Wirtschaft

10.05.2010: ISW-Forum zu „Die Große Krise und die Zukunft der Arbeit“

Unter dem Titel „Besser – Kürzer – Arbeiten“ führte das ISW (Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung, München) sein 18. Forum im Münchner DGB-Haus durch. Die Tagung war einem Thema gewidmet, das für Leben und Perspektive arbeitender Menschen von existenzieller Bedeutung ist: Wird die anhaltende Krise zu einer weiteren Verschlechterung der Zeit- und Leistungsstandards der Arbeit führen, oder kann die Krise genutzt werden zu einer Offensive für kürzere und mehr „gute Arbeit“?

Die drei ReferentInnen – Dr. Steffen Lehndorff, Arbeitswissenschaftler von der Universität Duisburg/Essen; Professor Dr. Dieter Sauer, Sozialforscher am ISF, München, und Honorarprofesor an der Uni Jena; und die Soziologin Tatjana Fuchs vom Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie – sprachen sich  allesamt gegen einen selbstlähmenden Pessimismus à la „Schlechte Zeiten für Gute Arbeit“ aus.

Man könne und müsse die Krise nutzen für Arbeitszeitverkürzung und für Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt. Als entscheidende Größe nannten die WissenschaftlerInnen die Mobilisierung der Belegschaften für von ihnen als nötig und erreichbar angesehenen Ziele. Eine Strategie werde gebraucht, die die Angst und Wut der Beschäftigten über die üblen Zurichtungen durch das „System“ übersetzen könne in die Einsicht und die Motivation, für eine grundlegende gesellschaftliche Alternative zu kämpfen.

Steffen Lehndorff bewies anhand vielfältiger Zahlenreihen den engen Zusammenhang von Verkürzung der Arbeitszeit und Sicherung und Ausweitung von Beschäftigung. Dass in Deutschland bei einem Wirtschaftseinbruch von 5 % die Beschäftigung fast auf dem alten Niveau blieb, sei in erster Linie der politisch subventionierten Kurzarbeit zu verdanken. Diese Erfahrung – dass Arbeitszeitverkürzung Beschäftigung sichere – müsse jetzt in die gewerkschaftlichen Aktivitäten eingebracht werden, auch wenn sich die Konjunktur wieder belebe. Andernfalls drohe ein erheblicher Arbeitsplatzverlust in der deutschen Industrie, die in den kommenden Jahren vor grundlegenden Umstrukturierungen stehe.

Zweitens müsse man erkennen, dass seit dem vorläufigen Ende der kollektivvertraglichen Arbeitszeitverkürzungen die Tarifpolitik nicht mehr die Ebene ist, auf der die Gewerkschaften die Entwicklung der Arbeitszeit maßgeblich prägen. Einstweilen seien vielmehr die Betriebsräte zu den faktischen Hauptakteuren gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik geworden. Dies sieht Lehndorff auch als logische Entwicklung einer Entwicklung, in der die sich die Arbeitszeitwelten der verschiedenen Beschäftigungsgruppen auseinander entwickelt hätten. Gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik müsse an den unterschiedlichen Problemlagen anknüpfen, sollte sich z.B. nicht auf eine allgemeine Forderung nach einer 30-Stunde-Woche einlassen. Die höchst unterschiedlichen Gruppen müssten sich in differenzierten Forderungen wieder erkennen. Aus dieser Vielfalt heraus müsse man zur Einheit in der Arbeitszeitpolitik finden. Als erste Adressaten einer solchen Politik stellte Lehndorff Schichtarbeiter und junge Eltern vor, die mit den gegenwärtigen Arbeitszeitregelungen gesundheitlich und von ihrem Zeitfonds her erheblich beeinträchtigt werden.

Besonders die Betonung der großen Unterschiedlichkeit der Arbeitszeitwelten und der dadurch angeblich nahe gelegte Verzicht auf eine allgemeine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung für alle im selben Maß, stieß auf den engagierten Widerspruch mehrerer DiskussionsrednerInnen. Darauf hingewiesen wurde, dass eine allgemeine Forderung, z.B. 25- oder 30-Stunden-Woche, für die Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge – Arbeitszeit, Freizeit, gesellschaftlich notwendige Arbeit, soziales Engagement usw. – hilfreich wäre. Davon wäre dann auch ein Schub für die gewerkschaftliche und politische Mobilisierung zu erwarten. Die spezifische Artikulation spezieller Bedürfnisse im Rahmen der Arbeitszeitfestlegung stünde dem nicht entgegen.

