher. Die Kanzleien und auch die Juristen wechseln munter die Rollen. Mal verteidigen sie einen Staat gegen eine Klage, mal vertreten sie das Unternehmen, mal sind sie der neutrale Schiedsrichter.

Ein Beispiel: Albert Jan van den Berg, ein niederländischer Top-Anwalt, ist von Vattenfall und der deutschen Regierung zum „neutralen“ Schiedsrichter in dem dreiköpfigen Entscheidungsgremium ernannt worden, das am Ende ein Urteil fällen wird. In einem anderen ICSID-Fall vertritt Van den Berg eine australische Bergwerksgesellschaft, die gegen Indonesien klagt.

Der enge Zirkel international vernetzter Juristen bestückt auch die Fachliteratur, entscheidet Präzedenzfälle und schafft sich so seinen eigenen Rechtsrahmen. Teils machen sie die Unternehmen auch noch auf die Klagemöglichkeiten aufmerksam.

Die Profite sind teils exorbitant: Laut OECD liegen die Kosten eines Schiedsverfahrens im Schnitt bei rund acht Millionen Dollar, der weit überwiegende Teil davon sind Anwaltshonorare. Der Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) zufolge hat ein kleiner Zirkel von 15 Schiedsrichtern über 55 Prozent der Dispute entschieden, bei den Klagen mit einer Schadenssumme von über vier Milliarden Euro sogar über drei Viertel.

Der Bock zum Gärtner gemacht

Da verwundert es nicht, dass der vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragte Gutachter, Dr. Stephan Schill vom Max-Planck-Institut für ausländisches und öffentliches Recht in Heidelberg, in einer Studie zum Handelsabkommen EU – Kanada (CETA) zu dem Ergebnis kommt, dass die darin vorgesehenen Investitionsschutzvorschriften unbedenklich seien. Denn dieser Herr Dr. Stephan Schill wurde im Dezember 2013 von der Bundesrepublik Deutschland auf die Schlichterliste der Internationalen Schiedsstelle für Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes) gesetzt. Mit der Auswahl dieses Gutachters wurde der Bock zum Gärtner gemacht. Und das von der Bundesregierung erwünschte Ergebnis der Studie erzielt.

Bundesregierung will Investorenschutz in TTIP und CETA

Trotz dieser Erfahrungen will die Europäische Kommission am Investorenschutz und an den Schiedstribunalen festhalten. Mit Unterstützung der Bundesregierung. In den Leitlinien des EU-Rates (die Regierungschefs der Mitgliedsländer) für die Verhandlungen der EU-Kommission zu TTIP und CETA werden „voller Schutz und umfassende Sicherheit der Investoren und Investitionen“ ausdrücklich als Verhandlungsziel genannt.

Die Klage von Vattenfall ist ein warnendes Beispiel, wo Investorenschutz und Schiedsgerichte hinführen. In Zukunft würden Anwälte der Schiedsgerichte, die ganz überwiegend aus dem hoch bezahlten Freihandelslager von Anwaltskanzleien, Stiftungen u.ä. stammen, darüber entscheiden, dass jede neue demokratische Regelung – von der Arbeitszeitverkürzung, der Lohnerhöhung bis zur kostengünstigeren Daseinsvorsorge durch kommunale Einrichtungen – dass jede dieser Maßnahmen, wie demokratisch auch immer sie zustande gekommen ist, so teuer zu bezahlen ist, dass sich die meisten Staaten hüten würden, solche Regelungen zu treffen, oder sie würden anschließend pleitegehen.

Deshalb, die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative "Stopp TTIP und CETA" unterzeichnen!

txt: lm
fotos: CEO

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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