Meinungen

alt09.02.2011:  Die Anfang des Jahres von bürgerlichen Politikern und einigen Mainstreammedien veranstaltete antikommunistische Hetze - ausgelöst durch den Beitrag von Gesine Lötzsch (Vorsitzende der Partei Die Linke) zur diesjährigen Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin "Wege zum Kommunismus" - hat auch unter den Linken in Deutschland eine anhaltende Diskussion entfacht. Dabei ging es selten wirklich um die "Wege zum Kommunismus", häufig aber um die Vergangenheit der kommunistischen Bewegung, besonders in der Sowjetunion unter der Führung von Josef Stalin und in Europa. Eine unrühmliche Zuspitzung und Desorientierung erzeugte vor wenigen Tagen der Philosoph Hans Heinz Holz mit einem Artikel in der Tageszeitung 'junge Welt'.

Der Beitrag von H.H. Holz in der jW vom 2. Februar 2011 lässt sich in drei große Blöcke teilen. Der erste dient als Einleitung der Diffamierung des Historikers Kurt Pätzold. Dieser hatte in einem vorhergehenden Beitrag in der jW geschrieben:

"Wollen ... Sozialisten die verlorene Glaubwürdigkeit – nicht als Person, sondern als Gruppe – zurückgewinnen, dann müssen sie auch zu erklären suchen, wie es dazu kommen konnte, daß eine tief humanistische Idee zu einer Wirklichkeit verkam, die in die Geschichte der Barbarei gehört, und wie es geschehen konnte, daß eine nicht genau bestimmbare Zahl der Ihren, jedenfalls doch Hunderttausende, und mit diesen eine weitere, sich zu Millionen summierende Zahl von Menschen getötet wurden."

Nun hatte Pätzold in seinem Text nur ein einziges Mal, genau an der zitierten Stellen, den Begriff "Barbarei" verwendet und ihn dabei eindeutig in den Zusammenhang mit Erscheinungen "einer Wirklichkeit" gebracht, die allemal diesen Begriff rechtfertigen. Oder wie sollte man denn anders z.B. die von Jagoda, Jeschow und Beria organisierte Arbeit der Unterdrückung von 'Volksfeinden' bezeichnen, die u.a. auch zig-Tausende von Kommunisten traf. Fast drei Jahrzehnte standen diese drei (Jagoda und Jeschow wurden noch unter Stalin liquidiert) in jeder Hinsicht Gewissenlose an zentraler Spitze des sozialistischen Machtgefüges, wendeten – später sogar gedeckt durch einen Beschluss der Partei - beliebig Folter an, gaben antisozialistischer Intrige ehrloser Denunzianten breiten Raum und regelten - ganz im Sinne und Auftrag Stalins - die Ausschaltung ideologischer Widersprüche auch und besonders in den Reihen der KPdSU durch Erschießungskommandos. Wenn das nicht schlimmstes Mittelalter und "Barbarei" ist, was dann?

H.H. Holz macht daraus: "Ein Zeithistoriker, der das Wort 'Barbarei' gleichermaßen für den deutschen Faschismus und den Aufbau der Sowjetunion unter Stalin gebraucht (jW-Thema vom 28.1.2011), stellt sich auf das Niveau und in den Dienst der primitivsten bürgerlichen Ideologieformel Rot gleich Braun." Nun hat Pätzold weder das Wort "Aufbau des Sozialismus" im angegebenen Kontext verwendet, noch das Wort "Faschismus". Die Aussage von H.H Holz unterstellt und unterschiebt, was man nur als infame Verdrehung und Lüge zum Zwecke der Diffamierung von Pätzold bezeichnen kann.

