Wirtschaft

alt01.10.2010:  Leiharbeit und Zeitarbeit, das sind die beiden wichtigsten Instrumenten, die - dank zunächst rot-grüner und jetzt schwarz-gelber Gesetzgebung - in den letzten Jahren die Belegschaften gespalten, unter Druck gesetzt und in den Unternehmen das gestaltet haben, was zynisch die 'atmende Firma' genannt wird und doch nichts anderes als eine neue Ausprägung des Mechanismus der kapitalistischen Reservearmee ist. Bezeichnend auch, dass gerade die Agentur für Arbeit massiv auf diese Beschäftigungskonzepte setzt. Jetzt aber wächst der Widerstand, wie die aktuellen Proteste in mehreren Städten zeigen.

Mit 110.000 Mitarbeiter hat die Bundesagentur für Arbeit in Deutschland eine der größten Belegschaften. 20% dieser Menschen aber arbeiten dort derzeit auf der Basis von Zeitarbeitsverträgen. Allein in 2009 und 2010 wurden 6300 Neueinstellungen befristet. Bei vielen laufen die Verträge zum Jahresende aus. Wegen im Herbst noch anstehender Beratungen und Entscheidungen zum Bundeshaushalt der BRD im Bundestag gibt es auch noch keine Entscheidungen zu evtl. Verlängerungen oder Umwandlungen der Zeitarbeitsverhältnisse in Festanstellungen.

Betroffen von der Befrsitung sind Beschäftigte in der Leistungssachbearbeitung, wie auch in der Arbeitsvermittlung. Mit Beginn der Einrichtung der 'Arbeitsgemeinschaften für Beschäftigung' (Institutionen von kommunalen Sozialbehörden und der Bundesagentur für Arbeit zur Umsetzung von Leistungen nach Arbeitslosengeld II und zur Arbeitsvermittlung) im Jahr 2005 hat sich der Anteil der befristeten Arbeitsverträge ständig erhöht. Die Betroffenen bangen seither regelmäßig um Verlängerung der Befristung oder um Entfristung ihrer Arbeitsverträge. Sie sollen Langzeitarbeitslosen eine Perspektive geben und ihnen Arbeit vermitteln. Doch schon bald könnten sie selbst ohne Arbeit da stehen. Dies bedeutet eine immense psychische Belastung für die Betroffenen! Sorge und Angst herrscht unter vielen Beschäftigten der Agentur für Arbeit.

Zudem: ein Anteil von bis zu 30% in vielen Jobcentern und eine Fluktuation von jährlich mehr als 10% erschwert die Bedingungen für die Beschäftigten und die Betreuung der sog. "Kunden" der Agentur für Arbeit schon jetzt massiv. Sollten die Entfristungen der auslaufenden Zeitarbeitsverträge der jetzt kompetenten und eingearbeiteten Beschäftigten nicht erfolgen, drohen längere Wartezeiten bei der Bearbeitung der Leistungen, längere Vermittlungszeiten und ein sozialpolitisches Desaster.

Ein großer Teil der Beschäftigten der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) hat befristete Arbeitsverträge bis zum Jahresende 2010 und ist somit verpflichtet, sich drei Monate vor Ablauf persönlich bei
der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, also bis zum 30.9.2010. Für diese Kollegen
ist es fünf vor zwölf. In einem Flugblatt zu der gestrigen, von ver.di unterstützten Protestaktion vor der Münchener Agentur für Arbeit in der Kapuzinerstraße wurde die dortige Lage so beschrieben:

Zu den Fakten in München:
insgesamt sind davon ca. 280 befristete Beschäftigte aktuell betroffen. Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten in der ARGE sind das knapp 30%! Das heißt, jede/r Dritte weiß nicht, wie es mit ihm/ihr weitergehen wird. Demnächst steht zwar die Entfristung von 22 Befristeten an, die die Stadt München übernimmt (für die Arbeit in der ARGE), zugleich werden 58 Befristungen durch die Stadt München in das Jahr 2011 verlängert. Aber nur in das Jahr 2011 hinein, was passiert danach?

Und was ist mit den anderen? Was geschieht mit den restlichen ca. 200 Kolleginnen und Kollegen, die bei der Bundesagentur befristet beschäftigt sind? 30 Beschäftigte wird die Agentur noch vor dem 30.9.10 entfristen, weitere 40 evtl. nach dem Stadtratsbeschluss am 19.10.2010 und nur für den Fall, dass es in München zu einer gemeinsamen Einrichtung kommen wird. Von diesen Kolleginnen und Kollegen wird erwartet, dass sie qualitativ gute Arbeit bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen leisten. Sie selbst müssen Angst haben, demnächst wieder ohne Beschäftigung da zu stehen.

In der Regel kennen diese Betroffenen die Situation, da sie selbst aus einer Arbeitslosigkeit kommend bei der ARGE eingestellt wurden. "Können Sie sich vorstellen, welcher Druck auf diesen Kolleginnen und Kollegen lastet? Diese gute, qualifizierte und enorm anspruchsvolle Arbeit zu leisten, ohne Auskünfte über ihre eigene Zukunft und so gut wie keine private Planungssicherheit zu haben?" so Ingeborg Ege, Vertrauensfrau bei Ver.di und Personalratsvorsitzende des kommunalen Teils der ARGE.

Dabei gibt es seit März diesen Jahres ein Bundesarbeitsgerichtsurteil, dass die befristete Beschäftigung von MitarbeiterInnen mit genau diesen Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch als nicht Rechtens ansieht. Dieses für die Beschäftigten positive Urteil bedeutet, dass umfassende Klageverfahren drohen, wenn nicht umgehend politisch gehandelt wird. Denn ohne eine generelle Entfristung muss jeder Zeitvertrag vor den Arbeitsgerichten im Einzelfall auf eine sachliche Begründung hin geprüft werden und abgeurteilt werden .

Beenden Sie die Jobangst der Beschäftigten im Jobcenter! lautete die Forderung an die Verantwortlichen in der Agentur für Arbeit und der Stadt München.

Die Gewerkschaft ver.di rief ihre Münchner Kolleginnen und Kollegen auf, sich für die befristet Beschäftigten der ARGE einzusetzen und sich an der Aktion vor dem Hauptgebäude der Münchener Agentur für Arbeit in der Kapuzinerstraße am 30.9.2010 symbolisch um fünf vor zwölf zu beteiligen. Und ver.di bot juristische Hilfe bei evtl. zukünftige Prozessen vor dem Arbeitsgericht an. Zur selben Zeit fanden gleiche Proteste in Hannover, Bielefeld, Frankfurt a.M., Gießen und Duisburg statt. In München beteiligten sich an dieser "aktiven Mittagspause" über 200 Menschen.

Dass diese, seit vielen, vielen Jahren erste Aktion 'von unten' der Beschäftigten der Agentur für Arbeit in München nicht ohne Wirkung blieb, zeigt eine noch am gleichen Tage veröffentlichte Erklärung der Agentur, die sich zumindest genötigt sah, für ihre befristeten Beschäftigten in der ARGE festzustellen:

"Nach dem jetzigen Stand wird allen geeigneten Beschäftigten der Agentur für Arbeit München in der ARGE eine Dauerbeschäftigung oder eine befristete Weiterbeschäftigung über den 31.12.2010 hinaus angeboten."

Text: hth  /  Foto: bm