Im Interview

michael_gerber05.07.2012: Die UZ sprach mit Michael Gerber, DKP-Ratsmitglied in Bottrop, über die Folgen des Fiskalpakts für die Städte und Gemeinden.

UZ: Bundestag und Bundesrat haben mit 2/3-Mehrheit dem Fiskalpakt zugestimmt. Welche Konsequenzen sind mit dem Fiskalpakt verbunden?

Michael Gerber: Mit dem Fiskalpakt, zu dem sich 25 der 27 EU-Länder verpflichten, soll ab 2013 die Staatsverschuldung begrenzt werden. Faktisch wird damit die Schuldenbremse von 2020 auf das nächste Jahr vorgezogen. Die Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte soll zunächst auf 0,5 Prozent und später auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der jeweiligen Länder reduziert werden. Die öffentlichen Schulden, die 60 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung überschreiten, müssen dann jährlich um 5 Prozent abgebaut werden. Damit sind Bund, Land und Kommunen verpflichtet, 20 Jahre lang jährlich mindestens 25 Milliarden Schulden abzubauen.

Diese Mittel sollen vorrangig durch Ausgabenkürzungen erzielt werden. Der Fiskalpakt schreibt vor, dass die „Wettbewerbsfähigkeit“ gefördert werden soll. Damit sollen Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne ausgeschlossen werden. Die Konsequenz sind drastische Kürzungen in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur, weiterhin niedrige Löhne und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Die Folgen sind in Griechenland, Spanien und Portugal zu besichtigen: Die sinkenden Reallöhne bewirken eine Reduzierung der Binnennachfrage, Produktion und Steuereinnahmen sinken und die Neuverschuldung der Staaten steigt.

UZ: Welche Auswirkungen hat der Fiskalpakt für die Kommunen?

Michael Gerber: Die gesamte öffentliche Neuverschuldung ist durch den Fiskalpakt künftig auf jährlich 12 und später auf 9 Milliarden Euro beschränkt. Allein die Kassenkredite der Kommunen haben sich im letzten Jahr um 6 Milliarden Euro auf 45 Milliarden Euro erhöht. Damit wird bereits die Hälfte der möglichen Neuverschuldung von Bund, Ländern und Kommunen durch die steigenden Kassenkredite der Städte in Anspruch genommen. Für notwendige Investitionen in die kommunale Infrastruktur bleibt kein Spielraum mehr. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund warnt: „Wir riskieren die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand.“ Martin Lehrer vom NRW Städte- und Gemeindebund äußerte sich besorgt. „ Die Gefahr besteht, wenn der Bund seinen Haushalt sanieren will, dass er versucht, kostenträchtige Aufgaben auf die Länder abzuwälzen – und die Länder könnten dasselbe mit den Kommunen tun.“ Das Deutsche Institut für Urbanistik sieht bereits durch die Schuldenbremse große Probleme auf die Kommunen zukommen, indem überproportional steigende Sozialausgaben und die fehlenden Möglichkeiten, Zukunftsinvestitionen tätigen zu können, zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale führen werden. Betrugen die Sachinvestitionen der Kommunen in NRW je Einwohner im Jahre 2000 noch 229 Euro, sind diese im letzten Jahr auf 164 Euro gesunken. Dieser Trend wird sich in Zukunft weiter verstärken. Die verschiedenen Warnungen zeigen deutlich, dass die Städte und Gemeinden die ersten Verlierer des Fiskalpaktes sein werden.

UZ: Trotzdem haben die Spitzenverbände der Kommunen sich in Stellungnahmen positiv zum Fiskalpakt geäußert.

Michael Gerber: Die Inkonsequenz des Deutschen Städtetages wird in einer Stellungnahme seines Präsidenten, des Münchener Oberbürgermeisters Christian Ude, deutlich: „Die Städte unterstützen den Fiskalpakt. Sie müssen aber befürchten, dass die Umsetzung im Ergebnis zu einer Einschränkung ihrer Haushaltsautonomie und damit letztlich ihrer politischen Handlungsfähigkeit führt.“ Die Zustimmung der Kommunen, obwohl selber nicht einbezogen in den Verhandlungspoker zwischen Bundesregierung und Ländern sowie mit den Spitzen von SPD und Grünen, unter Ausschluss der Partei „Die Linke“, wurde mit vagen Zugeständnissen der Bundesregierung erreicht. Danach will sich der Bund in dem neuen Bundesleistungsgesetz nach 2013 an den Kosten für die Hilfen für Menschen mit Behinderungen beteiligen. Darüber hinaus gibt es die Absicht des Bundes, früher als vereinbart von den Kommunen die Ausgaben für die Grundsicherung zu übernehmen. Dies alles wird aber nicht verhindern, dass die Sozialausgaben für die Gemeinden auch in Zukunft weiter steigen werden. Die Kommunen haben bereits bei der Einführung von Hartz IV die Erfahrung gemacht, dass ihre Zustimmung mit angeblichen Entlastungen bei den Kosten für die Unterkunft für Bedarfsgemeinschaften erkauft wurde. In den Folgejahren hat der Bund seine Beteiligung an diesen Kosten immer weiter reduziert. Die Städte sind von der Bundesregierung im Stich gelassen worden. Das Ergebnis ist ein steigender Schuldenberg und die Handlungsunfähigkeit der Gemeinden.

UZ: Der DGB und Einzelgewerkschaften haben sehr deutlich den Fiskalpakt kritisiert. Kann der Fiskalpakt trotz der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat noch gestoppt werden?

Michael Gerber: Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat einen Stopp des Fiskalpaktes und der Schuldenbremse gefordert. Mit dem Fiskalpakt werden die Deregulierung der Arbeitsmärkte und die Aussetzung sozialer und kollektiver Grundrechte vorangetrieben, kritisierte der DGB-Vorsitzende. Noch deutlicher äußerte sich der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, der den Fiskalpakt bezeichnet als „ein Instrument, das die Demokratie schwächt, ökonomisch schädlich und sozial unverträglich ist.“ Völlig zu Recht kritisiert „Die Linke“ im Bundestag den Fiskalpakt als grundgesetzwidrig und hat daher Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Entscheidung, ob der Fiskalpakt Wirklichkeit wird, hängt jedoch künftig daran, ob sich bei uns im Ansatz ein ähnlicher Widerstand in den Betrieben und den Kommunen gegen diese unsoziale Politik entwickelt wie in Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien. Die Banken sind wieder einmal die Gewinner. Sie leihen sich faktisch umsonst Geld bei der Europäischen Zentralbank und verdienen sich mit Krediten an die Städte und Gemeinden eine goldene Nase. Banken müssen vergesellschaftet und Hedgefonds verboten werden. Statt die Kommunen kaputtzusparen, müssen ihre Schulden bei den Banken gestrichen werden. Die Stadt gehört uns und nicht den Banken!

Die Fragen stellte Werner Sarbok (Vorabdruck aus der UZ vom 06.07.12)