Eine zweite Einheit in dem Aufsatz von H.H. Holz in der jW vom 2. Februar bilden Zitate, die seine Positionen begründen und legitimieren sollen. Nein, keine von Marx, Engels oder Lenin - Hegel ist sein argumentativer Orientierungsrahmen. Da vielleicht nicht allen Lesern die Artikel der jW verfügbar sind, hier noch einmal diese Zitate (mit kurzen Überleitungen von H.H Holz):

"Die Entwicklung ist ... nicht das harmlose und kampflose bloße Hervorgehen, wie die des organischen Lebens, sondern und ferner ist sie nicht bloß das Formelle des Sich-Entwickelns überhaupt, sondern das Hervorbringen eines Zweckes von bestimmtem Inhalte (…) Ein welthistorisches Individuum hat nicht die Nüchternheit, dies oder jenes zu wollen, viel Rücksichten zu nehmen, sondern es gehört ganz rücksichtslos dem einen Zwecke an. So ist es auch der Fall, daß sie andere große, ja heilige Interessen leichtsinnig behandeln, welches Benehmen sich freilich dem moralischen Tadel unterwirft. Aber solche große Gestalt muß manche unschuldige Blume zertreten, manches zertrümmern auf ihrem Wege. … " Erst vom vollendeten Kommunismus dürfen wir hoffen, daß das historische Allgemeine und das zivilgesellschaftlich Einzelne zur Deckung kommen. "Diese Vereinigung der beiden Extreme, die Realisierung der allgemeinen Idee zur unmittelbaren Wirklichkeit und das Erheben der Einzelheit in die allgemeine Wahrheit, geschieht zunächst unter der Voraussetzung der Verschiedenheit und Gleichgültigkeit der beiden Seiten gegeneinander." Den Schritt über die Besonderheit hinaus erzwingen die 'welthistorischen Individuen', die die Anarchie der Willen zur organisierten Einheit des Zwecks zusammenfügen. "Dies sind die großen Menschen in der Geschichte, deren eigene partikuläre Zwecke das Substantielle enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist. Sie sind insofern Heroen zu nennen, als sie ihre Zwecke und ihren Beruf nicht bloß aus dem ruhigen, geordneten, durch das bestehende System geheiligten Lauf der Dinge geschöpft haben, sondern aus einer Quelle, deren Inhalt verborgen und nicht zu einem gegenwärtigen Dasein gediehen ist."

Man reibt sich die Augen und kann es nicht glauben. Das soll ein Ansatz zu einer Aufarbeitung und Bewertung der Vergangenheit der kommunistischen Bewegung in der Sowjetunion und in Europa sein? Diese durch und durch feudale, dem Absolutismus entsprechende und die Gottkönige und ihre großen Feldherren der letzten 4-6.000 Jahre rechtfertigende, idealistisch-metaphysische Ideologie?? Der wabernde Weltgeist mit seiner ihm eigenen "Dialektik der Vernunft" (Zitat H.H. Holz) darf seine schützende Hand über das legen, was er "im reißenden Strome, den die gesellschaftliche Selbstbehauptung auslöst" verschwinden lässt?

Das ist so fern von jedem dialektisch-materialistischen Ansatz zur Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte als Kommunisten, wie es nur geht. "Konkrete Analyse eine konkreten Sachverhaltes, einer konkreten Wirklichkeit," das ist die kommunistische Grundorientierung: Aufdecken aller dialektischen Beziehungen im realen Geschehen. Die apologetische Grundausrichtung von H.H. Holz "Die einfache Frage ist: Welche Vernunftgründe gibt es, die vernunftwidrige Handlungen in anderer Perspektive unausweichlich erscheinen lassen?" taugt dazu in keiner Hinsicht.

Und sie durchzieht auch den restlichen Teil der Ausführungen von H.H. Holz, wo sorgfältig vermieden wird, tatsachenbezogen dialektische Analyse anzudeuten und aufzuzeigen, wo alles auf einem allgemein gehaltenen Darstellungsniveau bleibt und zudem richtige und falsche, bürgerlich anti-kommunistische und linke und kommunistische Positionen beliebig durcheinander geworfen werden.