Dieter Sauer stellte der Behauptung des Mainstreams, in der Krise müssten weitere Opfer gebracht werden, um aus ihr herauszukommen, die radikale Antithese entgegen: Eine nachhaltige Bewältigung der Krise ist ohne eine grundlegende Veränderung der Arbeitszeit- und Leistungspolitik gar nicht möglich. Die marktzentrierte Produktionsweise, worin Arbeit nur noch eine abhängige Variable der Kostenoptimierung ist, führe zum Ruin der Arbeitskraft. Kennzeichnend für die Arbeit im modernen Unternehmen sei die systematische Überlastung der Beschäftigten. Zu diesem ständigen Druck und der Versagensangst käme allgemeine Existenzunsicherheit sowohl für die prekär Beschäftigten wie für die „Normalbeschäftigten“. Zunehmend machen die Menschen in den Betrieben, auch die in den Leitungspositionen, für die Schwierigkeiten und Zumutungen „das System“ verantwortlich. Doch führe diese Erkenntnis nicht zum Zünden von Aktionsbereitschaft, sie sei vielmehr gekoppelt mit einem Gefühl der Ohnmacht. Die entscheidende Frage sei deshalb, mit welchen Forderungen und Aktionsschritten die Belegschaften aus dieser Starre gelöst werden könnten. Die Kernfrage laute: Wie schaffen wir es von Enttäuschung, Angst und Wut hin zu Mobilisierung und Aktivität.

Eben daran knüpften die im wesentlichen zustimmenden Beiträge der Diskussion. Es wurde auf große Gewerkschaften wie die IG Metall verwiesen, die statt einer Strategie der Mobilisierung offenbar die Politik des „Retten, was zu retten ist“ vertrete. Es gelte, in den Gewerkschaften den Blick auf den Horizont der Systemalternative zu öffnen. Wie schon in der Diskussion zu Lehndorffs Referat wurde darauf hingewiesen, dass gerade in den Betrieben ein gesellschaftlicher Rückenwind für prinzipielle Änderungen gebraucht wird. Die großen Entscheidungen, die dann auch die Kampflinien im Betrieb bestimmen, fielen in der „großen Politik“. Deshalb müssten die Gewerkschaften gerade hier ihre Aktivität verstärken.

Tatjana Fuchs führte dann anschaulich vor, wie kleinere Gewerkschaften – hier der Einzelhandel bei Verdi – in mehreren Aktionen auch in der Krise erfolgreich für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen konnten und sich auch in der grundsätzlichen Frage des Ausstiegs eines Unternehmens aus dem Tarifverband engagierten. Der entscheidende Hinweis der Soziologin: Die Beschäftigten müssen von Beginn an die Aktionen planen und durchführen. Die Funktion von Gewerkschaft und Betriebsrat ist die von Helfern zum eigenen Tätigwerden, jedes Stellvertreter-Handeln ist vom Übel. Mit der Selbständigkeit wächst das Zutrauen zur eigenen Kraft, man weitet die eigenen Fähigkeiten aus. Womit auch eine unverzichtbare Qualität für den großen Entwurf einer solidarischen Gesellschaft geschaffen wäre, worin Selbstbestimmung und Zusammenarbeit von Gleichberechtigten die entscheidenden gesellschaftlichen Kategorien zu sein hätten. Dementsprechend definierte Tatjana Fuchs auch das Kriterium für den Erfolg von Aktionen im Betrieb neu: Man könne ihn nicht allein daran messen, ob das maximale Ziel erreicht worden sei. Vielmehr sei es wichtig, welche Erkenntnisse in die Zusammenhänge und in die eigene Kraft dabei gewonnen wurden. Entscheidend sei, dass man auch nach einer Niederlage wieder aufstehe und neu angreife.

Die Diskussionslust war groß – aber das Forum blieb bei seinem Entschluss, die Tagung so rechtzeitig zu beenden, dass man noch dazu stoßen konnte, den Marsch von Neofaschisten zu stoppen, die den Tag der Befreiung vom Faschismus in einen Heldengedenktag ihrer braunen Couleur umfunktionieren wollten. Zusammen mit über 4.000 Münchnern gelang dies. Das Fazit des Forums wurde auf einer anderen Ebene bestätigt: Mobilisieren, selbst aktiv werden.

txt: gs/cs

 

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