So beispielsweise behauptet er hinsichtlich der innerparteilichen Auseinandersetzung in der KPdSU unter Stalin und der "Frage nach der Notwendigkeit der Unterdrückung der Opposition und ihren extremen gewaltsamen Formen", dass dort Handlungen vorlägen, "die nach anderen Kriterien als denen ihrer moralischen Unanfechtbarkeit beurteilt werden müssen, Widersprüche, für die es keine einseitige Auflösung gibt, Alternativen, zwischen denen Entscheidungen getroffen wurden, deren Gründe man überzeugend oder irreführend finden mag, die aber diskussionsfähig sind." Dass die Unterdrückung der innerparteilichen Opposition nicht allein nach vordergründig moralischen Kriterien zu beurteilen ist, ist natürlich nichts umwerfend Wesentliches. Nur, warum der ideologische Kampf in der Partei für breite Kreise der Führungskräfte mit der physischen Ausschaltung oder Liquidierung durch Erschießungskommandos bzw. die GULAG-Einweisung zu einem richtigen Ergebnis führen sollte, darauf gibt H.H. Holz uns keine Antwort.

Es ist eine grundlegende Tatsache, dass auch in einer kommunistischen Partei Widersprüche hinsichtlich der richtigen Strategie und Taktik existieren und normal sind. Gerade in einer Phase, wo neue Wege begangen und erforscht werden müssen, neue Fragestellungen aufzudecken und zu beantworten sind, gilt es, sich mit ihnen geistig auseinander zu setzen. "Denn letztlich muss beim Menschen alles durch den Kopf gehen," wie Engels einmal anmerkte. Die stalinsche Lösung zum Erlangen der Einheit der Partei (und ähnlich auch des Volkes) ist völlig gegen diese Wahrheit gerichtet. Sie verkennt, dass sich tief gehende ideologische Fragestellungen nicht durch physische Eliminierungen der Träger von unterschiedlichen Antworten auflösen lassen. Sie werden neu von Anderen im Inneren der Partei oder im nationalen oder internationalen Rahmen aufgeworfen werden und nach Antworten verlangen.

Das einzige Kriterium der Wahrheit ist die Praxis, nicht die Verkündung durch eine 'höchste Autorität', selbst dann nicht, wenn sie die Macht zur erbarmungslosen Durchsetzung ihrer Auffassungen hat und einsetzt. Was anfangs erfolgreich aussieht, kann sich später als falsch erweisen - und umgekehrt. Die Grundsätze des Demokratische Zentralismus lassen dafür jeden Spielraum, sowohl für breite, sorgfältige und demokratische Debatten, als auch ggf. für Entzug von Führungsverantwortung und Einflussmöglichkeiten, wo zum Erhalt von Einheit der Aktion erforderlich. Physische Liquidierung als Methode zur Herstellung ideologischer Reinheit ist darin niemals ein Weg nach vorn gewesen. Solches Vorgehen erzeugt Ja-Sager, Servilität, Unselbständigkeit, Intrigantentum, Vertuschung von Fehlern, Lug und Betrug - und auf Sicht hin den geistigen Tod einer kommunistischen Partei.

Das ist es, was wir - knapp zusammen gefasst - in diesem speziellen Zusammenhang für uns Kommunisten lernen und in unserer eigenen Praxis umsetzen können. Weit entfernt von bürgerlich verlogenem Moralisieren und Hetzen gegen 'den Kommunismus', aber ebenso weit entfernt von dem apologetischen Umhüllen und Wegretuschieren von Fehlern, Irrwegen und Handlungen in der realen Bewegung des Kommunismus', die nicht anders als 'Verbrechen' genannt werden können, mittels der "Dialektik der Weltgeist-Vernunft".

Text: Heribert Thomalla  /  Foto: Stalin und Jeschow 1937 zur Zeit der 'Großen Reinigung'